56. Kapitel

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Vor meinem Fenster brachte die aufgehende Sonne mir eine etwas bessere Laune, auch wenn ich mich immer noch zerissen fühlte. Ich wusste nicht mehr, was ich als nächstes tun sollte, wie ich weiterleben sollte. Das alles ging mir so dermaßen auf die Nerven, aber ich wollte nicht ausrasten, aus Angst, ich würde mich vor lauter Wut wieder verwandeln.  So lag ich also da, in meinem weichen Bett und akzeptierte den momentanen Zustand. Was anderes blieb mir nicht übrig.

Ich erhob mich langsam und schob die warme Decke beiseite, um aufzustehen und mich zu strecken. Meine Knochen und Muskeln fühlten sich müde an, womöglich war das eine Nachwirkung der Verwandlung. Mit Blick aus dem Fenster lief ich auf meine Kommode zu und holte frische Unterwäsche, meine rote Bluse und eine schwarze Jeans heraus, um mich, nachdem ich die weißen Gardinen zugezogen hatte, umzuziehen.

Bevor ich dann fertig mein Zimmer verließ, band ich meine Haare zu einem hohen Zopf und atmete tief durch. Ich wusste, dass ich mich entschuldigen musste, es fiel mir nur nicht so leicht, wie gedacht. Immerhin hatte sie mir etwas vorgemacht und mich hierher geholt, in dem Wissen, ich würde wahrscheinlich für immer bleiben müssen.

Vorsichtig tapste ich die Treppenstufen herunter und schaute durch die Küchentür, wo meine Oma mit dem Rücken zu mir stand und in ihrem Kaffee herumrührte.
"Guten Morgen", begrüßte ich sie und stellte mich an ihre Seite, was sie dazu brachte, sich zu mir zu drehen.
"Guten Morgen", erwiderte sie und schüttete mir Kaffee in eine der leeren Tassen ein.

"Chiara, es tut-"
"Nein, du musst das nicht. Es ist okay", unterbrach ich sie und dachte dabei an ihr weinendes Gesicht des Vortages, was mir genau zeigte, wie leid es ihr tat.
"Also... was hast du heute vor?"
Sie sah aus, als wüsste sie nicht mit mir umzugehen und stellte diese Frage auch sehr vorsichtig, woraufhin ich ihre Hand nahm und lächelte, um ihr ein gutes Gefühl zu geben.

"Ich weiß es noch nicht, aber ich wollte jetzt erstmal zu Ludwig."
"Möchtest du nichts essen?"
"Nein, ich esse unterwegs."
Sie nickte mir zu, während ich meine Tasse  nahm, um einige Schlücke zu trinken und dann die Küche verließ, um im Flur meine Schuhe anzuziehen.

"Ich hab dich lieb, Chiara", murmelte sie im Türrahmen stehend und ich nahm sie daraufhin liebevoll in den Arm. Ich wusste, warum sie mir alles verschwiegen hatte  und ich hatte genug mit mir selbst zu kämpfen, als das ich noch sauer auf andere sein konnte.
"Ich dich doch auch."

Lächelnd löste ich mich von ihr und verließ dann das Haus, um endlich den Blonden zur Rede zu stellen. Selbst wenn sich so vieles verändert hatte, nach unserem letzten Treffen, gab es noch vieles, worauf ich ihn ansprechen wollte.

Die Sonne schien hell und gab mir ein schönes Gefühl auf der Haut und es war irgendwie amüsant, das ich nicht mehr einschätzen konnte, ob es warm oder kalt war. Mir konnte das seit meiner Verwandlung egal sein. Nie wieder würde ich eine Jacke irgendwo liegen lassen, denn ich brauchte keine mehr, was in mir die Frage aufbrachte, wieso Chace und Jayden ständig Jacken anhatten, doch ich schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte mich nur noch auf den Weg.

In Ludwigs Straße angekommen, sah alles im Sonnenlicht noch viel schöner aus. Ein friedliches Leben konnte man hier leben, mit netten Nachbarn und spielenden Kindern. Die teuren Autos glänzten und die Vorgärten waren alle frisch gemäht.

Ich hätte mir diese Aussicht stundenlang anschauen können, entschloss mich aber, zu seinem Haus zu laufen und nach kurzem Zögern zu klingeln. Nach längerem Warten machte er mir wieder nicht auf, was mich dazu brachte, laut gegen die Tür zu klopfen und siehe da, ich hörte Schritte von innen.

"Was machst du denn hier?", fragte mich der Blonde Schönling und hatte dabei nur ein Handtuch um die Hüfte gebunden. Seine Haare waren nass und das Wasser tropfte auf seine bebende Brust.

Peinlich berührt schaute ich zu Boden und versuchte mir meine Scham nicht anmerken zulassen.
"Ich wollte mit dir reden. Meine Oma hat mir erzählt, dass du bei mir geklingelt hast", stotterte ich und schaute wieder hoch in seine Augen.

"Warte kurz. Ich geh mir etwas anziehen", lächelte er und lief hinter sich die Treppen hoch. Ich schaute neugierig durch die Tür, doch es sah aus wie immer, also drehte ich mich zur Straße und lief aus dem Schatten heraus, um erneut die Sonne in mein Gesicht scheinen zu lassen.

"So, wollen wir spazieren gehen?"
Er zog die Tür hinter sich zu und kam zu mir auf den Bordstein. Ich musterte seine schwarze Stoffhose und das rote Leinenhemd und mir fiel auf, das wir aussahen, als hätten wir uns abgesprochen bei der Auswahl unserer Klamotten.

"Eigentlich wollte ich dich zum Essen einladen", teilte ich ihm mit und er nickte mir erfreut zu.
"Gerne, ich kenne einen sehr guten Bäcker", erklärte er mir, was mich zum Lachen brachte.
"Hier gibt es ja auch nicht wirklich viel Auswahl."

Wir liefen zusammen die Straße entlang und verließen die schöne Gegend, um nach einer Weile des Schweigens am Markplatz anzukommen.
"Was möchtest du?", fragte er mich und ich sah mir neugierig die Auswahl des kleinen Bäckers an.
"Eine Brezel", antwortete ich ihm und er wandt sich an den pummeligen Verkäufer, der auffällig rote Haare hatte.

"Hier", reichte er mir meine Brezel und wir schlenderten über den Markplatz hinüber zu einem kleinen Brunnen, um uns auf dem Rand von ihm niederzulassen.
"Du hast mich geküsst", unterbrach ich die entstandene Stille und schaute ihm vorwurfsvoll entgegen, woraufhin er sich zu mir drehte.

"Chiara, es tut mir so leid. Ich halte mich eigentlich fern von Frauen, aber bei dir. Du warst irgendwie anders und ich hatte mich einen Augenblick nicht unter Kontrolle."
Ich beobachtete ihn ganz genau und konnte sehen, das es ihm wirklich leid tat. An diesem Tag hatte ich schon zwei Entschuldigungen erhalten und beide wollte ich auch annehmen.

"Es ist in Ordnung. Sowas kann passieren", gab ich ihm als Antwort zurück und löste meinen Blick von seinem, um in die warme Brezel zu beißen.
"Ist dann alles gut zwischen uns?", fragte er noch und ich nickte ihm stumm zu, sodass er sich lächelnd seinem Brötchen zuwandte.

"Wer war die Rothaarige?", platzte es dann aus mir heraus, woraufhin er mich verwirrt anschaute und dann die Augen verdrehte.
"Ein Mädchen, die schon zu lange hinter mir her ist."
Er grinste und fuhr sich dabei durch die Haare.
"Manche Frauen wollen mich so sehr, dass ihnen verlorene Lebenszeit egal ist, aber ich gehe nicht darauf ein."

Ich musste lachend den Kopf schütteln.
"Ich wusste gar nicht, dass du auch eingebildet sein kannst."
"Nur manchmal und das auch nur zum Spaß."

Ich lächelte zwar, doch eine Frage hatte ich trotzdem noch.
"Kannst du einer Wölfin auch Jahre stehlen?", fragte ich ihn nervös und kaute dabei auf meiner Lippe.
"Nein, kann ich nicht", strahlte er plötzlich, was auch mich amüsiert Lächeln ließ.

Wir saßen noch eine Weile an diesem Brunnen und genossen die Ruhe, während wir uns immer wieder flüchtige Blicke zuwarfen und die Sonne uns gute Laune brachte. Endlich wieder ein Licht am Ende dieses dunklen Tunnels.

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Für die Ludwig Fans ♡ Meriisabell1212

The human Mate - Seelen der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt