52 | Flashback Massaker

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Passend so kurz vor Weihnachten wollen wir doch noch mal ein wenig Spannung rein bringen :)
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Verunsichert sah ich in ihre mit Tränen gefüllten Augen. Was immer es war, was sie mir sagen wollte, es fiel ihr nicht leicht.

„Es tut mir wirklich unendlich leid, dass ich damals nicht mit dir gegangen bin.", sagte sie leise. Mira kämpfte mit den Tränen und ich biss mir auf die Zunge. „Baby, hör auf.", bat ich sie, „Es ist okay. Du hast dich schon entschuldigt und wir haben neu angefangen." Sie senkte ihren Blick. Es war, als könne sie mir nicht in die Augen sehen. „Du hattest das nicht verdient.", sagte sie, „Du hast immer zu mir gehalten und mich aus der Scheiße geholt und ich bin dir in den Rücken gefallen."

"Schatz...", setzte sie an und machte einen Schritt auf mich zu. Ich musterte sie kühl. "Nenn mich nicht Schatz.", erwiderte ich kalt. Mira sah in meine Augen und schluckte. Sie wusste, wie ernst diese Situation war. "Ich kann dir gar nicht sagen, wie enttäuscht ich bin.", sagte ich ehrlich und stand auf. Ich ertrug Miras Nähe nicht.

"Ich verspreche dir, ich komme nach.", sagte sie noch mal und erhob sich ebenfalls. "Nein.", erwiderte ich entschieden, "Ganz oder gar nicht. Ryde or die, wie bei Ruff Ryders."

"Wieso bist du so?!", platzte es aus ihr heraus. "Wieso bist du so?!", fuhr ich sie an, "Wieso bleibst du lieber in der Nähe der Menschen, die dich dein Leben lang gequält haben, anstatt den Mann zu begleiten, der dich rausgeholt und dir deine Freiheit zurückgegeben hat?! Was geht ab in deinem Kopf?! Warum hast du kein Vertrauen in die Stärke unserer Beziehung?! Ich sage es dir jetzt ganz deutlich, damit es bei dir ankommt. Wenn ich jetzt durch diese Tür gehe und du bei deiner Entscheidung bleibst, siehst du mich jetzt zum letzten Mal. Ich will dich nicht mehr sehen. Nicht in sechs Monaten, nicht in sechs Jahren - weil du mich so sehr enttäuscht hast wie selten ein Mensch zuvor; mein Vertrauen, mein Herz und meine Seele."

Ich schaute einen Augenblick lang erwartungsvoll in Miras tränenerfüllte Augen. Mir war klar, dass eigentlich schon jetzt alles kaputt war. Wenn ich sie erst auf diese Weise dazu bringen würde, mit mir zu gehen, dann war eh alles zu spät. Sie musste aus Liebe mit mir gehen, nicht nach ausreichender Überredung. Sie musste es selbst wollen. Mit einem Schlag wurde mir klar, dass ich meine Entscheidung gerade getroffen hatte. Ich wollte schon gar nicht mehr, dass sie mich begleitete. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ ich ihre Wohnung. Tränen liefen meine Wangen herab, weil ich peilte, was hier gerade passierte. Ich verließ das erste Mädchen, dass ich aufrichtig und von ganzem Herzen liebte; dass mir einfach die Welt bedeutete!

Noch immer schaute ich Mira an, als die Erinnerungen an unsere beschissene Trennung verblassten. Auch, wenn ich es ungern zugab, es tat noch immer weh. Aber ich versuchte, nach vorne zu sehen und Mira diesen Fehler zu verzeihen. Ich seufzte und legte meine Finger an ihr Kinn, damit sie mich anschaute. „Ich liebe dich, okay?", sagte ich, „Hör auf, dir deinen süßen Kopf darüber zu zerbrechen, welche Fehler du damals mal gemacht hast." Mira biss auf ihre Unterlippe und nickte. „Ich liebe dich auch.", sagte sie. Ich beugte mich zu ihr und küsste ihre Lippen. „Denk lieber an unseren ersten Kuss, der war nämlich genau hier."

„Kannst du überhaupt was sehen?", fragte Mira skeptisch. Es gelang ihr wirklich erstaunlich gut, das Gleichgewicht auf der Mittelstange zu halten. „Ja, alles cool.", antwortete ich ihr und bog an der nächsten Straßenecke rechts ab. Ich geriet ein wenig ins Wanken, fing uns jedoch schnell wieder. Mira lachte. „Bist du sicher?", fragte sie, „Macht irgendwie gerade einen anderen Eindruck." Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich auf den Bürgersteig. Plötzlich drehte Mira mir völlig unvorhergesehen ihren Kopf zu und schaute in mein Gesicht. Damit brachte sie mich vollkommen aus dem Konzept. Gerade noch rechtzeitig erkannte ich einen Laternenpfahl, erlangte meine Gewalt über meine Sinne wieder und wich aus. Dabei geriet ich jedoch ins Schlingern. Mira sprang lachend von der Mittelstange, während ich beinah in einem Zaun krachte und gerade noch abbremsen und vom Sattel steigen konnte. Mira sah mich an und lachte. Ihr Lachen war so ansteckend, dass auch ich lachen musste. Dann machte sie ein paar Schritte auf mich zu.

„Danke. Die restlichen Meter gehe ich lieber alleine." Ich lehnte mein Bike achtlos an den Zaun, in den ich gerade eben noch beinah hinein gebrettert war. „Bevor du gehst...Wegen heute Nachmittag...", setzte sie an. „Vergiss es, Mira. Lass uns nicht darüber sprechen.", sagte ich. „Es stimmt. Ich habe mich neulich komisch verhalten, als ich bei dir war. Ich kam mir total blöd vor, weil ich einfach so verschwunden bin. Am nächsten Tag bin ich zu dir gefahren, um mich bei dir zu entschuldigen. Aber du warst nicht zuhause. Deine Mama sagte, sie würde dir ausrichten, dass ich da war."

„Das hat sie auch. Aber ich war an dem Abend sehr spät zuhause. Weißt du, ich habe mir echt krass den Kopf zerbrochen, wieso du so plötzlich so traurig warst und verschwunden bist, aber ich hatte deine Nummer nicht. Mir blieb also nichts anderes übrig, als bei dir zuhause vorbei zu kommen wie ein Stalker und nach dir zu fragen."

Mira senkte ihren Blick. „Es tut mir leid. Das wusste ich nicht. Mein Vater hat mir erst gestern gesagt, dass du ab und zu vorbei gekommen bist, um deine CD abzuholen. Ich dachte, du wärst vielleicht sauer auf mich, weil ich einfach so verschwunden bin."

„Nein, wieso sollte ich sauer sein? Ich habe es einfach nur nicht verstanden. Außerdem war ich nicht ab und zu bei dir sondern jeden Tag." Mira schaute mich aus großen Kulleraugen an. „Jeden Tag?", wiederholte sie und ein seltsames Schimmern schlich sich in ihre Augen. „Ja!", platzte es aus mir heraus, „Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Weißt du, wie behindert ich mir heute vorkam, als du mich einfach so weggeschickt hast?"

Scheiße, da war sie wieder - die Wut von heute Mittag, die ich eigentlich hatte vergessen wollen. „Ich hatte keine andere Wahl.", sagte Mira. „Aber warum?!", fragte ich ratlos, „Was ist los mit dir, dass du so komisch bist? Denkst du, mir ist der verzweifelte Blick in deinen Augen nicht aufgefallen?"

Mira sah mich einen Augenblick einfach nur an und sagte kein Wort. Ich hatte das Gefühl, Erleichterung in ihren Augen zu sehen. „Ich habe Probleme zuhause.", bestätigte sie mir jetzt mein schlechtes Bauchgefühl, „Ich wollte einfach nur, dass sie nicht rumstressen. Deshalb habe ich dir gesagt, dass ich dir die CD vorbeibringe."

Ich seufzte. „War das ernsthaft dein Versuch, mir einen versteckten Hinweis zu geben dafür, dass du nur eine Show für deine Eltern abziehst?" Sie biss sich verlegen auf ihre Unterlippe. „Verzeihst du mir?", fragte sie so leise, dass mir ein wohliger Schauer über meinen Körper lief. Dabei schaute sie mir tief in die Augen. Sie machte mich einfach verrückt! Ohne ein weiteres Wort zu sagen, machte ich einen Schritt auf sie zu und verringerte so die letzte zwischen uns liegende Distanz. Ich legte meine Hände sanft an ihre Hüften und zog sie ganz eng an mich heran. Mira zuckte kurz zusammen und ich schaute prüfend in ihre Augen, aber sie wich nicht zurück. Ich fixierte ihre Augen mit meinem Blick und versank einen kurzen Moment in ihnen. Dann fiel mein Blick auf ihre Lippen, während ich mir auf meine biss. Als ich jetzt ihr Gesicht in meine Hände nahm und ihr wieder in die Augen schaute, glühten ihre Wangen regelrecht. Quälend langsam beugte ich mich zu ihr hinunter und küsste sie.

„Mira?" Eine unsichere Frauenstimme riss uns aus den Gedanken. Mira schaute sich um. Augenblicklich umfasste sie meine Hände und drückte sie fest. Als ich ihrem Blick folgte, wusste ich auch sofort weshalb. Ein paar Meter weiter stand Miras Mutter, in der Zwischenzeit etwas in die Jahre gekommen, und beobachtete uns. Sie sah ziemlich zerzaust aus. Ihre sonst so akkurat getrimmte Frisur stand in alle möglichen Richtungen ab und sie wirkte ziemlich verwahrlost. Die Überraschung stand ihr geradewegs ins Gesicht geschrieben. Miras Lippen öffneten sich leicht, bevor sie sich langsam von mir löste. Wenn sie ihre Mutter wirklich nicht mehr gesehen hatte, musste dies das erste Wiedersehen seit Jahren sein.

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt