Kapitel 5 - Teil 1

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Augen wie flüssiges Silber und voller tiefer Dunkelheiten. Skyla sieht noch immer ein fremdes Universum vor sich. Voller Abenteuer und Gelegenheiten, die ungenutzt zu verstreichen drohen. Eine Welt, die sie in ihren Bann zieht. Jeder weitere Schritt fern von dem angeblichen Geisterjäger fühlt sich falsch an. Milan hinterließ auf seine Art Eindruck bei ihr. Die Köchin erkennt die Wichtigkeit seines Auftrittes. Es bietet sich die Chance, ungehemmt über das zu sprechen, was sie geplagt hat. Dieser Kerl glaubt ihr und ist überzeugt, dass die Bedrohung real ist. Damit ist die Verlockung groß, umzudrehen und das Gespräch zu suchen. Wäre da nicht ihr Stolz, den sie zuerst runterschlucken müsste.

Wie würde es aussehen, wenn ich nach dem ganzen Theater umkehre und um mehr seiner Zeit bitte? Ich würde mich blamieren!

Der Klang ihres Handys unterbricht Skylas Gedanken. Ihr bester Freund Lukas meldet sich per Chat. Skyla denkt sich nicht viel dabei, schließlich halten die beiden fast täglich Kontakt zu einander. Aber die letzten Tage hat sie alles schleifen lassen. Auf keine seiner Nachrichten ist sie eingegangen und es wird höchste Zeit, sich wenigstens kurz zu melden, bevor er vor ihrer Haustür anzutreffen ist. Milan befindet sich noch vor Ort, also muss es schnell gehen. Halbherzig überblickt die Schülerin den Chatverlauf und ihre Augen weiten sich vor Schreck. Mehrmals erwähnt er ihr heutiges Treffen. Obwohl sie nicht einmal reagiert hat, wartet ihr bester Freund am Treffpunkt. Die Markthalle kann sie in etwa zehn Minuten erreichen.

Schweren Herzens dreht sich Skyla um und muss feststellen, dass Milan fort ist.

„Oh nein! Nein! Nein!", ärgert sie sich laut.

Ihre Füße tragen sie zurück zu der Stelle, wo die beiden das Gespräch geführt haben. Weit und breit ist er nicht ausfindig zu machen. Damit hat das Schicksal ihr die Qual der Wahl genommen und Skyla bestätigt das Treffen im Chat. Aufgrund ihrer Verzögerung bietet sie Lukas an, sich schon mal ins Café zu setzen. Kaum ist die Nachricht abgeschickt, verschwindet das Handy in die Tasche. Es folgt ein tiefer Atemzug und sie sprintet los. Das Blattwerk in den Bäumen beginnt zu rascheln und starke Luftzüge geben Skyla Rückenwind. Blätteransammlungen tanzen vor ihrer Nase. Sie schweben spielerisch in der Luft. Der Wind treibt die Köchin weiter an und so lässt sie die Parkanlage im Nullkommanichts hinter sich.

Es fühlt sich an, als sei Skyla wieder mal nicht allein unterwegs. Aber anders als bei Milan wirkt die Präsenz weniger unerwünscht. Ein Gefühl von Glück und Freude macht sich in der Schülerin breit und Skyla kann unmöglich sagen, warum sie so empfindet. Ihre Beine bewegen sich wie von selbst. Sie beschleunigt noch weiter, als die Ampel vor ihr droht auf Rot zu springen. Doch plötzlich reißt jemand Skyla um die Ecke. In einem Sekundenbruchteil macht sie Umrisse einer Person aus. Ein unsichtbares Wesen, das bei jeder Berührung mit Skyla an Transparenz verliert. Es handelt sich um eine spindeldürre Gestalt in einem langen Kleid. Der Rock und das wallende Haar peitschen durch die Atmosphäre, während die Luft um das Wesen zirkuliert und auf die Bewegungen ihres Körpers reagiert. Es ist, als kontrolliere die Person jeden einzelnen Luftzug. Die Böen um Skylas Angreifer sind geschmückt mit den farbenfrohen Herbstblättern und Blüten. Im Gegensatz zu dem Geist aus dem Krankenhaus, wirkt das seltsame Geschöpf verspielt und harmlos. Skylas Blick ruht auf dem freudigen Lächeln, als die Erscheinung verblasst. Wie in Trance bewegt sich Skyla weiter im Luftstrom. Auf der Route zu ihrem Ziel. Das Wesen ist noch immer fühlbar präsent, aber unsichtbar für das menschliche Auge, als würde es sie still begleiten.

Im Nu befindet sich Skyla an der letzten Ampel zur Markthalle. Ein Blick zu ihrer Rechten und das Wesen materialisiert sich ganz kurz für einen Abschied. Der Geist aus Wind winkt ihr zu, bevor es sich schwungvoll in der Luft dreht. Die Winde tragen den Geist davon, während Skyla fasziniert zurückblickt. Immer weiter wächst der Wunsch nach einem intensiven Gespräch mit Milan, aber die Chance hat Skyla vertan. Alles, was sie erlebt, ist so surreal - als würde sie in einem Traum feststecken.

Eine Fahrradklingel reißt Skyla aus ihrer Starre und sie tritt zur Seite. Mit dem Geist verschwindet der Wind. Skylas Lungen füllen sich mit Sauerstoff und auch das Herz erholt sich von dem Sprint. Ihr Kindheitsfreund ist schnell entdeckt. Trotz des Angebots, sich ins Café zu setzen, wartet er geduldig am vereinbarten Treffpunkt und hält mit seinen kastanienbraunen Augen Ausschau nach ihr. Zwischen den beiden Freunden liegt nur ein Jahr Unterschied und abgesehen von der gemeinsamen Kindheit teilen sie einige Interessen. Darunter ihre Leidenschaft Manga zu lesen. In Anbetracht seines feinen, schwarzen Anzugs und der roter Krawatte fühlt sich Skyla mit ihrem Freizeitlook nicht angemessen gekleidet. Die engen Leggings mit dem weißen Printdruck eines halben Traumfängers passt gut zu ihrem dunkelblauen Pullover, auf dem ein Schwarm bunter Schmetterlinge aus einer gekippten Flasche entflieht, umgeben von Glitzersteinchen. Die schwarzen Sneakers mit dem bunten Sternendruck sind hingegen fast kaputtgelaufen und müssen schnell ersetzt werden. Lukas stört sich nicht an ihrer Kleidung. Trotz des starken Kontrasts zu seinem schicken Anzug funkeln seine Augen, als er sie entdeckt.

Lukas überwindet die letzten Meter zwischen ihnen schnell und Skyla bereitet sich mental auf eine Standpauke vor, für all das ignorante Verhalten der vergangenen Tage. Aber stattdessen drückt ihr Kindheitsfreund sie fest an sich. In seiner herzlichen Umarmung atmet er hörbar auf. Die Anspannung weicht aus seinen Muskeln.

„Du bist hier", spricht er die Tatsache ehrfürchtig aus. „Ich hatte Sorge, du versetzt mich."

Seine Worte verschlimmern ihre Gewissensbisse. Lukas entgeht jedoch nicht, dass sie aus der Puste ist.

„Du bist gerannt? Etwa meinetwegen?"

Sie löst sich von ihm und nickt zuerst.

„Die letzten Tage waren ein wenig chaotisch und das Treffen ist mir ehrlich gesagt entfallen."

„Du hast mich vergessen? Jetzt bin ich aber beleidigt!" Gespielt arrogant dreht er sich weg.

Damit zaubert er ihr ein Lächeln auf die Lippen, das ihr bester Freund kurz darauf erwidert. Skyla boxt ihn frech gegen den Arm, woraufhin sein Grinsen breiter wird. Ohne tiefer zu bohren, fordert Lukas sie auf, das Café aufzusuchen. Dabei kennt Skyla ihn zu gut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Fragen auf sie herabregnen und dann wird es knifflig, nicht verrückt zu klingen. Ihn zu belügen ist eigentlich keine Option, aber zu seinem und ihrem Schutz wird ihr wahrscheinlich nichts anders übrig bleiben, als die Wahrheit zu verdrehen.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt