55. Kapitel

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Ich folgte ihm immer tiefer in den Wald, erinnerte mich dabei daran, wie oft er mich provoziert hatte und dachte darüber nach, wie es wäre, ihm einfach mal in die Wade zu beißen, ließ es aber sein, einfach weil ich ihn nicht berühren wollte.

"So", sagte er plötzlich und drehte  sich zu mir um, was mich zum stoppen brachte.
"Eigentlich müssten wir uns als Wölfe per Gedanken austauschen können, aber das erfordert Übung und Hingabe, die du noch nicht hast."

Er spielte sich auch noch als Lehrer auf. Ich bereute, das ich ihn nicht gebissen hatte.
"Es gibt drei Möglichkeiten sich zu verwandeln. Aus Hass, aus Liebe oder einfach aus Lust, wovon der Hass der einfachste ist. Das ist, was du gerade erlebt hat. Der aus Liebe, wäre das Szenario, wenn ich Jayden mit einem Messer bedrohen  würde und du dich aus Liebe zu ihm verwandeln würdest, um ihn zu retten."

Nach seinen Worten fletschte ich die Zähne und ein Knurren entfuhr mir tief aus meiner Kehle. Er wusste, das er mich allein durch seinen Namen provozieren konnte und es machte ihm sichtlich Spaß, denn anstatt Angst vor mir zu haben, grinste er und zündete sich eine neue Zigarette an.
"Die aus Lust wird dich überkommen, sobald du merkst, wie schön es ist den Waldboden unter seinen Pfoten zu spüren. Das Gefühl nach Freiheit, das dich beim Laufen begleitet, ist atemberaubend und sobald du dich dem Rudel zugehörig fühlst, wirst du wissen, was Familie und Zusammenhalt wirklich bedeutet."

Ich hörte ihm zwar aufmerksam zu, doch hielt alles, was er erzählte, für Schwachsinniges Gelaber.
"Ich hab jetzt keine Zeit mehr, mein Alpha ruft nach mir und es wird mir eine Ehre sein, ihm von deinem schönen hellen Fell zu berichten."

Ich schaute ihn wütend an, zumindest soweit mir das Wölfin möglich war und hörte seinem Pfeifen zu. Nachdem er kurz dastand und hinter mich schaute, hörte ich Schritte hinter mir und ein brauner Wolf tauchte daraufhin neben mir auf.
"Das ist Samuel, er wird dich nach Hause begleiten. Sobald du alleine bist, konzentrierst du dich auf alles, was deine menschliche Seite ausmacht. An deine Hände, deine Haare, deine Stimme und du wirst dich zurückverwandeln. Also dann, viel Spaß und sei morgen Abend an Jaydens Hütte."

Er lief an uns vorbei und wieder kam mir der Gedanke, ihn anzugreifen, doch ich knurrte nur und sah ihm hinterher, bis er zwischen den Bäumen nicht  mehr zu sehen war.

Samuel hüpfte aufgeregt vor mir hin und her, was mich in diesem Augenblick überforderte. Ich ließ meine Klamotten aus dem Maul fallen und atmete erstmal tief durch, um unerwartet zusammenzucken, als der braune Wolf mich plötzlich verspielt anrempelte. Als Mensch hätte ich ihn gefragt, ob er den Verstand  verloren hätte, doch  so konnte ich nichts tun, außer ihn zurück anzurempeln, was ihn dazu animierte, neben mich in den Wald abzuhauen.

Ich schaute runter auf meine Pfoten und bekam plötzlich das dringende Bedürfnis, ihm einfach hinterherzurasen. Ohne zu zögern sprintete ich los und musste Ethan ärgerlicherweise Recht geben. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Die Luft strömte mir ins Gesicht, während mein Fell mich so angenehm wärmte, das mein Körper genau die richtige Temperatur hatte.

Die frische Waldluft löste ein pures Glücksgefühl in mir aus, das mich immer schneller werden ließ, sodass ich schon bald Samuel eingeholt hatte und mit ihm an meiner Seite immer weiter durch die Dunkelheit rannte. Es ärgerte mich, das es mir gefiel. Ich wollte es nicht, aber es war einfach zu gut. Wie eine Droge, die dich Dinge empfinden lässt, die kein normaler Mensch je empfinden könnte. Nur war das keine Droge,  es war nicht  schädlich, im Gegenteil. Das Wolfsein hauchte mir Leben ein, machte mich lebendig und stark.

An meinem Haus angekommen schlichen wir uns in den Garten. Samuel nickte mir verspielt  zu und wedelte mit seiner Rute, um anschließend wieder in den Wald zu verschwinden.

Es war so atemberaubend, das mein Herz sich  auch nach einer Weile immer noch nicht beruhigt hatte. Zu gerne wäre ich noch stundenlang weiter gerannt und wollte nicht, das dieses Gefühl je wieder aufhört, doch ich musste mich zurückverwandeln um diesem Strudel an Glückshormonen zu entkommen und wieder klar denken zu können.

Erinnere dich an deine menschliche Seite, hatte er gesagt. Ich schloss die Augen und stellte mir meine Haare vor, wie sie glatt an mir herunter fielen. Meine Hände, wie ich ein Buch umblättern würde. Ich stellte mir meine Füße vor, wie ich zu Musik tanzen würde und plötzlich spürte ich einen kurzen Schmerz  und fiel auf die Knie.

"Hallo", sagte ich erstmal, um zu überprüfen, ob ich das Sprechen verlernt  hatte. Anschließend atmete ich so heftig durch, damit auch der unterste Teil meiner Lunge mit Sauerstoff gefüllt wurde und stand dann auf, um mich erschocken daran zu erinnern, dass ich vollkommen nackt in diesem Garten stand.

Ich stellte mir vor, wie viele Wölfe wohl im Wald standen und mich sehen konnten, was mir die Röte ins Gesicht trieb.  Hektisch  hielt ich mir die Hände vor meine Brüste und meinen Schambereich und rannte zur Haustür. Wie in Rage klingelte ich Sturm und schrie plötzlich auf, als Rudi mir unerwartet die Tür öffnete.

Er sah mich erschocken an und auch ich riss peinlich berührt die Augen auf, um an ihm vorbei zur Treppe zu rennen. Bevor ich oben ankam, stolperte ich unsanft und haute mir das Knie an einer Stufe auf, doch ich sprang sofort wieder auf und rannte weiter in mein Zimmer, um hinter mir die Tür zuzuknallen.

Nie wieder würde ich mich verwandeln, redete ich mir ein und suchte zitternd vor Aufregung nach passenden Schlafsachen. Kaum angezogen ließ ich mich auf mein Bett fallen und atmete erstmal durch, um dann alles Erlebte nochmal in Ruhe durchzugehen.

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The human Mate - Seelen der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt