79 | Alles Lüge

654 42 16
                                    

„Ich werde ihn jetzt lesen.", sagte ich entschieden, als Mira neben mir auf die Couch im Wohnzimmer fiel. Ich hatte mich inzwischen etwas beruhigt. Mira strich über meinen Unterarm und schaute in meine Augen. „Ich will dich doch nur von so einer Scheiße fernhalten.", sagte sie, „Außerdem geht es in dem Artikel überhaupt nicht um dich." Ich seufzte. „Mir egal.", knurrte ich trotzig und verschränkte meine Arme vor der Brust, „Lass mich jetzt mal..." Mira sah mich an und hob eine Augenbraue. Ich wusste, dass es ihr nicht gefiel, wenn ich so mit ihr redete. „Bitte.", setzte ich also fairerweise hinzu. Ich tippte ein wenig auf dem Display herum, dann lehnte sie sich gegen mich und atmete tief durch. „Du wolltest es so.", sagte sie und ich warf einen ersten Blick auf das Display.

Ein Bild von ihrem etwas in die Jahre gekommenen Vater erschien. Er wirkte verstört und gebrochen. Seine Augen waren starr und leblos und seine Gesichtszüge voller Schmerz. Ich warf Mira einen Seitenblick zu, dann begann ich zu lesen.

„Alles Lüge! Jetzt spricht der Vater von Kollegahs Freundin!"

Bereits jetzt kochte mein Blut. Ich konnte es einfach schwer kontrollieren!

Gerade mal ein paar Wochen ist es her, dass sich Irene N. zu Kollegahs Beziehung mit ihrer Tochter und ihrem zerrütteten Verhältnis zueinander äußerte. Sie erhob schwere Vorwürfe gegen Mira N., die für einen Mann mit ihrer eigenen Mutter gebrochen hat – weil sie nicht mehr die Kraft hatte, sie vor ihrem alkoholkranken Mann zu beschützen! Wir berichteten bereits darüber.

Ich warf Mira einen flüchtigen Seitenblick zu, dann las ich weiter.

Nun meldet sich ihr Vater David N. zu Wort, um diese schwerwiegenden Vorwürfe richtigzustellen. „Alles Lüge!", sagt er uns in einem exklusiven Interview, „Ich war nie alkoholkrank und habe meine Tochter nie geschlagen! Sie war das! Sie hat Mira misshandelt, gequält und eingesperrt und sucht jetzt die Schuld bei mir!", weist David N. jede Verantwortung von sich.

Ziemlich krank eigentlich, dass ihr Vater jetzt seine Haut retten wollte – immerhin hatte er Mira nie geholfen, sondern einfach nur zugesehen!

David N. war als Steuerberater tätig und arbeitete oft lang. „Für Irene fühlte es sich oft so an, als sei sie alleinerziehend.", erzählt er., „Sie musste Mira allein wecken und sie dazu bringen, pünktlich zu frühstücken und zur Schule zu gehen. Mira war ein verträumtes Mädchen. Ihre Mutter beschwerte sich oft bei mir, dass Mira ihren aufwändig strukturierten Zeitplan durcheinanderbrachte. Anfangs packte sie Mira nur heftig an den Schultern, um sie anzutreiben, aber irgendwann, als sie älter wurde, kamen Ohrfeigen oder Schläge auf die Arme dazu. Es machte sie wütend, dass es vom Gesetz verboten ist, seine Kinder zu schlagen."

Ich sah Mira einen Moment lang mit offenem Mund an. Er breitete doch jetzt nicht wirklich irgendwelche Details aus? Mira schluckte und ich las weiter.

David N. wirkt schuldbewusst, kann kaum weitersprechen. „Zeitweise haben uns die Lehrer angerufen und gefragt, wieso Mira schon am frühen Morgen so gereizt war, doch Irene hat das mit der Pubertät erklärt."

„Das hast du mir nie erzählt.", unterbrach ich meine Lesung und schaute sie an. Sie wich meinem Blick aus.

Mit den Jahren nahmen die Misshandlungen zu, sagt David N. „Sie hat unsere Tochter mit Gegenständen verprügelt. Sie hatte teilweise Striemen an den Oberschenkeln oder auf dem Rücken. Manchmal ging Mira tagelang nicht zur Schule." Doch David N. hat inzwischen das eigentliche Problem von Irene N. erkannt: „Sie hatte einfach Probleme damit, dass Mira zur Frau wurde."

„Sie hat dich mit Gegenständen verprügelt?", fragte ich tonlos und griff automatisch nach Miras Hand. Als sie mich anschaute, erkannte ich das glasige Schimmern in ihren Augen. „Wieso hast du mir das nie erzählt?", fragte ich leise. „Hätte es was geändert?", fragte sie ernst, „Du konntest es schon nur schwer ertragen, als ich dir erzählt habe, dass sie mich die Treppe runtergeschubst hat." Ich wollte etwas sagen, aber konnte es nicht. Ich senkte meinen Blick wieder auf das Display und las weiter.

An Mira ging das natürlich nicht spurlos vorüber. „Sie entwickelte Angststörungen, war sehr misstrauisch, traute niemandem.", erzählt -.

„Ich muss es gar nicht mehr weiterlesen.", sagte ich entschuldigend, doch sie schüttelte energisch den Kopf. „Du wolltest es lesen. Jetzt liest du es auch bis zum Ende!", sagte sie energisch. Ich seufzte schwer, dann las ich weiter.

Ein hartes Schicksal für das damals so junge Mädchen! Sollten diese Behauptungen der Wahrheit entsprechen, rückt das das ablehnende Verhalten von Kollegahs Freundin in ein ganz anderes Licht. Doch auch gegen Kollegah erhebt der Vater Vorwürfe.

Wieso denn bitte gegen mich?!

„Er hatte einen so großen Einfluss auf sie, war jedoch kein gutes Vorbild. Stattdessen hat er Miras verzweifelte Situation ausgenutzt, um sie an sich zu binden. Er hat sich in unser Leben geschlichen und sie korrumpiert. Mir war das nie Recht, dass Mira sich mit ihm abgegeben hat. Als ich dann von befreundeten Eltern erfahren habe, dass er mit Drogen dealen soll, war es bereits zu spät. Da war Mira bereits ausgezogen. Mir hat es das Herz gebrochen, dass ich sie nicht schützen konnte! Bis heute weiß ich nicht, ob er Mira damals mit in seine Machenschaften gezogen hat!"

Scheiße! Mir war es scheißegal, was sie über mich schrieben. Es entsprach immerhin der Wahrheit und ich hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht! Aber dass sie Mira in dieses Licht schoben, gefiel mir überhaupt nicht! Mir tat das alles unheimlich leid!

David N. wirkt schwer getroffen. „Ich habe Mira ab und zu noch getroffen, um irgendwie unsere Beziehung aufrecht zu erhalten. Doch es war sehr schwierig." Im Jahr 2005 soll die Beziehung zwischen den zwei jungen Erwachsenen schließlich in die Brüche gegangen sein. „Sie erzählte mir in einem Gespräch, dass sie Felix (Kollegahs bürgerl. Name, Anm. d. Redaktion) schon länger nicht mehr gesehen hätte. Da wusste ich, dass er sie verlassen hat! Ich verstehe bis heute nicht, wie er ihr das antun konnte! Wenig später sah ich die ersten Berichte über seine aufstrebende Karriere und wusste: Er hat sich für den Erfolg gegen mein Mädchen entschieden!"

Whoa! War das sein Ernst?! Wie konnte er sich erlauben, sich ein Urteil über Dinge zu fällen, die er nicht verstand?!

David N. ist sehr wütend auf Kollegah. „Er hat immer vorgegeben, der verständnisvolle Schwiegersohn in spé zu sein. Doch dann hat er uns Mira entrissen und schließlich mit ihrer schlimmen Vergangenheit allein gelassen! Dabei wusste er doch, dass sie niemanden mehr hat! Ich verstehe nicht, weshalb Mira ihm noch eine Chance gegeben hat!"

Ich spürte eine unbändige Wut in mir und hatte große Mühe, sie zu unterdrücken.

An seinen Spekulationen könnte durchaus etwas dran sein, denn im Jahr 2005 unterschrieb Kollegah seinen Deal mit seiner heutigen Label-Heimat Selfmade Records und zog nach Düsseldorf. Sich erst das Vertrauen eines Mädchens zu erschleichen, um sie dann eiskalt für die Karriere zu opfern, wäre nicht sehr bosshaft. Weder Kollegah noch seine Freundin äußerten sich bislang zu den Aussagen."

Ich beendete die Lesung und sah sie dann erwartungsvoll an. „Und?", fragte sie gereizt, „Fühlst du dich jetzt besser?" In ihren Augen konnte ich sehen, wie schlecht es ihr ging. Ich wollte gerade etwas sagen, als sie aufstand. Ich seufzte schwer und fuhr mit meiner Hand über meinen Kopf. „Baby, warte...", bat ich sie, doch sie zog ihre Hand weg, als ich danach greifen wollte.

Danke für 17.000 Leser! Ich bin total aus dem Häuschen!

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt