82 | Zum Kotzen

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„Wir haben ein Match." Gab es diese Scheiße nicht bei Tender oder wie der Dreck hieß? Immer wieder ging mir dieser Satz durch den Kopf, als ich mit Mira zur Polizeiwache fuhr. Dort angekommen nahm uns der Frühweckdienst Herr Weber direkt in Empfang.

„Die Fingerabdrücke sind tatsächlich bereits in unserer Datenbank hinterlegt.", klärte er uns auf, als wir uns setzten. „Sie gehören zu einem Hans-Henning Waldhausen. Herr Waldhausen ist bereits polizeibekannt, unter anderem wegen Stalking." Hans-Henning?! Augenblicklich war mir klar, wieso er lieber ein Felix sein wollte!

„Und was machen wir jetzt mit Henny?", fragte ich und Mira warf mir einen vernichtenden Blick zu. Natürlich war die Situation keineswegs lustig. „Sie schauen sich Henny jetzt erst mal an.", sagte er dann zu Mira und mir und legte uns ein paar Bilder vor. Sie zeigten einen jungen Mann, der nur annähernd Ähnlichkeit mit mir hatte. Er trug die Haare wie ich, jedoch nur einen schmalen Kinnbart, und schaute grimmig in die Polizeikamera. Mira seufzte. „Das ist er. Er hat jetzt einen volleren Bart und die Haare sind etwas kürzer.", bestätigte sie. Ich drückte ihre Hand. Immerhin hatte der Hurensohn jetzt einen Namen.

„Und was können wir jetzt machen?", fragte Mira. „Mit einer einstweiligen Verfügung können Sie erwirken, dass er sich Ihnen nicht mehr nähern darf. Sollte er es doch tun, droht ihm eine Geldstrafe." Ich unterdrückte meinen Kommentar dazu. Ich fand, Mira sollte alles machen, was sie bei der Polizei machen konnte. Um den Typen am Ende richtig loszuwerden, würde ich mich schon anderweitig kümmern. Das würde ich dem netten Polizisten auf der anderen Seite dieses Tisches natürlich nicht sagen...!

„Ich glaube ja nicht, dass das irgendetwas bringt.", sagte Mira skeptisch, als wir wieder in mein Auto stiegen. Ich glaubte es auch nicht. „Vielleicht ja doch.", gab ich mich trotzdem zuversichtlich. Mira schnallte sich an. „Trotzdem wirst du mich auf dieses Konzert begleiten.", sagte ich entschieden. Mira verdrehte die Augen. „Schatz...", setzte sie an, „Ich kann auch einfach bei Carla schlafen." Ich startete den Motor. „Du kannst auch einfach mit mir dort hin kommen, wo ich ein Auge auf dich haben kann." Ich lenkte den Wagen aus der Parklücke und fädelte mich in den laufenden Verkehr ein. „Ich finde es sowieso schon krass genug, dass du nur deshalb zwei Konzerte komplett abgesagt hast.", kommentierte sie und musterte mich von der Seite. „Erstens lässt du so was meine Sorge sein und zweitens habe ich sie nur verschoben.", sagte ich. „Trotzdem, mir ist das unangenehm. Es gibt doch bestimmt auch viele, die extra von weit her anreisen wollten, sich ein Zugticket oder ein Hotelzimmer gebucht haben. Was, wenn die jetzt auf den Kosten sitzen bleiben, nur wegen mir?"

Ich schaute sie an und lächelte mild. Sie war einfach ein herzensguter Mensch. „Mach dir keine Gedanken über so was.", sagte ich. Sie lächelte leicht. „Ein Bisschen aufgeregt bin ich ja schon.", sagte sie dann, „Immerhin ist es mein erstes Konzert von dir, bei dem ich dich live sehe." Ich grinste. „So gefällst du mir schon viel besser."

Ich nahm Mira die kleine Reisetasche aus der Hand, als wir ihre ein paar Stunden später das Hotel erreichten. Sie hatte nur das Nötigste zusammengepackt und ich hatte trotzdem das Gefühl, dass sie für zwei Wochen statt für zwei Tage gepackt hatte. Ich nahm selbstverständlich ihre Hand, während wir zusammen mit den Jungs zum Eingang des Hotels liefen. Ich hatte versucht, keine große Sache daraus zu machen, dass sie uns heute begleitete. Wir brachten kurz die Taschen auf unsere Zimmer, dann ging es direkt weiter zum Soundcheck.

Mira fühlte sich nicht besonders gut. Der ganze Stress war ihr auf den Magen geschlagen. Also entschied sie sich dazu, bis nach dem Soundcheck allein im Hotel zu bleiben und ein wenig zu schlafen. Wir würden sie dann später wieder einsammeln, bevor wir etwas essen gingen.

Es dauerte etwas mehr als zwei Stunden, bis wir schließlich zum Hotel zurückkehrten. Als ich das Hotelzimmer betrat, lag Mira schlafend in unserem Bett. Ich betrachtete sie einen Augenblick. Obwohl sie schlief, wirkte ihr Gesicht angespannt. Ich seufzte. Was hatte sie verbrochen, dass das Schicksal es so auf sie abgesehen hatte? Sie war ein so guter Mensch und verdiente das alles überhaupt nicht. Langsam sank ich auf die Bettkante. Durch die leichte Erschütterung schlug sie langsam ihre Augen auf. Als sie in mein Gesicht schaute, lächelte sie. „Hi...", sagte sie lächelnd. Sie war wunderschön! „Hi...", erwiderte ich und strich durch ihr Haar. „Wie fühlst du dich?", fragte ich. Sie richtete sich langsam auf. „Es geht.", sagte sie, „Ein paar Stunden Konzert sollte ich schon überstehen. Aber ich werde auf keinen Fall etwas essen." Ich zog sie zu mir und küsste ihre Schläfe.

„Okay.", sagte ich, „Ruh dich noch etwas aus. Wir fahren so in ner Stunde zum Essen." Sie seufzte und fiel zurück in die Kissen. Doch dann sprang sie schneller aus dem Bett als ich gucken konnte und verschwand im Bad. Ich schloss seufzend meine Augen, als ich hörte, wie sie sich über der Toilettenschüssel erbrach. Eigentlich war sie wirklich nicht in der Verfassung, sich in irgendeine Konzerthalle zu stellen und sich mein Konzert anzusehen. Wahrscheinlich wäre sie bei Carla doch besser aufgehoben gewesen. Ich und mein sturer Kopf!

„Baby?", fragte ich leise und trat vorsichtig ins Bad. Mira kniete vor der Toilette auf dem Fußboden, den Kopf über der Schüssel, und kämpfte mit ihrer Übelkeit. „Hmm. Alles okay. Geht gleich.", sagte sie tapfer, während ich auf sie zuging und mich neben sie kniete. Dann strich ich ihre Haare aus dem Gesicht. „Wer hätte gedacht, dass du mir mal die Haare beim Kotzen hältst?", fragte sie, während ich den beißenden Geruch ignorierte und sanft über ihren Rücken strich.

„Willst du lieber gleich hierbleiben?", fragte ich. „Weiß ich nicht.", antwortete sie, bevor sie sich noch mal übergab. „Alter...", jammerte sie gequält und wischte sich den Mund mit etwas Toilettenpapier ab. „Ist alles raus?", fragte ich und sie nickte. „Glaub schon." Ich atmete auf. „Dann komm her.", sagte ich und hob sie vom Boden auf. Sie stand etwas wackelig auf ihren Beinen. „Alles nur wegen so einem Hurensohn!", platzte es wütend aus ihr heraus. Ich schmunzelte. Ich glaubte, dieses Wort noch nie aus ihrem Mund gehört zu haben, doch ich erwischte mich dabei, dass ich es ziemlich sexy fand. Das war sicher auch nicht ganz normal!

„Komm, Baby. Leg dich wieder hin.", sagte ich und brachte sie wieder zum Bett. Sie schaute mich entschuldigend an. „Tut mir leid. Jetzt mache ich dir auch noch so einen Stress." Ich grinste. „Weil ich derjenige bin, der kotzen muss? Erzähl keinen Scheiß.", sagte ich, während sie kraftlos auf das Bett sank. Dann sah sie traurig in meine Augen.

„Ich glaube, ich würde mich wirklich wohler fühlen, wenn ich hierbleiben könnte.", sagte sie dann. Ich nickte. „Ich glaube auch, dass du hier besser aufgehoben bist." Sie seufzte. „Schade. Ich hab mich wirklich schon auf das Konzert gefreut. Vor allem, um danach deine Live-Skills zu kritisieren." Ich lachte auf. „Das kannst du dann ein anderes Mal machen, okay?" Sie nickte schwach. „Okay."

Ich legte mich noch ein wenig zu ihr und hielt sie einfach nur im Arm. Sie lächelte mild und schloss ihre Augen. Ich spürte, dass sie sich bei mir geborgen fühlte. Mir ging es andersrum schließlich auch immer so. Es erfüllte mich mit einem guten Gefühl, dass ich ihr auch mal etwas von all dem zurückgeben konnte.

Atemlos fiel ich auf die kleine Couch im Backstage. Noch immer hörte ich die Jubelschreie der Leute da draußen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich schloss meine Augen und versuchte mich zu entspannen. Normalerweise schlauchte mich so ein Konzert erst am Tag danach, aber ich war so auf Adernalin, dass ich es in der Regel am selben Abend nicht mal merkte. Der Auftritt heute war gigantisch! Die Leute waren richtig gut drauf und wir hatten gerade die Bühne komplett abgerissen. Ich war ziemlich zufrieden.

Ich öffnete meine Augen wieder und suchte nach meinen Zigaretten. Ich konnte sie nicht finden. Also bediente ich mich einfach an denen meines Kumpels. Ich zündete die Kippe an und zog den Rauch tief in meine Lungen. Du solltest aufhören zu rauchen. Miras Worte drängten sich wieder in meinen Kopf. Irgendwie konnte ich es trotzdem nicht dauerhaft lassen.

„Was geht mit After Party?", hörte ich irgendwen durchs Backstage fragen und irgendjemand anders schien sich ziemlich zu freuen. Ich hatte irgendwie so gar keinen Bock mehr auf irgendeine Party. Meine Gedanken schweiften zu Mira ab. Ich zog mein Iphone aus der Hosentasche, um sie kurz anzurufen. Gerade, als ich das Display entsperren wollte, stand Frederic vor mir. „Was geht mit After Party?", fragte er nun mich. Ich seufzte. „Nee, man. Keinen Bock heute." Er grinste wissend. „Verstehe." Als ob ich Spaß daran hatte, meine magenkranke Freundin flachzulegen! Spinner!

Ich warf einen Blick auf mein Display. Irritiert stellte ich fest, dass Mira mich vier Mal angerufen hatte. Fuck! Hatte sich ihr Zustand verschlechtert? Ich zog an der Zigarette, dann rief ich sie zurück. Es dauerte keine Sekunde, bis sie ans Telefon ging.

„Was ist los?", fragte ich. „Komm besser her.", sagte sie. Ich strich über meinen Kopf. „Hast du auf den Teppich gekotzt?", fragte ich. Offenbar verkannte ich die Situation vollkommen, denn plötzlich hörte ich ein leises Schluchzen am anderen Ende. „Komm bitte schnell." Fuck! Was war denn jetzt schon wieder los?! Ich schaute mich suchend nach einem geeigneten Fahrer um. „Ich bin in zehn Minuten da."

Was wohl jetzt schon wieder los ist...also ein bisschen Ruhe würde den beiden doch ganz gut tun. Vielleicht mal rauskommen und abschalten... Aber das macht ihre Gesundheit wohl sowieso nicht mit. Vielleicht wäre sie wirklich besser bei ihrer Freundin geblieben...

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt