77 | Bereitschaftsmodus

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„Wo genau hast du den Typ gesehen?", fragte ich, als ich zu Mira und Pia in den Flur trat. Ich hielt ein Shirt in der Hand, welches ich mir jetzt überzog, während Pia mich verständnislos musterte.

„Warst du nicht eben noch da draußen?", fragte sie irritiert. Ich schüttelte den Kopf. „Mira erklärt dir das. Wo hast du den Typ gesehen?!", wiederholte ich gereizt meine Frage, während ich mir die Schuhe wieder überzog. „Ein paar Meter die Straße runter.", antwortete Pia, „Als er mich gesehen hat, hat er sich von mir weggedreht und ist hinter einer Mauer verschwunden."

Dieser dreckige Bastard hing wirklich hier herum und versuchte, Mira auf Schritt und Tritt zu beobachten! Das würde jetzt ein Ende haben! Ich zog die Wohnungstür auf und schnappte mir meinen Schlüsselbund. „Schatz!", versuchte Mira mich halbherzig aufzuhalten und hielt mich sanft an meinem Handgelenk fest. Ich machte mich von ihr los. „Lass mich das jetzt regeln!", sagte ich entschieden und schaute fest in ihre Augen, „Mach die Tür hinter mir zu. Mach niemandem auf. Ich hab meinen Schlüssel dabei." Ich drückte mich an ihr vorbei in den Hausflur. „Zieh dir wenigstens ne Jacke an...", hörte ich Mira noch sagen, doch ich ignorierte sie.

Ich bemerkte die kühle Nachtluft kaum, als ich jetzt ins Freie trat. Ich ließ den Schlüsselbund in der Tasche meiner Jogginghose verschwinden, als die schwere Haustür hinter mir ins Schloss fiel. Dann wartete ich einen Augenblick, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Als ich mich schließlich in Bewegung setzte, spannte sich meine gesamte Körpermuskulatur an. Mein Körper war augenblicklich im Bereitschaftsmodus, bereit, alles erbarmungslos zu zerschmettern, was ihm in den Weg kam.

Langsam lief ich den kleinen Weg vom Hauseingang zur Straße hinauf und scannte dabei aufmerksam mit zusammengekniffenen Adlersaugen meine Umgebung ab. Noch immer waren einige Laternen auf der Straße ausgefallen, doch die verbleibenden Laternen spendeten noch genug Licht, um den Gehweg zu überprüfen. Als ich den Bürgersteig erreichte, schlenderte ich zunächst rechts entlang und versuchte, jeden Winkel der Umgebung zu erfassen. Noch ein paar Meter lief ich die Straße entlang, dann schließlich blieb ich stehen. Noch einmal sah ich in die Dunkelheit hinaus und suchte sie nach einer schwarzen Gestalt ab.

Plötzlich nahm ich eine Bewegung in meinem Augenwinkel wahr. Alarmiert fuhr ich herum. Nichts. Mieser Hurensohn! Versteckte er sich etwa ernsthaft vor mir?! Wieso war er bei Mira nicht so ein menschenscheuer Bastard?!

Ich kehrte um. Als ich Miras Haus wieder erreichte, lief ich in die andere Richtung weiter. Auch hier prüfte ich jede dunkle Ecke und jeden Winkel, schaute hinter jeden beschissenen Busch und verspürte den Drang, sogar in Müllcontainern nachzuschauen. Wer konnte schon wissen, wie wenig Menschenwürde dieser Hurensohn besaß?!

Frustriert kehrte ich zu Miras Wohnhaus zurück. Ich hatte ihn nicht gefunden. Entweder hatte er sich verdammt gut versteckt oder er war inzwischen wirklich verschwunden. Da ich in jedem noch so kleinen Winkel geschaut hatte, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass ich ihn übersehen hatte.

Als ich schließlich den Wohnungsschlüssel in der Tür umdrehte, seufzte ich frustriert. Es ärgerte mich, dass ich noch immer keinen Schritt weiter war. Unzufrieden warf ich die Tür hinter mir zu und folgte den zwei aufgeregten Frauenstimmen ins Wohnzimmer. Mira und Pia saßen auf der Couch und starrten mich erwartungsvoll an, als ich den Raum betrat.

„Und?", fragte Mira nervös und stand auf. „Nichts.", sagte ich, „Der Wichser hat sich verpisst. Ich konnte ihn nicht finden." „Bist du sicher?", hakte Pia nach, „Ich meine, vor ein paar Minuten war er doch noch da." Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Willst du vielleicht sicherheitshalber noch mal nachschauen?", knurrte ich sie gereizt an. Mira griff nach meiner Hand, offensichtlich, um mich zu beruhigen. „Ich dachte ja nur...", versuchte Pia die Situation zu entschärfen. „Überlass das Denken vielleicht anderen Menschen.", erwiderte ich und machte mich von Mira los. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Felix...", versuchte sie mich zu besänftigen, doch in dieser Situation beruhigte mich vermutlich gar nichts so schnell. Ich musste einfach wissen, wer dieser Hurensohn war! Wenn er mich wirklich imitierte, hatten wir vielleicht ein viel größeres Problem, als ich angenommen hatte. In Gedanken versunken ließ ich mich auf die Couch fallen.

„Findest du wirklich, dass du sie in dieser Situation jetzt so behandeln solltest?", fragte Pia – wie ich fand unberechtigterweise. Wer war sie denn, dass sie sich in dieser Situation überhaupt zu meinem Verhalten äußern sollte?! Wenn sie mich weiter kritisieren wollte, sollte sie sich lieber verpissen!

„Findest du wirklich, dass du mich jetzt nerven solltest?", stellte ich ihr eine – wie ich fand berechtigte – Gegenfrage. „Felix...", wiederholte Mira meinen Namen. Ich sah sie gereizt an. „Was?" „Sie kann nichts dafür, dass du ihn nicht finden konntest und jetzt eine Riesenwut hast.", sagte Mira. Ich biss mir auf die Zunge, um ihr nicht an den Kopf zu werfen, dass Pia sehr wohl etwas für meine Wut konnte. Immerhin tat sie nichts, sie nicht noch weiter zu steigern! „Lass uns nach einer Lösung suchen.", sagte ich, anstatt weiter auf Konfrontationskurs zu gehen. Mira ließ sich neben mich fallen und nahm meine Hand. Ich hielt sie fest und drückte sie.

„Ihr müsst damit auf jeden Fall zur Polizei gehen!", sagte Pia jetzt ungefragt und schaute dann ernst von Mira zu mir und wieder zurück. „Was bringt denn ne Anzeige gegen unbekannt?", sagte ich gereizt, „Wir haben nicht mal Informationen über den Typ. Außerdem helfen die uns nicht wirklich weiter. Die sprechen dann einen Platzverweis aus, der vier bis sechs Wochen gültig ist, und danach kann er wieder hier herumlungern wie er Bock hat – wenn er sich überhaupt daran hält. Außerdem kann er noch eine Kontaktsperre oder eine Unterlassungsverfügung unterschreiben, die ihn auf rechtliche Konsequenzen hinweist, wenn er dagegen verstößt. Mit der kann Mira ihn dann bewerfen, wenn er ihr wieder mal auflauert. Im besten Fall ist der Hurensohn auch noch Hartz-IV Empfänger und kann die Kohle dann stunden lassen, weil er ja keine besitzt. Dann zahlt er im Monat zehn Euro an Mira und das war's."

Mira sah mich überrascht an. „Wow, da kommt der Jurastudent aus dir raus, oder?", fragte sie doch ich ignorierte ihren Einwand. „Du studierst Jura?", setzte Pia überrascht hinzu. Ich ignorierte sie. Ich war wirklich genervt. „Natürlich machen wir das trotzdem.", sagte Mira jetzt, „Sicher ist sicher." Ich seufzte. „Baby, ich gehe gerne mit dir zur Polizei. Allein schon, um die darüber zu informieren, dass du einen Stalker hast und sie im Notfall Bescheid wissen. Aber sie werden dir sagen, dass sie nichts tun können, bis er dich nicht wirklich verletzt hat. Ich will nur, dass du weißt, dass diese ganze Scheiße am Ende kaum etwas bringt. Aber ich weiß, dass du dich dann besser fühlst. Also werden wir hingehen."

Natürlich hielt ich mein Wort, auch, wenn sich an meiner Meinung nichts änderte. Also lief ich am nächsten Tag gemeinsam mit Mira und Pia, die als Zeugin eine Aussage machen wollte, bei der Polizeiwache ein. Natürlich fanden es diese Hurensöhne auch noch amüsant, dass ein Kollegah auf einer Polizeiwache erschien, um augenscheinlich um Unterstützung zu bitten. Dabei wollte ich Mira nur einen Gefallen tun, damit sie sich etwas besser fühlte. Also erstattete sie eine Anzeige gegen Unbekannt und erzählte den Männern in blau von diesem unheimlichen Typen, der ihr Briefe und Nachrichten geschrieben und ihr aufgelauert hatte, der mir ziemlich ähnlich sah – was einige absolut unlustige Kommentare des diensthabenden Beamten zur Folge hatte, weswegen ich ihm gern auf der Stelle sein dummes Gesicht zerschlagen hätte – und sie ziemlich beunruhigt war. Zur Untermauerung ihrer Aussagen hatte sie alle Briefe und Nachrichten dieses Bastards mitgebracht. Wie ich jedoch bereits vermutet hatte, wiegelte die Polizei sie damit ab, dass es sich auch um eine harmlose, hartnäckige Schwärmerei handeln konnte und schickte sie mit der Information nach Hause, dass sie nichts unternehmen konnten, so lang sie sich nicht ernsthaft in Gefahr befand.

Nach unserem Besuch auf der Wache fuhren wir wieder zu Mira. Ich hatte entschieden, dass ich sie über das Wochenende mit zu mir nehmen würde. Hier würde ich sie sicherlich nicht lassen. Also packte Mira ein paar Sachen zusammen, die ich in mein Auto trug. Mira begleitete mich bis zum Wagen, dann zog ich sie zu mir heran und küsste sie zum Abschied.

Dann stieg ich ein und fuhr los. Auch, wenn es ein Umweg für Pia war, so hatten wir ausgemacht, dass sie Mira nach Düsseldorf fahren würde, um weniger Aufsehen zu erregen und die Aufmerksamkeit von mir abzulenken. Sollte dieser Hurensohn wieder in der Nähe sein und Mira beobachten, so konnte er glauben, Mira würde mit Pia in der Stadt vielleicht nur einen Kaffee trinken fahren, anstatt uns eventuell sogar noch zu verfolgen und so herauszufinden, wo ich wohnte. Ich hoffte jedenfalls, dass er das nicht schon längst wusste!

Ich weiß. Schon wieder war der Typ nicht in der Nähe. Ihr hättet euch sicher alle gefreut, wenn er ihm endlich mal wehgetan hätte. Oder? Also ich jedenfalls freue mich auf den Moment, in dem sie sich begegnen! Ich hoffe, das Kapitel hat euch trotzdem gefallen 😀

My ryde or die chick || Kollegah FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt