Pünktlich zum Ende der Fütterung kam dann die Pizza und auch die anderen kamen rein. Nur Jenny war irgendwie verschwunden.
"Wo habt ihr denn Jenny gelassen?", fragte ich verwundert.
"Die wollte schnell nochmal bei den Jungpferden gucken. Sie meinte aber wir sollten ruhig schon ohne sie anfangen zu essen."
"Gut. Pizza steht da und Teller daneben. Ich denke es ist am einfachsten, wenn jeder sich selber nimmt.", erklärte ich. Von den anderen kam nur ein Nicken. So aßen wir gemeinsam etwas und unterhielten uns über die Pferde. Mit denen war insgesamt wohl alles ganz gut gelaufen und es waren nur die üblichen Kandidaten, die Zicken gemacht hatten. Zwischendrin kam auch Jenny dazu und wir tauschten unauffällig Blicke aus. Sie gab mir zu verstehen, dass alles nach Plan lief. So verschwanden die anderen nach dem Essen und es blieben nur noch Jenny, Tom, Julia, Johannes und Julian übrig. Diese setzten sich nun mit Ben in das Wohnzimmer und ich verkündete: "Ich geh dann eben eine Runde mit Ginger joggen."
Ich hatte denn Satz kaum ausgesprochen, als ich auch schon einen leichten Anflug von Panik in Bens Gesicht erkennen konnte. Hoffentlich schob der hier jetzt nicht Panik ohne Ende.
"Ich bin spätestens in einer Stunde wieder hier. Wenn irgendwas ist dann ruft an. Ich hab mein Handy dabei.", sagte ich, gab ihm noch einen Kuss und ging dann.
So richtig wohl fühlte ich mich dabei allerdings nicht. Aber immerhin freute meine Stute sich mich zu sehen. Diese steckte ihre Kopf schon fast von alleine in das Halfter und rieb glücklich ihren Kopf an meiner Schulter. Sie hatte mich wohl wirklich sehr vermisst.
So warf ich ihr für alle Fälle nochmal eine Regendecke über und ging dann erstmal langsam im Schritt los, bevor ich dann nach einer Weile zu joggen begann. Die Stute trabte voller Eifer neben mir her und so joggten locker duech den Wald.
Ich wollte gerade wieder umdrehen und zurück joggen, als mein Handy klingelte. Hoffentlich war das nur irgendwas geschäftliches!
"Gestüt Michalów, Lisa Michalów. Wie kann ich Ihnen helfen?", meldete ich mich.
"Du musst schnell zurück kommen.", hörte ich Jenny sagen. Auf der Stelle drehte ich um und machte mich daran zurück zu joggen, während ich fragte: "Was ist passiert? Ist irgendwas mit Ben."
"Ja."
"Was ist mit ihm."
"Der schiebt hier irgendwie gerade total die Panik."
"Verdammt! Ich komme so schnell ich kann! Sag ihm, dass es mir gut geht. Ich bin gleich da.", sagte ich und legte auf. So schnell ich konnte, rannt ich mit Ginger am Zügel zum nächsten Zaun, wo ich hoch kletterte und mich auf ihren Rücken schwang. Schnell trieb ich sie vorwärts und die Stute machte brav mit. Immer schneller galoppierte sie durch den Wald zurück zum Gestüt. Sie war einfach die Beste!
Am Gestüt angekommen sprang ich, wie am Tag zu vor auch, schnell von ihrem Rücken, ließ sie einfach laufen und rannte zum Haus. Ich hatte kaum die Tür geöffnet, als auch schon Jenny vor mir stand.
"Endlich!", kam es nur von ihr.
"So schlimm?", fragte ich besorgt.
"Ja. Der ist kurz vorm durchdrehen, aber Julia macht ihren Job eigentlich ganz gut."
"Wo sind die beiden?"
"Oben."
"Okay.", sagte ich und lief auch schon wieder los.
"Soll ich Ginger versorgen?", rief Jenny mir hinterher.
"Das wäre nett!", antwortete ich noch und rannte dann die Treppen hoch zu unserem Zimmer. Als ich dort die Tür öffnete, traf mich der Schlag. Das war ja noch schlimmer, als ich erwartet hatte! Ben war völlig aufgelöst und mit den Nerven total am Ende. Julia saß dabeben und gab alles, um ihn zu beruhigen.
Als Ben mich nun sah, sprang er, so gut es mit Krücken möglich war, auf und fiel mir erleichtert um den Hals.
"Hey. Ist doch alles gut! Ich war doch nur kurz mit Ginger joggen!", sagte ich beruhigend, doch er schien mich gar nicht richtig wahr zu nehmen. Er hatte sich in seine Panik einfach total rein gesteigert. Die Frage war nur, warum. Aber darauf wusste Julia hoffentlich eine Antwort. Unauffällig schaute ich zu ihr rüber, doch aus ihrem Blick konnte ich rein garnichts lesen. Hoffentlich wusst sie, was wir machen konnten. Sonst hatten wir ein Problem. Und das war gar nicht mal klein. Dann konnte ich nämlich nicht mehr arbeiten.
Wir standen nun eine Weile so, bis Ben sich wieder beruhigt hatte und sich langsam wieder von mir löste.
"Können wir dich so für fünf Minuten alleine lassen? Ich will nur kurz Ginger in die Box bringen.", fragte ich nun und da war es schon wieder. Der leichte Anflug von Panik in seinem Gesicht.
"Alles ist gut! Ich bring sie nur kurz in die Box und komm dann wieder! Versprochen!", versuchte ich ihn zu beruhigen, aber das half auch nicht wirklich.
"Ich gehe mit und pass auf sie auf. Ich bring sie dir gesund wieder. Versprochen!", fügte Julia noch hinzu und jetzt konnte ich tatsächlich erkennen, wie Ben sich etwas beruhigte. Wow! Sie hatte wirklich Ahnung!
Gemeinsam gingen wir nun runter nach draußen, wo wir uns auf die Bank vor dem Haus setzten.
"Dich nimmt das alles ganz schön mit.", bemerkte Julia.
"Und du kannst Gedanken lesen.", sagte ich.
"Nein. Das nicht, aber ich hab drei Jahre Psychologie studiert. Ich habe es gelernt jede Bewegung von Menschen zu sehen und richtig deutet zu können.", verbesserte Julia.
"Warum hast du das nie erzählt?"
"Ich rede nicht gerne über meine Vergangenheit."
"Das hab ich auch schon gemerkt."
"Du musst mit jemanden reden. Das ist wichtig. Und wenn du es Ginger erzählst, auch das kann schon helfen, aber nur so kannst du mit der ganzen Situation momentan klar kommen."
"Jetzt, wo man es weiß, fällt es schon irgendwie auf, dass du Psychologin bist."
"Ich bin keine Psychologin. Ich habe nur Psychologie studiert. Das ist ein Unterschied."
"Achso. Ja. Entschuldigung."
"Schon okay. Das verwechseln viele."
"Hast du mit Ben irgendwas raus gefunden oder irgend eine Ahnung, was wir mit ihm machen können?"
"Als sein Vater gestorben ist, ist mir schon aufgefallen, dass er Probleme mit Verlustängsten hat. Bis jetzt konnte er die aber noch ziemlich gut unterdrücken und hatte seien Angst im Griff. Jetzt, wo er in kürzester Zeit so ziemlich alle verloren hat, die ihm wichtig sind, hat sich seine Angst aber verschlimmert und er kann sie nicht mehr unterdrücken. Er hat keine Chance mehr, alleine mit seiner Angst klar zu kommen. Er hat jetzt panische Angst davor, dass du auch stirbst. Du bist die Einzige, die er noch hat und du bist ihm unglaublich wichtig."
"Ja. Das klingt logisch."
"Das ist logisch. Die Frage ist nur, woher diese Verlustängste kommen. Da müsstest du mir dann mal aushelfen. Ist in der Vergangenheit irgendjemand gestorben, der ihm ziemlich wichtig war und über dessen Tod er nicht hinweg gekommen ist?"
"Ja. Als er sieben Jahre alt war, ist seine Mutter gestorben."
"Mit ihrem Tod hat er noch heute schwer zu kämpfen oder?"
"Ja. Aus irgend einem Grund hat Stuart ihn nach dem Tod seiner Mutter gehasst und ihn einfach allein gelassen. Er hat ihn so erzogen, dass er ein Feigling ist, wenn er Gefühle zeigt und das nur Memmen weinen."
"Kann es sein, dass Ben seiner Mutter ziemlich ähnlich sieht?"
"Ich weiß es nicht. Ich war fünf, als sie gestorben ist. Ich kann mich nicht mehr an sie erinnern."
"Gibt es irgendjemanden, der damals dabei war und sich noch daran erinnert, den du kontaktieren könntest?"
"Äh..."
"Vielleicht irgendwie John oder so?"
"Stimmt. Das könnte sein."
"Gut. Dann sprechen wir morgen mal mit dem. Es ist wichtig, dass wir die genauen Auslöser von seiner Angst herausfinden und den Punkt finden können, wo sie wirklich entstanden ist. Da kann jedes noch so kleine Detail entscheidend sein."
"Okay. Was mach ich jetzt mit Ben?"
"Sprich mit ihm und versuch so viel, wie möglich aus ihm heraus zu kriegen. Reden hilft in solchen Situationen sehr. Ansonsten sei einfach für ihn da. Er braucht jetzt jemand neutrales, der für ihn da ist."
"Gut. Was machen wir morgen? Die Pferde müssen morgen wieder bewegt werden. Wenn er jedes Mal so reagiert, wie eben, kann ich ihn nicht alleine lassen."
"Die Pferde haben diese Woche mal einen Tag mehr frei. Das wird ihnen garantiert nicht schaden. Richtig konzentrieren kannst du dich momentan sowieso nicht."
"Okay. Ich muss nur abends mit Ginger wenigstens ein bisschen was machen. Olympia gewinnt man nicht vom nichts tun."
"Mit ein bisschen Glück hab ich bis dahin vielleicht schon einen Weg gefunden, wie wir das machen können."
"Das wäre schön."
"Ja, aber ich kann nichts versprechen."
"Ich geh dann mal lieber wieder zurück zu Ben."
"Mach das. Wir sehen uns morgen."
"Ja. Bis dann!"
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Sprung ins Chaos
Random"Sprung ins Chaos" ist der 6. Teil meiner Buchreihe zu den Bewohnern des Gestüts Michalòw und knüpft direkt an den 5. Teil "Der falsche Sprung" an. Auch hier geht es wieder um Lisa, Ben und vor allen Dingen auch Emely, die mal wieder ordentlich Chao...