Kapitel 22

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Der Anblick des pelzigen Insekts weckt Skylas Neugier und zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen. Ein Blick in den Spiegel sorgt für Verwirrung. Statt einer jungen Erwachsenen findet Skyla sich in einem Männerkörper wieder. Ein kahlköpfiger Kerl mittleren Alters, der aufgrund seiner Kurzsicht eine Brille trägt. Es ist verhext, denn Skyla hat keinerlei Kontrolle über den Körper. Sie ist ein stiller Zuschauer, der fremde Emotionen durchlebt. Die Räumlichkeit, in der sie steckt, wird dunkel gehalten und nur in den vielen Terrarien, um sie herum, leuchten einige Röhrenlampen. An den Wänden hängen Poster von Insekten, Fröschen und Schlangen. Das Ticken einer Uhr ist nah und im Fenster eines Glaskastens spiegelt sich eine Tafel wieder. Das Medium wird das Gefühl nicht los, sich in einer öffentlichen Einrichtung zu befinden. Es ist schwer zu sagen, ob es sich hier um eine Schule oder ein Labor handelt. Dafür ist es einfach zu dunkel.

Skyla muss sich nur konzentrieren und lauschen, denn dank ihrer Fähigkeit kann sie alles über den Besitzer dieses Körpers in Erfahrung bringen. Die Informationen sind zum Greifen nah, schließlich steckt sie in seinem Kopf. Das Medium hat Zugriff auf sämtliche Erinnerungen. Wäre da nicht das Sicherheitsschloss, das sie zuerst knacken muss. Ihre Macht passt gut zu ihr, denn statt mit Feingefühl einen magischen Dietrich zu verwenden, haut ihre Macht mit Karacho zu und beschädigt die Sicherheitsmaßnahme. Es fühlt sich fast so an, als arbeitet Skyla in der Personalabteilung und vor ihr liegt ein riesiger Haufen Blätter, wo das gesamte Leben dieses Kerls aufgelistet wird. Jedes noch so kleine Detail, jede Vorliebe, jede Angst und auch jede Schwäche sind dort zu finden. Fein säuberlich, so wie die Akte, die Justin ihr in die Hand gedrückt hat.

Mit einem Schlag wird dem Medium bewusst, wie gefährlich diese Fähigkeit ist. Ein wenig Training plus die falsche Einstellung und schon ist der Schaden enorm. Durch die blaugrauen Augen des Mannes namens Benjamin muss sie mit ansehen, wie er die Hand nach der Vogelspinne ausstreckt. Eigentlich würde sich Skyla ekeln und sich vor der Berührung fürchten. Denn sie ist kein Freund von Spinnen. Und doch fühlt sich dieser Moment besonders an.

Voller Erwartungen beobachtet Skyla jeden noch so kleinen Schritt des Insektes. Dank Benjamins Faszination offenbart sich ihr Einiges über die Krabbeltiere. Seine Bewegungen müssen ganz langsam sein. Ruhe und Geduld sind der Schlüssel zum Erfolg. Das Tier darf sich nicht bedroht fühlen. Die Folge wäre gravierend. Nicht umsonst handelt es sich hier um einer der giftigsten Spinnen. Einen Grund mehr, um auf großen Abstand zu bleiben. Doch hierauf hat Benjamin bereits lange entgegengefiebert.

Voller Spannung beobachtet Benjamin durch seine Brille, wie die Spinne tatsächlich auf seine Hand krabbelt. Ein Moment, der das Herz des Spinnenliebhabers erwärmt. Die Erinnerung fällt kurz darauf in sich zusammen, denn die Fassade bröckelt. Je mehr Löcher in der Wand entstehen, desto mehr kommt von der röhrenförmige Gang der U-Bahnhaltestelle zur Sicht. Bis die Fundamente der vergangenen und vor allem fremden Welt nachgeben und der Gestank nach Bier Skyla zurück in ihre bekannte Realität zurückholt. Ein strahlendes Lächeln klebt noch eine ganze Weile in ihrem Gesicht, bis dieses wunderschöne Gefühl schwindet und sie die Erinnerung mit der Spinne verarbeitet. Für einen Moment fragt sich das Medium, wie man Spinnen so mögen kann. Sie schüttelt sich und überall auf ihrem Körper scheint es zu Krabbeln. Aber nichts ist zu sehen. Die Atmung ist schwer.

„Es war eine Erinnerung! Anders kann es nicht sein!"

Sie ist sich so sicher.

Kai hat jedoch keine gute Nachricht für sie: „Das Secruity ist auf dich aufmerksam geworden. Schau mal besser, dass du ganz schnell diesen Ort verlässt."

Skyla atmet genervt aus.

Wird mir überhaupt mal eine Pause gegönnt?

Tatsächlich sieht das Medium die Wachleute aus der Ferne. Einige Gesichter erkennt Skyla unter den Leuten wieder, die das Personal zu ihr lotsen. Kurzfristige Begegnung vor Ort, während die Kreatur sie jagte. Ihre wackelige Haltung zeigt Skyla, dass solch eine Macht nicht spurlos an ihr vorbei geht. Ihre Bewegungen folgen zögernd und das Atmen fällt ihr noch schwer. Dennoch nutzt sie jede Gelegenheit, um in der Menge unterzutauchen und den Bahnhof eilig zu verlassen. In all dem Trubel vergisst sie jedoch Lukas.

Der nächste Zwischenstopp erfolgt an einer Bushaltestelle. Grund dafür sind ihre Erschöpfung und die Kurzatmigkeit. Ihre Oberschenkel brennen vom Sprint und auch wenn die Sitzplätze an der Haltestelle belegt sind, bietet sich der Brunnen als Ruheort an. Nach Luft ringend pflanzt Skyla ihren Hintern auf den Brunnenrand, wofür ihre zitternden Beine ihr danken. Mit der Zeit erreicht das laute Stadtleben ihre Ohren. Geräusche wie die brummenden Motoren der Fahrzeuge, das Hupen verärgerter Fahrer, das Geschnatter unter den Schülern und die Klingel eines Fahrradfahrers.

„Nicht schlecht", lobt der Bär sie.

„Das wird immer schlimmer", macht sich das Medium eher Sorgen.

Sie hebt ihr Handy und blickt auf die Überreste von diesem widerlichen Schleim. Zögernd wählt sie Milans Nummer und ruft ihn an. Sie traut sich kaum, das kontaminierte Gerät ans Ohr zu legen, schließlich hat sie das Zeug dann in den Haaren.

Milan nimmt ihren Anruf zum Glück sofort entgegen. „Was kann ich für dich tun, Süße?"

„Hör auf damit!" Wird sie unbewusst biestig und registriert dies einige Sekunden später, woraufhin sie laut seufzt. Der arme Kerl kann ja nichts für diese Begegnung. „Entschuldige. Mir ist gerade nicht zum Spaßen. Ich habe irgend so ein großes Vieh niedergestreckt und es hatte mein Handy im Magen. Mein Handy! Mein verdammtes Handy, womit ich nun telefoniere! Danke Kai dafür, dass er mich erinnert hat, dass ich meine Kräfte dafür einsetzen kann, um mir meinen Besitz wiederzuholen."

Fix und fertig mit den Nerven blickt sie auf. Der Tag ist für sie heute gelaufen und wenn so Milan Alltag aussieht, gibt sich Skyla auch mit den unmenschlichen Arbeitszeiten zufrieden, die von der Gastronomie ausgehen.

„War es aggressiv?", stellt Milan diese wirklich dumme Frage.

„Nein, es wollte nur kuscheln!", kommt sie ihm mit Sarkasmus.

„Es war also auf dich fixiert. Wann hat es dich bemerkt?"

„Als ich dem Ding in die Augen gesehen habe." Sein verzweifeltes Seufzen entgeht ihr nicht und Skyla reagiert etwas zornig darauf. „Ja, entschuldige, dass ich die Dinger sehen kann! Ich wünschte, es wäre auch anders!"

„Du bist aufgewühlt, dann solltest du nicht allein sein. Ich hole dich ab. Wo bist du?"

Skyla schüttelt verzweifelt den Kopf, bevor sie ihn daran erinnert: „Ich bin verabredet und ich weiß noch gar nicht, wie ich meine Verspätung erklären soll. Als ich dich anrufen wollte, weil ich nicht wusste, was zu tun ist, habe ich ausversehen Lukas angerufen. Er ist nicht gut auf dich zu sprechen, aber er wird erkennen, dass ich ihn anlüge. Ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich mich verwählt habe und dann ausgerechnet dich anrufe, obwohl ich mit ihm eigentlich schon längst verabredet bin." „In deiner Verfassung sollte du einen Moment mal an dich denken", findet der Geisterjäger.

Vielleicht hat Milan gar nicht so Unrecht. Nur wird sie bei ihren Eltern wohl kaum entspannen können. Lukas wäre der Erste, der dort auftaucht, wenn sie nicht am gewünschten Treffpunkt auftaucht. Beim Geisterjäger würden Mia und Justin nerven, womöglich hat Emilie Zeit.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt