94 | Brüder

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Ziellos fuhr ich durch die Straßen von Düsseldorf. Es war, als hätte ich auf dem Weg nach nirgendwo komplett meinen Verstand verloren. Alles lief gerade wie ein Film an mir vorbei und ich hatte das Gefühl, all das gar nicht wirklich wahrzunehmen. Ich wusste weder was ich tat noch was ich dachte. Ich hatte einfach einen totalen Blackout.

Irgendwann, ich wusste nicht, wie lang ich schon durch die Straßen gefahren war, fand ich mich vor Farids Haus wieder. Es war mitten in der Nacht, trotzdem stieg ich aus und lief über die Straße. Als ich sein Haus erreichte, klingelte ich, ohne groß darüber nachzudenken. Ich wusste nicht, wieso es mich ausgerechnet zu ihm geführt hatte, aber ich musste jetzt einfach mit jemandem reden.

Nichts passierte, also klingelte ich noch mal. Noch immer nichts. Ich drückte noch einmal die Klingel herunter. Es war gut, dass Mira mir diese Nachrichten und Bilder bis jetzt vorenthalten hatte. Ich hätte sofort den Videodreh abgebrochen und wäre nach Hause gekommen! Es war an der Zeit zu handeln! „Wer ist da?" Seine aggressive Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Bruder, ich bin's." Schweigen. „Toni?" „Ja, mach mal auf."

Wie in Trance lief ich die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Ich wusste überhaupt nicht, wieso sich der Penner nicht inzwischen auch mal ein cooles Haus gekauft hatte. Immerhin hatte er doch inzwischen die Kohle dafür. Er stand müde in seiner Wohnungstür und musterte mich ratlos, als ich schließlich den Treppenabsatz erreichte. Er trug nichts außer einer dunklen Jogginghose. Bei dem Anblick seines Bizeps wurde mir schlecht. Ich musste dringend wieder härter trainieren!

„Alter, was machst du hier?", fragte er und ließ mich rein. Das grelle Licht in seinem Flur blendete mich so krass, dass ich einen Augenblick lang die Augen zusammenkniff. Nur vorsichtig öffnete ich sie wieder. Vor meinen Augen flimmerte es und ich seufzte lautlos, als ich den sich anbahnenden Migräneanfall erkannte.

Farid musterte mich währenddessen mit erschrockenem Gesichtsausdruck. „Wie siehst du denn aus, Alter?", fragte er, „Ist was passiert?" Ich warf einen Blick in den kleinen Spiegel an seiner Wand im Flur. Ich erschrak. Meine Augen waren nicht mehr als zwei tiefblaue Punkte in dunklen Augenhöhlen. Ich hatte Augenränder, als hätte ich eine Woche am Stück durchgefeiert. Mein eigentlich ziemlich braunes Gesicht wirkte leichenblass und eingefallen. Auf meinen Wangen zeichneten sich noch immer eingetrocknete Tränenreste ab.

„Ich muss mit dir reden, Bruder.", sagte ich, „Ich brauche deine Hilfe." Wie in Trance lief ich hinter ihm her ins Wohnzimmer, wo ich mich erschöpft auf die Couch fallen ließ. „Warte, ich hol dir kurz was zu trinken.", sagte Farid und verschwand in der Küche. Ich fand es ziemlich absurd, dass er mir – fertig wie ich gerade auf seiner Couch saß – zuerst mal etwas zu Trinken anbot, anstatt mich direkt auszufragen wie ein neugieriger Schuljunge. Trotzdem nickte ich dankbar, als er mir eine Flasche Wasser und ein Glas brachte. Dann setzte er sich auf die Couch über Eck und musterte mich.

„Also, schieß los.", sagte er ernst und beugte sich nach vorn. Dabei faltete er seine Hände und musterte mich aufmerksam. Er sah ein Bisschen aus wie ein alter Gelehrter in irgend so einem beschissenen Shaolin-Mönch-Film. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte.

„Ich habe dir doch von diesem Typ erzählt, der meiner Freundin nachstellt.", versuchte ich einfach irgendwo anzufangen. Farid seufzte. „Darüber haben wir doch schon gesprochen, Alter.", sagte er jetzt gedehnt, „Wir können nichts tun, so lang du nicht weißt, wer dieser Hurensohn ist." Ich nickte. „Ich weiß. Aber ich weiß es jetzt. Es ist ziemlich viel passiert und‑" „Ich will alles wissen.", unterbrach er mich direkt entschieden. „Er hat angefangen, ihr aufzulauern.", begann ich mit den Neuigkeiten ziemlich weit vorn in der Chronologie. Farid sah mich aus großen Augen an. „Hat er sie angefasst?" Ich seufzte. „Nein, aber er hat sie bedroht. Das erste Mal hat er ihr vor der Haustür aufgelauert, ein zweites Mal schließlich auf der Arbeit. Er hat ihr ganzes Büro auseinander genommen und sie bedroht, ihr gesagt, dass er sie besitzen will. Alter, das geht so nicht. Ich kann nicht tatenlos zuschauen, wie der Typ ihr das antut! Wir waren bei den Bullen, aber du kennst das ja... Aber sie konnten ihn ermitteln und ich kenne jetzt seinen Namen. Er hat ein ziemlich langes Vorstrafenregister wegen Stalking und Nötigung. Ich habe mich dann mit dieser Yana getroffen.", fuhr ich fort.

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt