Kapitel 1

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"Emely muss so langsam mal wieder in die Schule kommen.", sagte mir der Lehrer am Telefon.
"Lisa!", rief vom Platz aus jemand panisch nach mir und gleichzeitig versuchte ich noch irgendwie zwei Jungpferde am Strick zu halten und zu beruhigen. Ja. Es war eindeutig mal wieder das Chaos ausgebrochen, aber das waren hier ja mittlerweile alle gewohnt.
"Entschuldigung, aber hier ist gerade das Chaos schlecht hin und ich hab hier zwei Junghengste am Strick, die sich angiften. Könnten sie vielleicht einen Moment warten?", fragte ich, während ich irgendwie mit den Stricken in meiner Hand rum fuchtelte.
"Es ist wichtig! Ich versuche jetzt schon seit einer Woche sie zu erreichen und nie geht jemand dran!", schimpfte der Lehrer. Mein Gott! So ein Vollidiot! Kein Wunder, dass Emely nie Lust auf Schule hatte!
"Entschuldigen Sie, aber ich habe 500 Pferde im Stall, die alle bewegt werden müssen und die Hälfte von meinem Team ist krank. Außerdem hab ich eine heulende Tochter im Haus und müsste noch irgendwie für Olympia trainieren! In einem halben Jahr sind die Qualifikationen! Da können sie sich vielleicht vorstellen, dass ich besseres zu tun habe, als mit ihnen zu telefonieren!", schimpfte ich wütend und legte mein Handy nun auf den Sattelhalter neben mir, um mich wieder den jungen Hengsten zu widmen.
"Jetzt lasst den Mist endlich!", sagte ich wütend und gab den sich beißenden Hengsten jeweils einen Klaps an die Schulter, um sie dann schnell in ihre Boxen ab zu schieben. Mein Gott! Die beiden zusammen waren ja echt ätzend! Wie schaffte es Jenny jeden Tag mit den beiden? Okay. Sie telefonierte dabei auch nicht mit irgendwelchen komischen Lehrern. Naja. Jenny war jedenfalls krank und wir mussten irgendwie ohne sie klar kommen. So war heute das Chaos schlecht hin. Emely saß schon die ganze Woche über heulend mit Liebeskummer in ihrem Zimmer und im Stall brach das absolute Chaos aus, weil alle krank wurden oder Urlaub hatten. Dadurch waren meine Nerven so langsam aufgebraucht. Ich schnappte mir nun wieder mein Handy und fragte: "So. Jetzt nochmal. Was wollten Sie?"
"Emely muss so langsam mal wieder in die Schule kommen. Sie ist jetzt schon seit einer Woche nicht mehr da gewesen und ich wüsste gern warum.", sagte der Lehrer angenervt. Meine Güte! Musste der gleich so rum zicken.
"Lisa!", schrie wieder irgendwer panisch. Da musste jetzt mal wer anders gucken. Ich musste jetzt erstmal den Typen abwimmeln.
"Warum war Emely denn die ganze Woche nicht da? Ist sie krank?", fragte dieser nun.
"Ja. Sie hat eine heftige Erkältung.", log ich. Der Typ musste ja nicht unbedings wissen, dass sie mit Liebeskummer in ihrem Zimmer war.
"Okay. Über ihre Schulnoten müssten wir dann auch mal reden. Sie hat nie irgendwelche Hausaufgaben und wenn doch sind die von irgendwem abgeschrieben. Wenn sie so weiter macht schafft sie ihren Abschluss nicht!"
"Lisa!", wurde der rufende noch panischer und Johannes kam panisch in den Stall gerannt. Er war es wohl, der die ganze Zeit gerufen hatte.
"Was denn verdammt nochmal!", rief ich genervt und hielt mein Handy ein Stück von mir weg.
"Irgendwas stimmt mit Shalima nicht. Die liegt in ihrer Box und weigert sich auf zu stehen. Du musst mal gucken!", rief Johannes panisch.
"Ich kann jetzt nicht! Rufen sie am Sonntag nochmal an!", sagte ich nun zu dem Lehrer und legte auf. Leise fluchend rannte ich nun hinter Johannes her in den Stall, wo Shalima ruhig in ihrer Box lag.
"Hey meine Hübsche! Was ist denn los mit dir?", fragte ich ind kniete mich zu ihr auf den Boden. Die Stute blieb einfach ruhig liegen. Ihra Atmung war ruhig und auch ihr Puls war normal. Keine Anzeichen für irgend eine Krankheit. Es sah viel mehr nach etwas ganz anderem aus...
"Johannes geh schnell los und hol Julia! Und bring Ben mit! Aber beeilt euch!", wies ich ihn an.
"Wieso? Was ist mit ihr?", fragte er.
"Frag nicht, sondern lauf!", wies ich ihn an und als er verschwand, wandt ich mich wieder Shalima zu. Diese sah überhaupt nicht so aus als wäre sie krank oder hätte irgendwelche Schmerzen. Viel mehr als hätte die alte Stute beschlossen, dass jetzt ihre Zeit gekommen war. Das gehörte zu dem Leben auf einem Gestüt leider auch dazu. Noch war ich mir allerdings nicht sicher. Dafür brauchte ich Julias Bestätigung.

Diese kam wenig später und ich fragte: "Ist es das, was ich vermute?"
Julia verstand, was ich meinte und nickte.
"Soll ich Ben holen?", fragte sie.
"Johannes ist schon auf dem Weg."
"Okay. Wollen wir nochmal mit ihr reden?"
"Das soll Ben gleich entscheiden. Sie ist sein Pferd. Da ist es sein gutes Recht das selbst zu bestimmen."

Nach einer Weile kamen dann auch Ben und Johannes bei uns an.
"Was ist mit ihr?", fragte Ben sofort besorgt.
"Ihre Zeit ist gekommen.", erklärte ich knapp und als er mich traurig anschaute wusste ich, dass er verstanden hatte.
"Wir dachten nur, dass du dich vielleicht von ihr verabschieden willst.", sagte ich vorsichtig und legte tröstend einen Arm um ihn. Ich wusste, wie viel die Stute ihm bedeutete und wie schlimm dieser Moment für ihn war.
"Ich geh dann mal wieder.", meinte Johannes und verschwand.
"Willst du nochmal mit ihr reden? Soll ich übersetzen?", fragte Julia. Von Ben kam nur ein leichtes Nicken. So wandt sie sich nun voll und ganz der Stute zu, während ich Ben half sich neben ihr in das Stroh zu setzen. Mit so einem eingegipsten Bein war das gar nicht mal so einfach.
Als er dann saß, kniete ich mich zu ihm.
Kurze Zeit später wandt Julia sich Ben zu und erklärte: "Sie möchte dir gerne sagen, dass ihre Zeit jetzt gekommen ist. Sie ist schon sehr alt und wird dich nun verlassen müssen. Sie möchte aber, dass du dein Leben normal weiter lebst und ihr nicht nach trauert. Sie verspricht dir, dass ihr euch irgendwann wieder sehen werdet und das sie von oben aus über dich wachen wird. Sie wünscht sich nur eins von dir. Sie möchte, dass du sie nie vergisst."
"Das könnte ich nie meine Kleine!", sagte Ben mit zittriger Stimme ind strich der Stute sanft über den Kopf. Ich merkte, dass er den Tränen nahe war. Diese Stute hatte ihnfast sein komplettes Leben lang begleitet ind sie war ihm immer sehr wichtig gewesen. Er könnte sie nie vergessen. Das wusste ich genauso gut, wie alle hier.
"Sie sagt sie wird dich genauso wenig vergessen können und ich soll dir sagen, dass sie tief in deinem Herzen immer bei dir sein wird.", sagte Julia nun. Von Ben kam nur ein leichtes Nicken.
"Sie sagt sie wünscht uns allen und vor allen Dingen dir noch ein tolles, langes Leben und bedankt sich dafür, dass sie all die Jahre hier so ein tolles Leben führen durfte. Wir sollen auchJenny ausrichten, dass sie ihren Job als Pflegerin sehr gut gemacht hat und sich immer bestens um sie gekümmert hat. Sie sagt sie wird uns alle sehr vermissen.", redete Julia weiter. Von Ben kam wieder nur ein leichtes Nicken.
"Okay. Habt ihr noch irgendwelche Fragen?", fragte Julia nun. Ben schüttelte den Kopf.
"Gut. Dann lass ich euch mal wieder alleine.", sagte Julia, klopfte Ben noch einmal aufmunternd auf die Schulter und ging.
Die Stute neben uns legte nun vorsichtig ihren Kopf auf Bens Schoß und ließ sich von ihm noch ein letztes Mal streicheln, bevor ihr Herz zu schlagen aufhörte.

Sprung ins ChaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt