9. Kapitel

14.8K 633 60
                                    

Ich war so durcheinander über sein Verhalten, dass ich einfach nur sprachlos vor ihm stand.

Wo er mich drinnen noch abwertend angeschaut hatte, stand er jetzt mit einem besorgten Blick vor mir und musterte mich von oben bis unten. Es war mir einerseits unangenehm, anderseits gab es mir die Zeit ihn auch genauer zu betrachten.

Er war groß, sogar ein Stück größer als Chace. Seine schwarzen Haare brauchten kein Gel oder Haarspray um perfekt zu liegen und auch sein Style passte perfekt zu seiner Größe und seinem schönen Gesicht, in dem ein Dreitagebart Platz fand.

"Hier.", zog er seine schwarze Jacke aus und legte sie vorsichtig um meine Schultern. Ich hätte ihn zu gerne gedankt, doch verharrte immernoch in dieser Starre.
"Du solltest jetzt nach Hause gehen.", meinte er. "Bring die Jacke morgen einfach her und lass sie bei Eddie."

Mit diesen Worten machte er einige Schritte rückwärts und drehte sich um, um mich alleine in der Dunkelheit stehen zu lassen. Ich war zwar wirklich dankbar über die wärmende Jacke, die angenehm nach ihm roch, aber wieso bot er nicht an mich nach Hause zu bringen? Verlangte ich zu viel? Wahrscheinlich, wie immer.

Ich atmete tief durch, blickte ihm nochmal gegen seinen Rücken und wandt mich dann wieder der Strasse zu, wo plötzlich Rudi mit seiner Schrottkarre auftauchte. Bevor ich einstieg schaute ich mich nochmal um und nahm wahr, dass Chace mittlerweile bei dem Unbekannten stand und beide mich beobachteten während sie flüsterten. Ich schüttelte mit einem mulmigen Gefühl den Kopf und lief um das Auto herum, um einzusteigen und den Blicken zu entflüchten.

"Chace meinte, dass du nach Hause möchtest.", meinte Rudi als ich einstieg und ich nickte ihm nur zu. Ja, Chace meinte vieles, aber das er mich einfach ignoriert hatte und mir sogar riet, mich von anderen fern zu halten als wäre er mein Vormund, dass hatte er nicht erwähnt.

Wir redeten die kurze Fahrt über nicht miteinander. Ich war nur damit beschäftigt an seiner Jacke zu riechen und in die Dunkelheit zu starren. Der Alkohol zeigte nur eine kleine Wirkung, so wurde mir in Kurven übel und ich musste das Fenster runter kurbeln um etwas kühle Luft abzubekommen, die die Übelkeit zum Glück weg pustete.

Angekommen vor Lisbeths Haus, sah ich sie am Hauseingang mit einem älteren Herrn sprechen. Ich schaute kurz rüber zu Rudi und bedankte mich und stieg dann zögerlich aus. Kaum die Tür des Autos zugeknallt, starrten mich die beiden freudig an.
"Oh, Chiara. So früh hatte ich dich nicht erwartet. Ist alles in Ordnung?", meinte meine Oma als ich auf die beiden zuging. Ich hörte Rudis Auto weg fahren und ließ den Mann neben Lili nicht aus den Augen.

"Erzähle ich dir später.", antwortete ich ihr und wartete auf eine Erklärung, wer dieser Mann hier wohl war.
"Oh entschuldige. Das ist Erwin. Erwin, das ist Chiara, meine Enkelin.", stellte sie uns lächelnd vor und der Mann mit dem langen grauen Mantel und den dazu passenden grauen Haaren, streckte mir höflich die Hand entgegen.

Ich erwiderte seinen Handschlag und schaute zwischen den beiden nochmal hin und her, um anschließend ins Haus zu verschwinden.
"Ich komme auch gleich.", teilte mir meine Oma noch mit und zog die Haustür bei, als ob ich nicht hören sollte, was sie zu besprechen hatten.

Es nervte mich, dass anscheinend auch noch meine eigene Oma damit anfing, mir Sachen vor zu enthalten, aber vielleicht war der Kerl auch nur eine heimliche Affäre und sie wollte nicht, dass ich es weiss.

Zerknirscht ließ ich mich auf der Couch nieder und steckte meine kalten Hände in die Taschen der warmen Jacke, da spürte ich, dass er wohl nicht daran gedacht hatte, sie vorher zu entleeren.

Neugierig zog ich die Jacke aus und kramte in ihr herum. Da waren Zigaretten, ein Feuerzeug, ein kleines Fläschchen seines Parfüms und ein zusammen geknüllter Zettel. Ich öffnete ihn und riss die Augen auf, als ich meinen Namen durchgestrichen darauf vor fand.

Vor lauter Verwirrung musste ich mich kurz beruhigen und atmete tief durch. Den Zettel immernoch in der Hand fragte ich mich, woher er meinen Namen überhaupt wusste und wieso dieser durchgestrichen auf einem Zettel in seiner Jacke steckte.

"Wessen Jacke ist das?", kam meine Oma mit eine Glas Rotwein aus dem Flur geradewegs auf mich zu. Ich knüllte den Zettel hektisch zusammen und steckte ihn zurück in die Jackentasche.

"Ich hab keine Ahnung.", gab ich ihr zurück und sie schaute mich daraufhin verwundert an. Ich konnte ihren Blick vollkommen nachvollziehen, denn ich war selbst mehr als nur verwirrt von dem ganzen Abend. Schnell versuchte ich das Thema zu wechseln.

"Wer war dieser Erwin?", schaute ich sie an und sie setze sich auf die andere Seite der Couch.
"Ach. Er klärt nur meine Finanzen. Die Rente von deinem Opa reicht zwar, um das Haus zu halten, aber für mehr eben nicht."
Sie wich meinem Blick aus und starrte auf ein Foto auf der Wohnwand, auf dem sie und Opa vor diesem Haus standen und sich lächelnd ansahen.

"Aber dafür bin ich doch hier. Ich werde morgen versuchen eine Arbeit zu finden. Es gibt ja, obwohl das nur ein kleiner Ort mitten im Wald ist, anscheinend genug Bars und Kneipen wo ich aushelfen könnte."
Sie lächelte mich dankend an und nippte am Rotwein.
"Das musst du nicht tun. Wir schaffen das auch so. Ich hab noch einige offene Geschäfte laufen und wenn eins davon gut ausgeht, dann haben wir ausgesorgt.", meinte sie mit einem Zwinkern und meine Mine wurde wieder nachdenklich.

"Was für Geschäfte?"
"Ich mache in Kunst, Chiara. Ich hab auf dem Dachboden einige wirklich sehr teure Werke. Ich versuche sie im Moment zu verkaufen, aber hier in dem Ort erweist es sich als schwierig etwas so wertvolles in gute Hände zu geben.", lachte sie und ich musste mitlachen. Hier waren wirklich nicjt die Sorte Leute vertreten, die an Kunst Interesse zeigen würden, ausser einer.

"Ich kenne jemanden, der irgendwie nicht so modern scheint wie die anderen. Ich kann ihn ja mal fragen ob er Interesse hat.", lächelte ich ihr entgegen und dachte dabei an Ludwig. Sie schaute mich verwirrt an.
"Du meinst doch nicht Chace?", fragte sie und ich schüttelte verneinend den Kopf.
"Ich hab noch andere Leute kennen gelernt.", grinste ich und nahm mir die Jacke und alles was noch auf der Couch lag, gab ihr einen Kuss auf die Wange und verabschiedete mich hoch in mein Zimmer.

_
1064

The human Mate - Seelen der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt