Kapitel 27 - Teil 1

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Fit für diese anstehende Klausur geduldet sich Skyla auf die Blätterausgabe, um losstarten zu können. Emilie hingegen sieht hilfesuchend zu ihr rüber, aber das kennt bereits ihr Lehrer für Produktpflege und Entwicklung - kurz PEP genannt. Er trennt die beiden Mädels voneinander und wirft Skylas Freundin einen warnenden Blick zu. So gern das Medium Emilie hat, ist Skyla dankbar dafür. Der schwarze Lockenkopf muss endlich lernen, ihre Ausbildung ernst zu nehmen. Sie kann nicht hoffen, dass ihre Freundin ihr jedes Mal den Reifen flickt, wenn dieser an Luft verliert. Denn in der Prüfung ist Emilie so oder so auf sich allein gestellt und aufgeschmissen, wenn sich nicht endlich etwas ändert.

Mit dem Schulstoff ist Emilie seit Beginn an auf Kriegsfuß. Das ist eine Tatsache. Wenn sich die beiden zum gemeinsamen Lernen treffen, geht Emilie schnell die Konzentration flöten. Eigentlich sehr schade, denn sie ist eine hervorragende Köchin. Bei ihr kann Skyla wirklich behaupten, sie kocht mit Liebe. Laut Emilie ist die Geheimzutat ihr Gesang. Das Medium schmunzelt immer wieder darüber. Denn auch wenn ihre Klassenkameradin ein hübsches Stimmchen hat und sie gerne ihren Liedern lauscht, liegt es an Emilies perfekt abgestimmter Harmonie zwischen den Produkten. Ihre Kombinationen sind rund und im Einklang miteinander. Zurück bleibt eine einzige Symphonie auf der Zunge und verzaubert den Gast. Ein beneidenswertes Talent, das hoffentlich nicht untergeht, weil allein der Anblick von Schulbüchern das Grauen in ihr hervorruft. Emilies Plan B ist eine Karriere als Sängerin, was sich Skyla zwar auch gut vorstellen kann und dennoch bedauern wird. Es ist schwer zu sagen, ob Emilie das Kochen dann komplett aufgibt, schließlich sind Sänger sehr beschäftigte Leute und es wäre so schade, wenn sie nie mehr von Emilie bekocht wird.

Nun endlich kommt ihr Lehrer bei Skyla an und legt ihr das Blatt umgedreht auf den Tisch. Selbst ihr gilt ein warnender Blick, weil er weiß, wie sehr die beiden Freundinnen zusammenhalten. Emilie muss nur hübsch mit den Augen klimpern und schon gibt Skyla nach. Wenn auch meckernd. Ein Blick auf das weiße Blatt vor ihr und Skyla kann es kaum erwarten, zu starten. Lagerhaltung – ein Thema, das sie belächelt. Wenn sich das Küchenpersonal ausführlich mit den Produkten beschäftigt, dann sollte dies kein Problem sein. Skyla kennt es nicht anders durch ihren Betrieb. Einige Waren werden durch bestimmte Vorgänge länger haltbar gemacht. Dann wird sich mit der Frage beschäftigt, wie das Produkt gelagert werden darf. Muss es gekühlt werden und verträgt es sich mit anderen Produkten nicht. Dann gibt es Faktoren wie zum Beispiel das gasförmige Pflanzenhormon Ethylen, das den Reifegrad beschleunigt, sodass es ratsam ist, diese stark betroffene Ware von anderen Lebensmitteln zu trennen. Anders als bei Skyla befinden sich in ihrer Klasse Köche aus einer gehobenen Küche, die sich mit ganz anderen Zutaten beschäftigen. Während der Kräutergarten auf heimische Produkte, größtenteils aus dem Eigenanbau heraus, zurückgreift, arbeiten ihre Klassenkameraden mit wahren Exoten. Aus den Gesprächen mit ihnen hat sie bereits so einige Tipps und Tricks mit auf dem Weg bekommen. Aber der Kochstyle von ihrem Arbeitgeber färbt auf das Medium ab. In ihrem privaten Warenkorb landen meist regionale und heimische Zutaten. Wenn sie durch die Arbeit verhindert ist, dann werden Mutter und Vater auf den Bauernmarkt geschickt. Das First In und First Out System verwendet Skyla auch in ihrem privaten Bereich. Das Älteste wird immer zuerst verbraucht. Eine eiserne Faustregel.

Ein Ruf zwischen Tür und Angel durchbricht die Stille. „Herr Merno, ist das die Klasse O3?"

Neugierig drehen sich die Schüler zur Tür, wo zwei fremde Schüler eintreten. Die beiden haben ein starkes Selbstbewusstsein. Der Rücken ist durchgestreckt, der Kopf erhoben und in ihren Blicken brennt ein Feuer aus Entschlossenheit. Das Mädchen mit dem honigblonden Haar lächelt kokett, dabei wirkt es auf Skyla unnatürlich und vorgespielt. Die Frisur ist streng zu einem Pferdeschwanz gebunden und da ist etwas an ihr, dass das Medium beunruhigt. Ein schlechtes Bauchgefühl. Eine Vorahnung. Irgendetwas, das ihrem Körper Gefahr signalisiert. Die eisblauen Augen der jungen Dame ruhen auf den älteren Herr Merno, der am Pult sitzt und genervt die Augen schließt.

Skyla hört ihn murmeln: „Natürlich! Ausgerechnet jetzt, wo ich den Test beginnen möchte!"

Das wunderschöne Mädchen hat eine makellose Haut und trägt eine Bluse mit Krawatte auf dem roten Seidenrock. Sie hat sich für eine schwarze Strumpfhose und ein bequemes Schuhwerk entschieden. Teure Kleidung und von hochwertiger Qualität, sodass Skyla sich sicher ist, dass die beiden mehr als gut verdienen. Der Junge neben der Blondine hat naturrotes, welliges Haar. Er blickt mit seinen ebenfalls eisblauen Augen gelangweilt durch die Klasse und trägt auf seiner dunklen Jeans ein Hemd. Lässig hat er seine Tasche auf den Rücken geworfen. Die Mädchen tuscheln bereits fleißig und als es zu einem Blickkontakt kommt, wird aufgeregt geflüstert, als wären Skylas Klassenkameradinnen von seinem Charme und seinem guten Aussehen verfallen. Das Medium rollt die Augen und kann nur den Kopf schütteln. Dennoch entgehen ihr gewisse Ähnlichkeiten zwischen den beiden nicht. Es sind einige Merkmale im Gesicht, die zu identisch sind. Die Nase, die Augenbrauen und die gleichen Augen. Sicherlich handelt es sich hier um Zwillinge.

„Sind wir hier richtig?" Wird das Mädchen ungeduldig. „Oh, stören wir bei einem Test?"

„Janik und Tanja Rose?", ahnt Herr Merno.

„Genau, wir sollen den Betrieb hier in der Stadt kennen lernen. Da wir aber noch in der Ausbildung sind, gehört die Berufsschule weiterhin dazu", erklärt sich Tanja freundlich. Weiterhin mit diesem unechten Lächeln auf ihren schmalen Lippen.

Herr Merno will es einfach nicht wahrhaben und schüttelt seinen Kopf ratlos. „Unfassbar, ein Wechsel kurz vor den Weihnachtsferien!"

„Das geht klar, so sind wir dieses Jahr zu Weihnachten bei meiner Tante untergebracht", berichtet Tanja ihm aufgeregt.

Ihr Lehrer für PEP hat sich noch nie für das Privatleben seiner Schüler interessiert und die Haare stehen ihm zu Berge, als Tanja ihm aufgeregt von ihrer Tante berichtet. Der arme Kerl schlägt sich die Hände vor die Augen, stützt seinen tonnenschweren Kopf, als würde dieser jeden Moment platzen. Selbst Janik kann sie nicht bremsen, denn Tanja hat so viel zu erzählen. Nur reißt Herr Mernos Geduldsfaden.

Verzweifelt blickt die Lehrkraft auf und hebt die Stimme: „Genug! Wollen Sie die Klausur über Lagersysteme mitschreiben? Ein einfaches Ja oder Nein würde ausreichen!"

Janik blickt alles andere als begeistert und sucht Blickkontakt zu Tanja. „Muss das sein?"

„Aber selbstverständlich, Herr Lehrer. Wo dürfen wir uns setzen?", entscheidet die Blondine für die beiden und faltet die Hände freudig zusammen.

Dabei ignoriert sie gekonnt Janiks entnervte Seufzen.

Tanja sucht bereits nach freien Plätzen. Etwas, das Emilie nicht entgeht und Hoffnung in ihr aufkeimt.

„Hier ist noch frei", ruft sie freudig.

Oh, Emilie! Du musst lernen auf eigenen Beinen zu stehen! Verlasse dich nicht immer auf andere!

„Nein, nein und nein! Emilie neigt gerne zum Abschreiben. Setzen Sie sich überall hin, nur nicht zu ihr", besteht Herr Merno darauf.

Emilie brummt mürrisch, woraufhin sich Lehrer und Schülerin böse Blicke zuwerfen. Skyla entgeht nicht, dass Janik ihre Freundin neugierig betrachtet. Anscheinend zählt er mit zu der langen List von Emilies Verehrer.

„Wow, Mädchen, du hast blaue Haare", staunt Tanja, als sie elegant zwischen den Reihen läuft und ausgerechnet bei Skyla innehält.

Neue Bekanntschaft! Falsches Lächeln! Ablenkung vor der Klausur! Es droht Gefahr! Kannst du nicht einfach weiterlaufen und deinen Hintern, woanders hinpflanzen?

Nur zu gern möchte das Medium ihre Gedanken aussprechen, aber einen Streit oder eine Diskussion wegen ihres trotzigen Verhaltens mit ihrer Lehrkraft sind Dinge, die sie jetzt vor der Arbeit unnötig ablenken würden.

„Mhm", entscheidet sich Skyla stattdessen für ein Brummen. In der Hoffnung, abschreckend zu wirken.

Alles, was ich für diese Klausur gelernt habe, möchte nun endlich zum Einsatz gebracht werden. Nach der Klausur kann ich mich immer noch nett unterhalten.

Dankbar dafür, dass sich die Neue stumm von ihr entfernt und woanders hinsetzt, betrachtet Skyla den Zettel vor ihr. Nachdem die beiden Fremden ebenfalls ausgestattet werden, folgt das Startsignal.

Nebenjob GeisterjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt