Kapitel 3 - Teil 1

185 36 81
                                    

Der gewohnte Alltag meldet sich zurück. Erbarmungslos, als wäre nichts geschehen. Dankbar dafür, das Haus nach dem ereignisreichen Wochenende zu verlassen, denn die Freizeit vergiftet ihre Gedanken. Ständig erwachen die schrecklichen Erinnerungen an den Tatort und an die Bestie, die sie mit ins Krankenhaus nahm. Noch immer findet Skyla wenig Schlaf. Ihre Augenringe haben sie bereits bei ihren Eltern verraten, sodass Skyla fürchtet, ihre Klassenkameraden werden aufgrund dessen Fragen stellen, die sie nicht bereit ist zu beantworten. Der Schrecken ist überstanden und die Narben frisch. Es muss schnell Ablenkung her. Das Leben geht weiter und ewig mag sie sich nicht in ihrem Zimmer verkriechen. Im Licht der Sonne und umgeben von Fußgängern fühlt sich Skyla sicher. Aber das vergangene Abenteuer hinterließ Spuren, denn wenn ihre Gedanken kurz abdriften, erscheinen schon die Bilder vor ihrem inneren Auge. Der Sturz, die Autos und nicht zu vergessen die bizarre Gestalt über der Leiche.


Ein Stechen im Arm holt Skyla zurück in die Realität. Mit schmalen Augen entdeckt sie die Mücke, die sich ihre Tagträumerei zum Vorteil gemacht hat und sich mit einem geschickten Ausweichmanöver aus der Gefahrenzone begibt. Ein lästiger Stich, der sicherlich schon bald zu jucken beginnt, und doch als ein kleines Schlupfloch aus der dunklen Höhle dient, deren Tiefen sie noch immer verschlingen wollen. Zögernd setzt Skyla am Montagmorgen ihren Weg zur Berufsschule fort. Ein Blick in den Himmel bessert ihre Laune. Ein traumhafter Sonnenaufgang erfüllt ihr Herz mit Freude. Ein zartes Rosa und ein heller Orangeton verschmelzen miteinander zu einem prachtvollen Kunstwerk. Die Flugzeuge hinterlassen Kondensstreifen, die in einem Winkel fallen als wären es Sonnenstrahlen. Die Natur lindert Skylas Stresslevel mit einer einzigartigen Kulisse und den friedlichen Vogellauten.


Der schnellstmögliche Weg zur Berufsschule ist mit der U-Bahn verknüpft, danach ist der Fußweg nur noch ein Katzensprung. Daher geht es hinab in den Untergrund. An den Bahngleisen lässt das Rascheln einer Zeitung Skyla aufblicken. Einige Fetzen der vergangenen Nacht werden in ihrem wirren Kopf aufgerufen. Dem Schockzustand verschuldet war die Umgebung nach dem Leichenfund wie ausgeblendet und doch erkennt sie das Gesicht dieses jungen Kerls wieder. Unter all den Schaulustigen stach er mit seiner auffälligen Haarfarbe aus der Menge heraus. Sie schätzt ihn nur ein paar Jahre älter. Seine Haare sind in der Mitte rubinrot und frech gestylt. Die gekürzten Seiten dagegen glänzen rabenschwarz mit einem bläulichen Stich, je nachdem, wie das Licht fällt. Wären die Umstände anders, dann hätte sie sich zu ihm gesetzt und ihn auf seine Frisur angesprochen. Das Farbenspiel gefällt ihr so gut, dass sich Skyla im Kopf bereits ausmalt, ob der Look ihr ebenfalls stehen könne. Damit würde sie mit großer Sicherheit für eine Schnappatmung bei ihren Eltern sorgen, die leider wenig offen für Neues sind.


Das Gefühl, beobachtet zu werden, rüttelt Skyla wach und tatsächlich mustern die grauen Augen des Fremden sie kritisch. Sie droht in einer unendlichen Tiefe aus flüssigem Silber zu versinken. Ein Ort voller Geheimnisse und sicherlich der einen oder anderen Überraschung.

Ob er mich wohl wiedererkennt?


Die Knitter auf dem weißen Hemd springen ihr sofort ins Auge. Auch der Staub auf der schwarzroten Weste schafft es nicht, sich vor ihr zu verstecken. Er kombiniert diese mit einer schwarzen Hose und Sportschuhen. Ein Ohrring mit goldener Fassung reflektiert das Licht, sodass Skylas Blick daran hängen bleibt. Der rote Stein hat die Form eines Tropfens und erinnert Skyla an einen Rubin. Allein das hochwertige Material des Verbindungsstückes zwischen dem Anhänger und dem Verschluss verrät ihr, dass es sich um keinen billigen Schmuck handelt. Damit wäre dieser junge Mann, der erste männliche Kandidat mit einem Ohrring, den sie sieht. Auf Skyla wirkt es wie ein kleiner Schatz. Ein persönlicher Gegenstand, der eine Geschichte zu erzählen hat und dem Besitzer nicht aufgrund des materiellen Werts wichtig ist. Denn ginge es hier ums Prunken müsste alles an dem Outfit stimmen. Das Hemd dürfte in diesem Fall nicht geknittert sein und all der Dreck auf der Kleidung wäre auch nicht erwünscht. Und doch ist das edle Schmuckstück auf Hochglanz poliert und so in Szene gesetzt, dass keine einzige Haarsträhne dieses verdeckt.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt