68 | Entlassen

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„Lass mich das mal sehen.", bat ich Mira und streckte meinen Arm nach einer Zeitung aus, die sie in der Hand hielt. Sie saß auf dem Stuhl an meinem Krankenbett und seufzte. Ich war inzwischen schon ein paar Tage hier und wartete auf meine Entlassung. Mira war nicht von meiner Seite gewichen, hatte sogar mit mir hier übernachtet. Ich hatte sie zwar gebeten, nach Hause zu fahren, aber sie hatte mich nicht alleinlassen wollen. Ich ließ es mir nicht anmerken, aber dass sie genau so war wie sie war, machte mich unglaublich stolz.

„Hör doch auf, dich selber so zu quälen.", sagte Mira, doch ich zog ihr die Zeitung aus der Hand. Dann sah ich auf die erste Seite und kniff krampfhaft meine Augen zusammen. Es war, als würde mein Gehirn sich nicht an die Buchstaben erinnern, die ich dort auf dem Papier sah. Mira legte ihre Hand an meine, als sie meinen verbitterten Gesichtsausdruck bemerkte. „Gib dir Zeit, Schatz. Der Arzt hat doch gesagt, dass das manchmal passiert und eine Weile dauern kann. Du musst jetzt einfach ein Bisschen Geduld mit dir selbst haben.", sagte Mira und schaute in meine Augen. Ich seufzte. „Er hat aber auch gesagt, dass manchmal eine logopädische Therapie notwendig wird. Ich ertrage es einfach nicht, nicht lesen oder schreiben zu können. Ich fühle mich ziemlich unbeholfen."

„Ich kann mir vorstellen, wie beschissen sich das anfühlt und dass du Angst davor hast, dass du nie wieder lesen oder schreiben kannst. Aber der Arzt sagte doch, dass das bei der Schwere deiner Verletzungen ziemlich unwahrscheinlich ist. Gib dir einfach etwas mehr Zeit.", wiederholte Mira.

„Ich gebe mir Zeit.", erwiderte ich fast ein wenig trotzig. Mira schmunzelte. „Nein, tust du nicht.", sagte sie, „Du schaust jeden Tag mindestens fünfmal, ob dein Gehirn die Buchstaben wieder zu Wörtern zusammensetzt. Hör auf damit. Ich weiß, es ist leicht gesagt, aber sei geduldig und sei vor allem nicht so hart zu dir selbst."

Ich seufzte, dann beugte ich mich zu ihr herüber und küsste sie sanft. Meine Rippen schmerzten, doch ich ignorierte den Schmerz. „Danke, dass du da bist.", sagte ich jetzt aufrichtig. Mira lächelte. „Dafür musst du dich nun wirklich nicht bedanken. Das ist doch vollkommen normal."

Ich warf einen letzten Blick auf die Zeitung, dann gab ich auf. Dafür holte ich mein Iphone aus der Nachttischschublade und klickte mich in die Facebook App, automatischer Anmeldung sei Dank. Mira musterte mich skeptisch mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Dein Ernst?", fragte sie. „Ich will nur nach ein paar Fotos schauen.", sagte ich zu meiner Entschuldigung. „Das ist doch jetzt völlig unwichtig.", entfuhr es ihr genervt. „Du erzählst mir ja nicht, ob irgendwelche neuen Fotos von uns aufgetaucht sind.", warf ich ihr vor. Mira verdrehte die Augen. „Schon wieder dieses Thema?", fragte sie und strich durch ihre Haare.

Seit Tagen bat ich sie, mir zu erzählen, ob es irgendwelche neuen beschissenen Artikel oder Bilder von uns gab. Doch sie sagte nichts dazu. „Weil du dich ausruhen sollst, anstatt dir über unwichtige Dinge den Kopf zu zerbrechen.", begründete Mira ihre Entscheidung. Ich sah in ihre Augen. Sie hatte Recht. Eigentlich zählte das alles jetzt überhaupt nicht mehr. Meine Gesundheit sollte jetzt für mich an erster Stelle stehen. Dicht gefolgt von unserer Beziehung und meiner Familie. Alles andere sollte in den Hintergrund treten.

Ich seufzte und legte das Iphone zurück, ohne überhaupt irgendetwas zu checken. Ich würde sowieso keines der Postings lesen können und so wie ich mich kannte, würde mich das nur noch mehr abfucken. Ich schickte ein Stoßgebet, dass bald der Arzt für die letzte Visite kam, bevor ich endlich nach Hause entlassen wurde. Eigentlich wollten mich die Jungs noch mal besuchen, aber ich hatte sie darauf vertröstet, einen Hausbesuch zu machen. Ich war Alex und Frederic wirklich dankbar, dass sie mich nach meinem Unfall sofort besucht hatten, doch ich hasste die ganze Atmosphäre hier. Ich wollte einfach nur wieder nach Hause.

Mein Blick fiel auf Mira. Bereits vier ganze Tage hatte sie hier mit mir verbracht, war nicht zur Arbeit gegangen, hatte wenn von hier aus Dinge erledigt und sich nicht um die Kids gekümmert, die für sie zählten. Ich wusste, wie wichtig ihr dieser Job war und dass ihr die Kinder am Herzen lagen. Trotzdem fand ich es schön, dass sie sich ganz klar für mich entschieden hatte. Die kommenden Tage würde sie mich zuhause betreuen und gesund pflegen. Alles Wichtige, was anfallen würde, würde sie von mir aus regeln.

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt