84 | Yana

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„Ist das alles?", fragte ich überrascht und schaute Mira skeptisch an. Sie schob eine blaue Reisetasche in den Flur ihrer Wohnung. Nachdem sich die gesamte Situation noch einmal verschärft und sich Hans-Henning inzwischen Zutritt zu Miras Schlafgemächern verschafft hatte, hatte ich entschieden, Mira möglichst unauffällig zu mir zu holen. Der Plan war, dass sie nur die nötigsten Sachen zusammenpackte und alles andere zurückließ, um weiterhin den Anschein zu erwecken, dass ihre Wohnung nach wie vor bewohnt war – zumindest, bis sie anderweitig vermietet wurde. Außerdem konnten wir uns so den offiziellen Umzug durch irgendein Umzugsunternehmen sparen, bei dem sich dieser Bastard vermutlich noch unter einem Vorwand erkundigte, wohin Mira verzogen war. Im Hintergrund hatte Mira bereits die Kündigung für ihre Wohnung geschrieben, die sie sicherheitshalber persönlich bei ihrem Vermieter abgegeben hatte.

Für mich waren Miras Auszug aus ihrer Wohnung und ihr Einzug bei mir eine eindeutige Win-Win-Situation. Sie wohnte nicht mehr in dieser heruntergekommenen Gegend und ich konnte sie besser im Auge behalten. Bis Hans-Henning – unter anderen Umständen hätte ich mich bei dem Namen vermutlich totgelacht – herausfand, wo Mira jetzt wohnte, würde hoffentlich noch etwas Zeit vergehen. Zeit, die ich sicherlich dazu nutzen würde, ihm zuvorzukommen, bevor er irgendwann unangemeldet vor meiner Haustür auftauchte. So oder so würde ich ihm seinen Schädel einschlagen! Ich hatte mir fest vorgenommen, so viele Informationen über ihn einzuholen wie möglich. Doch jetzt würde ich erst mal Miras Umzug hinter mich bringen.

„Du hast gesagt, nur das Nötigste.", sagte Mira und riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick fiel wieder auf ihre Reisetasche. „Stimmt.", grinste ich, „Aber ich hätte nicht gedacht, dass du das so ernst nimmst, nachdem du zum Konzert für zwei Tage zwanzig Outfits eingepackt hast." Mira schubste mich sanft. „Wie du übertreibst, du Spinner!" Der süße Blick, mit dem sie mich jetzt anschaute, ließ mich kurz alles andere vergessen. Ich zog sie mit einer Hand an ihrer Taille zu mir heran und schaute in ihre Augen. Dann beugte ich mich zu ihr herunter, um sie zu küssen. Sie legte dabei ihre Hand in meinen Nacken und schloss ihre Augen. Sie massierte meine Lippen sanft mit ihren. Ihr Kuss fühlte sich so gut an, dass ich meine Lippen noch ein wenig länger fest auf ihre drückte. Dann löste ich mich lächelnd von ihr.

„Aber du hast Recht.", sagte sie jetzt, „Ich hätte eigentlich gern noch mehr mitgenommen. Ich bin halt auch nur ne Frau." Ich grinste. „Aber ne ganz besondere Frau." „Uuuhh.", lachte sie, „Der Boss packt seinen bosshaften Charme aus!" Ich lachte ebenfalls. „Der Boss wollte dir eigentlich gerade sagen, dass er dir einfach ein paar neue Klamotten kauft, wenn sie dir ausgehen. Aber wer sich über den Boss lustig macht... Blöd für dich."

Die nächsten Wochen verliefen für unsere Verhältnisse ziemlich ruhig. Ich arbeitete an meiner Promo-Phase für das bald erscheinende Album und versuchte parallel dazu, Informationen über Hans-Henning Waldhausen einzuholen, um vorbeireitet zu sein. Eigentlich sollte ich ihm einfach eine Falle stellen, ihm auflauern und auf ihn einschlagen, bis er nicht mehr aufstand. Aber mein gesunder Menschenverstand sagte mir, dass ich so am wenigsten erreichen würde. Ich hatte also entschieden, taktisch vorzugehen und mich nicht von meiner Wut leiten zu lassen. Inzwischen wusste ich, dass Hans-Henning vor allem eins hatte: Ein ziemlich langes Vorstrafenregister aufgrund von Stalking. Er war Sohn einer steinreichen Ärzte-Familie. Um mehr zu erfahren, hatte ich mich mit seinem letzten Opfer verabredet. Das hatte ich Mira nicht gesagt. Ich wusste, dass es nicht richtig war, diese Sache hinter ihrem Rücken durchzuziehen, aber ich wollte ihr einfach eine Pause gönnen. Immerhin wusste ich nicht, wann dieser gestörte Bastard als nächstes zuschlagen würde und ich fand, dass sie einmal durchatmen und runterkommen sollte. Sie würde sich vermutlich nur darüber aufregen.

Also stand ich nun hier, vor einem kleinen Restaurant in Mönchengladbach, und wartete auf eine junge Frau. Es war nicht leicht gewesen, den Kontakt zu ihr aufzunehmen, aber der Boss-Charme hatte eben doch manchmal auch Einfluss auf die eine oder andere Polizeibeamtin, die zunächst bei der jungen Dame angefragt hatte, ob sie dazu bereit wäre, mit Mira oder mir Erfahrungen auszutauschen. Ich war ziemlich erleichtert, dass sie bei unserem ersten Telefonat von sich aus vorgeschlagen hatte, sich mit mir zu treffen. Ursprünglich aus Köln stammend, war sie nur wegen Hans-Henning und seinem krankhaften Wahn nach Mönchengladbach umgezogen. Ich wusste leider nicht, wie sie aussah, also stand ich einfach hier vor dem Laden und wartete. Als schließlich eine – wie ich zugeben musste unglaublich hübsche – kleine Blondine vor dem Eingang stehenblieb und sich suchend umschaute, setzte ich ein friedliches Lächeln auf. Ich vermutete zumindest, dass sie es war. Ich ging langsam auf sie zu. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihren Pony mit ein paar Klammern an den Seiten festgesteckt. Sie trug eine Röhrenjeans und eine Lederjacke, dazu halsbrecherische Pumps. Es war bemerkenswert, dass sie trotzdem noch eineinhalb Köpfe kleiner war als ich. Sie musste wirklich winzig sein, wenn sie ihre Schuhe auszog.

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt