61. Kapitel

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Die Sonne ging vor meinem Fenster auf und ich lag immer noch da, fand keinen Schlaf und mein Kopf dröhnte von den unzähligen Tränen, die ich die letzte Nacht verloren hatte.

Mein einziger Gedanke war abzuhauen und das so schnell meine Füße mich tragen konnten, aber nicht ohne meine Oma. Niemals würde ich sie hier zurücklassen, nach Allem, was ich gesehen und gehört hatte. Sie sollte nach meinem Opa nicht die nächste sein, die hier zu Grunde geht und auf diese Menschen, konnte ich mich nicht verlassen.

Kraftlos und ausgelaugt erhob ich mich aus meinem Bett und schloss meine Zimmertür auf, um danach die Treppen nach unten zu nehmen.

"Oma?", rief ich durchs Haus, doch ich bekam keine Antwort. Womöglich war sie unterwegs oder schlief noch, also machte ich mich daran, mir einen Kaffee und Frühstück zu machen. Erst als ich dann eine Tasse aus dem Hängeschrank holen wollte, fiel mir eine Notiz auf dem Küchentresen auf.

Liebste Chiara,
Deine Mutter wollte uns besuchen kommen und du weißt mittlerweile, genauso wie ich, das sie diesen Ort niemals kennenlernen darf. Ich bin losgefahren, um sie zu besuchen und ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen.
Ich hätte dich gerne mitgenommen, aber seit deiner Verwandlung, hast du dich verändert und auch wenn dir das selbst nicht auffällt, fällt es einer Mutter sofort auf.
Ich habe ihr am Telefon gesagt, das du viel arbeitest und im Moment keine Zeit findest, für einen spontanen Besuch.

Der Kühlschrank ist voll und solltest du trotzdem etwas benötigen, dann scheue dich nicht, Rudi anzurufen. Seine Nummer steht auf einem Zettel am Telefon.

Ich bin in einer Woche zurück.
Gruß Oma

Ich konnte kaum fassen, was ich da gelesen hatte und taumelnd suchte ich den Weg ins Wohnzimmer, um mich auf der Couch niederzulassen. Mindestens zehn mal las ich diese Worte erneut und trotzdem wollte ich nicht einsehen, dass sie mich alleine zurückgelassen hatte. Sie hätte mich mitnehmen können, nicht zu meiner Mutter, aber raus aus diesem Loch, das von dichtem Wald umgeben lag.

Pure Enttäuschung machte sich in mir breit und wäre das alles nicht schon genug, klingelte es dann an der Tür. Ich bewegte mich nicht mehr, wollte nicht, dass wer auch immer vor der Haustür stand, wusste, das jemand zu Hause war.

Nach gefühlten Stunden stand ich so leise es mir möglich war auf und lief zur Haustür, um mein Ohr an sie zu legen, doch es war nichts mehr zu hören. Ich öffnete sie und schaute mich um, doch niemand war zu sehen, also wollte ich die Tür wieder schließen, bis mir ein Strauß voller Rosen auf dem Boden vor mir auffiel. Zögerlich nahm ich sie auf und sah die kleine Nachricht daran, auf der die Worte "Es tut mir leid" geschrieben standen.

Erneut schaute ich mich um und schüttelte voller Wut den Kopf. Obwohl ich Blumen mochte, zerfetzte ich den gesamten Strauß und schmiss die Überreste auf den Boden, um anschließend wieder ins Haus zu stampfen und die Tür zu zuknallen. Egal ob Ludwig, Lou oder selbst Ethan, von dem ich es am wenigstens erwartete, die Blumen dort platziert hatten, hatte keiner von ihnen verdient, das ich ihnen vergeben würde.

Ich suchte erneut die Küche auf, um endlich etwas zu essen und meinen Kaffee zu trinken. Die Wut und Enttäuschung nahmen an diesem Tag alles in mir ein. Zu gerne hätte ich etwas alkoholisches getrunken, um den Schmerz hinweg zu spülen, doch ich wollte einen klaren Kopf bewahren, also suchte ich, mit meinem Teller voll Toast und Kaffee, die Couch auf und schaltete den Fernseher ein, in der Hoffnung, das Geschehen in ihm würde mich von meinem eigenen erbärmlichen Leben ablenken.

***

Ich musste nach dem Essen eingeschlafen sein, denn als ich müde meine Augen öffnete, war es draußen bereits stockdunkel. Der Fernseher flimmerte vor sich hin und rauschte in die Stille hinein, die mich umgab.

Ich streckte meinen Körper und erhob mich, um ihn auszuschalten und mich müdestrunken ins Badezimmer zu begeben. Vor dem Spiegel fing ich gähnend an, mich zu Mustern, um zu verstehen, was meine Oma mit Veränderung meinte.

Ich sah aus wie immer. Vielleicht waren die Augenringe ausgeprägter, was nach so viel Stress doch völlig natürlich war. Meine blauen Augen strahlten in der gleichen Farbe wie immer und auch meine dunkelblonden Haare sahen aus wie immer. Ich berührte meine Haut mit den Fingerspitzen und strich mir über die Wangen, die sich warm anfühlten und löste dann tief durchatmend meinen Blick von Spiegel, um mich auf die Toilette zu setzen und mein Gesicht erschöpft in meine Hände fallen zu lassen.

Mir ging in diesem Augenblick, wo ich langsam wieder richtig wurde, wieder alles Erlebte durch den Kopf und ich war mir sicher, gäbe es eine Hölle, wäre es dieser Ort. Die Dämonen der Nacht tranken ihr Gift und tanzten amüsiert durch den Wald, während Lügen und Betrug an der Tagesordnung standen, um selbst den taffensten Menschen in einen Sog der Zerstörung hineinzuziehen.

Wie gerne hätte ich die Fähigkeit, zu vergessen, doch ich wusste, ich würde nie vergessen und hatte das Gefühl, ich würde das auch nie verarbeiten. Vielleicht meinte das meine Oma mit Veränderung. Ich hatte mich verändert und selbst, wenn ich es schaffen würde, die Scherben wieder zusammenzusetzen, würden die Risse mich ein Leben lang begleiten.

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900

Mal etwas ruhiger zum verarbeiten Der Verwirrungen der letzten Kapitel ♡

The human Mate - Seelen der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt