62.

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Die Tage verstrichen, in denen ich nichts anderes machte, außer warten. Warten darauf, dass meine Oma zurückkommen würde. Warten darauf, dass der Schmerz nachlassen würde. Warten darauf, dass sich mein Gefühlszustand ändern würde.

Während ich also wartete, lag ich auf der Couch und schaute unkonzentriert Fernsehen, so unkonzentriert, dass ich nichtmal mehr wusste, was da überhaupt lief. Es waren nicht mehr Enttäuschung oder Wut, die mich einnahmen, sondern die mich zerstörende Einsamkeit erfüllte mein ganzes Ich.

So alleine, wie in diesen Tagen, hatte ich mich mein ganzes Leben nicht gefühlt und ich war schon immer eine Person, die kaum Freunde hatte, geschweigedenn eine Beziehung, also sollte ich es gewohnt gewesen sein.

Mein innerer Wolf trieb mich noch dazu in den Wahnsinn, denn ich konnte ihn seit letzter Nacht in meinem Kopf hören und das nicht gerade leise. Er jaulte immer wieder schmerzverzerrt auf und es brachte nichtmal etwas, mir die Ohren zuzuhalten, denn diese quälenden Laute kamen aus meinem tiefsten Inneren.

Ich zog mir die Decke über den Kopf und schrie aus voller Kraft, doch es hörte nicht auf und ich entschloss mich, zu dem Einzigen zu gehen, der mir sagen konnte, wie ich diese Geräusche in meinem Kopf ausschalten konnte und der nichts mit dem Betrug zutun hatte. Jayden.

Ich schaltete das Geflimmer aus, schob die Wolldecke beiseite und rannte schnell hoch in mein Zimmer, um mir zu meiner schwarzen Schlafhose noch einen roten Pullover anzuziehen und runter ins Bad zu laufen, um Zähne zu putzen und meine Haare in Ordnung zu bringen.

Kaum war ich fertig und betrachtete mein Spiegelbild, fiel mir auf, dass seit ich entschieden hatte, zu Jayden zu gehen, dass Gejaule in meinem Kopf aufgehört hatte. Erstaunt schaute ich meinen Augen entgegen und überlegte, ob das möglich sein konnte. Aber natürlich, meine Wölfin war ein Teil von mir und mir wurde in diesem Moment klar, wonach sie sich so sehr sehnte. Nach ihm, meinem Mate und auch nach dem Rudel, zu dem ich eigentlich gehören sollte.

Ich schüttelte den Kopf und dachte darüber nach, ob sie mich beeinflusst hatte oder ob es meine eigene Entscheidung war, zu ihm zu gehen, doch schaden konnte es nicht, oder doch? Völlig durcheinander drehte ich den Wasserhahn auf und ließ mir das kalte Wasser über meine Hände fließen, um es mir anschließend ins Gesicht zu spritzen, um so vielleicht wieder zu klarem Verstand zu kommen.

Wie konnte es sein, dass ich mich plötzlich einfach dazu entschied, zu ihm zu gehen, obwohl ich ihn nie wieder sehen wollte? Obwohl er so gemein zu mir war und das nicht nur einmal?

In diesem ganzen Chaos entschied ich mich dazu, einfach zu gehen. Wenn er mir auf die Nerven gehen sollte, konnte ich ja jederzeit wieder gehen. Außerdem würde er mir bestimmt erklären können, wie ich die Verbindung zu meiner Wölfin kappen konnte, wenn sowas überhaupt möglich war.

Ich suchte in der Küche nach meinem Hausschlüssel, steckte ihn in die Hosentasche und machte mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zu der Hütte.

Der Himmel sah bewölkt aus, es regnete aber zu meinem Glück nicht, denn das hätte mir grade noch gefehlt. Dann hätte er wieder einen auf Gentleman gemacht und mir ein Handtuch angeboten. Das konnte er sich sparen, nach Allem, was er mir vorher alles angetan hatte.

Am Wialtrama angekommen erinnerte ich mich an jene Nacht, in der der Blonde mir so schuldbewusst entgegen geschaut hatte und auch wenn ich es nicht wollte und mich dagegen wehrte, musste ich zugeben, dass ich ihn vermisste, doch ich verdrängte diese Gefühle. Wehmütig drehte ich mich zum Wald, atmete einmal tief durch und lief dann über die harte Erde zwischen den dichten Bäumen entlang.

Vermutlich würde er mich schon von weitem riechen und die Gruppe Frauen gerade aus dem Haus jagen. Ich fragte mich, wieso ich als Mensch nicht die selben Instinkte hatte, wie als Wolf. Bei Jayden und Ethan war es jedenfalls so, aber vielleicht brauchte man einfach Übung oder musste einen höheren Rang im Rudel haben, ich wusste es nicht.

Während meine Gedanken sich immer mehr darauf konzentrieren, wie das Wolfsein wirklich funktionieren würde, bekam ich gar nicht mit, dass ich schon vor der Hütte angekommen war.

Eine bedrückende Stille herrschte hier im Wald. Man konnte nur das Flüstern des Windes hören und ab und zu ein kleines Rascheln, mehr war da nicht. Ich schaute zu der Eingangstür und überlegte wieder umzudrehen. Die Frage, wieso ich hier war, stellte ich mir immer wieder neu und ich gab mir selbst immer wieder andere Antworten darauf.

Weil ich einsam bin. Weil ich Antworten brauchte. Weil er mir helfen sollte, mit dem Geheule in meinem Kopf klarzukommen.

Aber was es wohl am meisten war, war die Verbindung, die mich tief im Unterbewusstsein dazu drängte, seine Nähe zu suchen, denn das Schicksal hatte seine ganze eigene Vorstellung für mich. Ich sollte anscheinend nicht glücklich werden, die letzten Tage haben mir das bitter vor Augen geführt, dass ich anscheinend nichts mehr in meiner Hand hatte. Ich konnte ja nichtmal abhauen.

Ich griff mir mit einer Hand an den Kopf, der mittlerweile vor lauter Chaos anfing zu schmerzen und entfernte mich einige Schritte von der Hütte, um mich hinter mir an einem Baumstamm zu lehnen. Was mache ich hier nur?

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900

P.s.: ich hoffe das neue Cover gefällt euch genauso wie mir ♡

The human Mate - Seelen der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt