Kapitel 1 - Teil 1

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Die Sonne blinzelt durch die vielen bunten Blätter. Wohin Skyla sieht, zeigt sich der Herbst von seiner schönsten Seite. In seinen prachtvollen und warmen Farbtönen entsteht ein kleines Kunstwerk. Einige Blätter verabschieden sich von ihren Bäumen und segeln gewärmt von den Strahlen der Sonne zu Boden. Wenige haben sogar den gleichen hellen Braunton wie Skylas Augen. Ein Spaziergang durch die gepflegte Allee verschafft dem neunzehnjährigen Mädchen gute Laune. Die Sommerhitze ist überstanden und das Wetter ist schön mild. Der zarte Herbstwind ist eingekehrt und pustet ihr ständig durch das himmelblaue Haar.

Unlängst war Skyla blond gewesen - langweilig. Aus der Menge herausstechen gehört eher zu Skylas Art. Sie hat Veränderungen gewollt und diese bekommen. Allein für den fassungslosen Blick ihrer Eltern hat sich dieser mutige Schritt gelohnt. Ihre verdutzten Gesichter haben Skyla zur Abwechslung köstlich amüsiert. Die beiden waren mit dieser Entscheidung nicht nur unzufrieden, schockiert trifft es wohl eher. Am Ende wird ihnen nichts anders übrig bleiben, als ihren rebellischen Look zu akzeptieren, denn Skyla hat sich in ihre neue Haarfarbe verliebt. Dieser Anblick wird nun zur Gewohnheit. Eine Farbe so blau wie der Äther an einem wolkenlosen Tag.

Enthusiastisch klettert Skyla auf ein Mauerstück. Es fällt ihr nicht schwer, die Balance zu halten, denn es ist nicht das erste Mal, dass sie auf Hindernisse steigt und mit ihrem Gleichgewicht spielt. Während sie einen Fuß vor den Nächsten setzt, lauscht sie den friedlichen Vogellauten, die lediglich von glücklichem Kindergelächter ergänzt werden. Sehnsüchtig visiert sie den Park an. Ein wundervoller Ort, um den Kopf frei zu bekommen. Aber es wartet Arbeit auf sie, denn das Essen kocht sich nicht von selbst. Skyla rundet das zehnköpfige Küchenteam im Restaurant ‚Zum Kräutergarten' ab. Die Kräuter und das Gemüse kommen größtenteils frisch aus dem Garten des Restaurants. Die Gäste dürfen sich auf eine gutbürgerliche Küche freuen und das zu erschwinglichen Preisen. Um den Namen des Restaurants zu ehren, wird auf jedem Teller das Gemüse besonders schön herausgeputzt. Die Kunst des Garnierens beherrscht das gesamte Küchenteam. Jeder Teller geht dekorativ gestaltet zum Kunden.

An ihrer Ausbildung hat Skyla große Freude. Nirgendwo würde sie lieber arbeiten. Es ist die Harmonie zwischen den Kollegen und ihrem Arbeitgeber, die sie schätzt. Ihr Ausbilder David unterstützt ihren Arbeitseifer und Wissensdurst. Von ihm hat sie bereits viel gelernt. Foodstyling, unerwartete Geschmacksexplosionen durch ungewöhnliche Komponenten oder handwerkliche Tricks, die fast kleine Kunstwerke sind – die Palette ihrer Skills ist dank ihm überdurchschnittlich. Seine coole und gelassene Art inspiriert seinen Schützling, sodass es Skyla kaum erwarten kann, mit ihm heute die Küche zu rocken. Selbst die Prüfungen, die im nächsten Jahr entscheiden, ob sie als Jungköchin durchstarten kann, sehen David und sie als keine Hürde an. Mit nur neunzehn Jahren als Jungköchin in ihrem Betrieb durchstarten - ein Gedanke, der sie mit Stolz erfüllt.

Der friedliche Moment wird mit einem Mal unterbrochen. Ein plötzlicher Schwindel überrascht sie wie ein Blitzschlag. Skyla hat ihren Schwächeanfall nicht kommen sehen. Mit Beinen wie Wackelpudding balanciert sie ihr Gewicht, während sich ein Schweißfilm auf ihrer Stirn bildet. Beunruhigt, sich eine Erkältung eingefangen zu haben und das Küchenteam möglicherweise vertrösten zu müssen, fährt sie sich mit den Fingern durch das Haar. Ihre Hand bleibt auf der Stirn liegen. Ihre Temperatur hat sich erhöht, wenn sie sich nicht irrt. Genervt lässt sich Skyla auf dem Mauerstück nieder. Das Bett für heute zu hüten und womöglich ihre albernen Eltern früher ertragen zu müssen, sind Dinge, auf die sie getrost verzichten mag.

Schnell ist ihre Wasserflasche aus dem Rucksack gekramt. Gerade, als sie zum Trinken ansetzt, machen ihre Hände ihr einen Strich durch Rechnung. Sie zittert zu stark. Noch hat sie Hoffnung, dass sich dieser schreckliche Moment legt. Ein Blick hinauf lässt sie zweifeln. Die Farben und Gestalten verschwimmen vor ihren Augen. Die fröhliche Welt verdüstert sich augenblicklich wie bei einer Sonnenfinsternis. Dunstwolken kriechen aus allen Ecken und verschlechtern die Sicht. Ungewöhnliche Schwaden in schillernden Farben. Ein surrealer Anblick. Fast magisch und doch so bedrohlich. Zwischen dem bunten Nebel bewegen sich mystische Schemen. Dunkle Schatten. Entstellte Gesichter, in denen sich Jähzorn oder Panik widerspiegeln. Verängstigt von der Veränderung sitzt Skyla stocksteif dort. Sie traut sich kaum, zu atmen. Aus Furcht, dass sich auch nur eine der Gestalten zu ihr dreht. Die Hoffnung, dass dieser Zustand schnell endet, schrumpft mit jeder weiteren Minute. Als wäre der Moment nicht schrecklich genug, dringen undeutliche Stimmen an ihr Ohr. Ihr Verstand behauptet daraufhin felsenfest, sie verdrehe die Realität. Das, was sie sieht und hört, sei ihr bekanntes Umfeld. Nichts, wovor sie Angst haben braucht. Aber ihr Herz fürchtet sich davor, dass dieser Zustand auf ewig anhält. Das Geräusch ihrer zusammengedrückten Flasche lässt Skyla aufschrecken. Ihre Hand hat das Plastikgehäuse ordentlich verbeult. Abgesehen von der seltsamen Form reicht der kleine Schreck aus, um Skyla zurück in ihre Welt zu holen.

Als die ersten Lichtstrahlen die Dunkelheit brechen, atmet Skyla erleichtert auf. Ein Hoffnungsschimmer. Sie muss sich einige Minuten gedulden, bis ihre gewohnte Welt zurück ins Licht tritt. Ihr Verstand hat recht. Die verzerrten Stimmen und merkwürdigen Schemen entpuppen sich als harmlose Passanten. Trotz der Entwarnung rührt sich Skylas Körper zuerst nicht. Der Schock sitzt tief.

Als ihr Arm ihr wieder gehorcht, setzt sie zum Trinken an. Der Kopf macht sich Gedanken, wie es hierzu kam. Übermüdung scheint ihr eine realistischere Erklärung als Drogen. Die letzte Party ist ewig her und in der Gastronomie ist Freizeit ein Mangelgut. Nur durch die Berufsschule hat sie etwas mehr Freiheiten als ihre Kollegen. Aber als Bücherwurm und Sammler von Mangas – japanische Comics - vergisst Skyla gerne mal die Zeit und geht später als geplant ins Bett. Es muss der Schlafmangel sein. Die logischste Erklärung und somit ihre neueste Ausrede. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, Teil einer fremden Welt geworden zu sein.

Vor ihren Füßen findet Skyla eine Botschaft aus zusammengelegten Stöcken und Steinen. Sie belächelt zuerst das Werk und hält es für etwas, das aus Langeweile entstanden ist. Jedoch wird sie stutzig, denn die Botschaft ist auf einer anderen Sprache verfasst. Zum Glück befindet sich in ihrer Kontaktliste ein Sprachengenie. Das Handy ist schnell rausgekramt und das Foto gelingt beim ersten Versuch.

Te salvere iubeo

Die Zahnräder in ihrem Kopf beginnen zu rattern und mit der Erkenntnis läuft es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Skyla kann schwören, dass die Stöcke vor wenigen Sekunden so nicht angerichtet waren. An dieser Stelle lag nichts rum. Nichts, was einem so ins Auge springen würde. Ein Blick auf ihre Handyuhr gibt Skyla Gewissheit, dass ihr Anfall nicht lang genug gedauert hat, um abwesend die Zeit zu verträumen.

Entweder war ich blind ...aber ...nein! Das glaube ich nicht. Ich bin mir so sicher, dass das hier vorher nicht da lag! Das ist alles ein ganz mieser Streit! Wo steckt die Ratte, die mich zum Affen hält?

Wütend wie ein Stier blickt Skyla umher. Bereit, den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Bis zu dem Moment, als sie sich an die Uhrzeit erinnert.

Die Arbeit! Ich darf hier keine Zeit mehr vertrödeln! Da hat der Scherzkeks verdammtes Glück gehabt! Aber das ärgert mich! Es ärgert mich einfach, dass sich jemand auf meine Kosten solch einen miesen Scherz erlaubt.

Gefrustet tritt Skyla einen Stein fort. Würde es nach ihr gehen, dann hätte sie sich jetzt auf Spurensuche gegeben. Aber es nützt alles nicht, denn die Arbeitspflicht ruft und doch nimmt sich Skyla den Moment, um das Foto zu versenden. Gespannt auf die Übersetzung erhebt sie sich. Ihre Beine versagen nicht den Dienst und so geht es diesmal abseits der Mauer weiter. Jedoch nur wenige Schritte. Überzeugt von ihrer Beobachtungsgabe zweifelt Skyla nicht, zwischen den Bäumen des Parks Silhouetten wahrzunehmen. Gestalten, die schnell von einem Versteck zum anderen huschen. Ihre gute Laune von heute Morgen hat sich bereits verabschiedet. Skyla hat genug von all den Streichen und fokussiert sich auf ihren Job. In ihrem Kopf geht sie bewusst die Abläufe und Vorbereitungen für heute durch.

„Skyla!"

Ein Flüstern weckt ihre Aufmerksamkeit und bringt ihr Blut zu Kochen. Es hört sich wie eine Kinderstimme an.

Zu hundert Prozent der Verantwortliche!

Genervt hält die junge Erwachsene inne. Ihr Blick schweift umher, doch niemand befindet sich in ihrem Umfeld. Selbst hinter den Bäumen scheint sich nichts mehr zu bewegen. Plötzlich aus unmittelbarer Nähe dringt ein Kinderlachen an ihr Ohr. Skyla spürt, wie sich ihre Nackenhaare sträuben. Ausgerechnet jetzt meldet sich ihr Handy zu Wort. Kaum vibriert es in ihrer Hand, schreckt Skyla zusammen. So schnell hat sie mit keiner Antwort gerechnet. Laut dem Sprachengenie handelt es sich bei der Botschaft um Latein und bedeutet ich heiße dich willkommen. Eine Information, die Skyla kein bisschen besser fühlen lässt. Es wird unheimlich. Kühl und bedrückend. Jemand beobachtet sie und kennt ihren Namen. Ein Streich auf ihre Kosten.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt