Prolog

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Ich habe versagt!

Es ist seine Schuld, dass die Situation so eskaliert ist. Zu seinem Bedauern hat Milan die Gefahr unterschätzt. Er war dumm und naiv.

Wie konnte ich auf ihr falsches Lächeln hereinfallen? Nun ist es zu spät! Wenn ich sie doch nur hätte beschützen können.

Ihr Verlust hinterlässt eine schreckliche Leere. Dabei war sich Milan immer sicher, das Richtige zu tun. Bis heute war er davon überzeugt, einen wichtigen Beitrag in dieser kalten Welt zu leisten.

Habe ich mich geirrt? Wie soll ich den Leuten helfen, wenn ich ihr nicht helfen konnte? Wenn ich mich von dem Mädchen verabschieden könnte.

Nur kurz beschäftigt sich Milan mit dem Gedanken, umzukehren und die Leiche zu bergen - ein junges Mädchen und auch seine kleine Freundin, deren Schicksal bitter zugeschlagen hat. Zu kurz war ihr Leben. Die Welt führt ihm erneut vor Augen, wie ungerecht alles sein kann. Sein Leben gegen ihres – es klingt fair und auch wenn Nekromantie ein Tabuthema in der Gesellschaft ist, wäre Milan bereit, sofort darauf einzugehen. Aber dafür bräuchte er die Tote. Alles müsse schnell gehen und doch gibt es einen Haken, denn Milan kennt keinen einzigen Nekromanten. Nicht mal Gerechtigkeit kann er seiner Freundin bieten, denn er fürchtet ihre Mörder. Gleichzeitig fühlt es sich falsch an, die Tote bei ihren Peinigern zurückzulassen. Das Kind verdient ein ordentliches Begräbnis im Kreise ihrer Liebsten und mit dem schönsten Blumenschmuck.

Die warmen Sonnenstrahlen bahnen sich einen Weg in die Betonröhre, in der sich Milan keuchend versteckt. Seine Beine zittern und Lunge brennt von dem langen Sprint. Die blauen Flecken sind bereits überall spürbar. Blessuren aus einem Kampf, dem er nicht gewachsen ist. Noch nicht. Milan musste einige Schläge einstecken. Die Schmach ist groß und als wäre die Niederlage nicht beschämend genug, hat er die Flucht ergriffen.

Seine Atmung ist flach und geht stoßweise. Sein Herz schlägt so schnell, dass Milan befürchtet, es spränge ihm jeden Moment aus der Brust. Mit dem Finger fängt er eine einzelne Träne auf und ein verzweifeltes Lächeln umspielt seine Lippen. Es ist lange her, dass er geweint hat. Zu glauben, seine Tränen sind bereits versiegt, war ein Irrtum.

Milan bekommt Gesellschaft. Blitzschnelle Flügelschläge und ein hoher Summton lassen ihn wissen, wen er vor sich hat. Seine kleine Freundin kann wirklich dankbar sein, dass die beiden in dieser aschgrauen Röhre nicht gesehen werden können. Ihr winziger Anblick verstört die meisten Menschen. Nur Wenige zeigen sich offen für unerklärliche Dinge. Milan fürchtet sich ständig davor, was seiner treuen Gefährtin zustoßen könne, wenn sie entdeckt und geächtet würde.


Aber wie kann ich meiner kleinen Seelenverwandten gerade jetzt in die Augen sehen? Nach all dem Misserfolg!

„Es wird Zeit, Milan", erreicht ihn die zuckersüße Stimme seiner Begleiterin.

Allein ihre Anwesenheit spendet dem jungen Geisterjäger Trost. Ein starkes Band der Freundschaft verbindet die beiden. Zwei Seelen, die durch dick und dünn gehen. Es ist die Zukunft, die Milan Sorge bereitet. Sein Auftrag - die Menschen vor dem Bösem zu beschützen - ist zwar nicht der lukrativste Job, aber die Arbeit erfüllt ihn mit Stolz. Nach dem Verlust seiner Freundin beginnt er zu zweifeln.

Zweifel gegenüber seiner Herangehensweise.

Zweifel gegenüber seiner Professionalität.

Zweifel gegenüber seiner Berufung.

Zweifel gegenüber seiner Person.

Milans Welt bricht in sich zusammen. Sein Herz schmerzt fürchterlich. Erneut zeigt sich das Schicksal von seiner grausamen Seite. Es lässt ihn vor Furcht zittern, denn erneut trachtet jemand nach seinem Leben und macht Jagd auf Milan. Auf ihn, einen Mann, der sein Leben ständig aufs Spiel setzt, um zu helfen. Der Lohn ist mies, die Schulden türmen sich auf und nie kann er sich an einen Ort niederlassen und es als sein Zuhause bezeichnen.

Seine Gedanken werden von seiner kleinen Freundin unterbrochen. Sie nennt ihn beim Namen. Beunruhigt und voller Ungeduld. Die Sorge steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ihr überhebliches Lächeln, das sie sonst ausmacht und mit dem sie ihn häufig ansteckt, ist wie weggespült. Die Falten auf ihrer Stirn lassen sie älter wirken. Ihr Blick ist voller Hektik, als fürchtet sie sich davor, entdeckt zu werden. Sie hat recht. Hier zu verweilen, wird sein Todesurteil bedeuten. Ihre Jäger werden die Spur wittern und ihn finden, wenn er nicht aus seinem Versteck kriecht und für Abstand sorgt. Milan ist geschwächt und leckt seine Wunden. Wird er gefunden, dann zerfleischen seine Jäger ihn. Noch einmal wird er nicht die Kraft aufbringen können, um zu entkommen. Milan kann von Glück sprechen, entkommen zu sein. Diese Mörder haben eine hochwertige Kampfausbildung genossen und bewegen sich schneller und geschickter. Lautlose Killer. Oft hat Milan sie nicht kommen gehört. Die Hetzjagd hat ihn an seine Grenzen gebracht. Noch immer schlägt sein Herz bis zum Hals hinauf. Nicht bereit, sich nach dieser anstrengenden Tortur zu beruhigen. Nicht solange ein gewisser Abstand zwischen ihnen besteht. Um ihnen das Wasser zu reichen, muss der Geisterjäger härter an sich selbst arbeiten. Um seine Zukunft kann er sich später noch sorgen.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt