Gemeinsam schauten wir nun die ganzen Pferdepässe von den jungen Hengsten durch und schauten sie uns genau an. Zuerst dachten wir bei jedem Hengst genau über den Charakter nach. Jeder, der nicht perfekt passte, wurde aussortiert. Weiter ging es dann mit den Äußerlichkeiten. Wir schauten uns genau an, ob die Hengste groß genug waren, ob sie raumgreifend genug vorwärts schritten und ob sie sonst irgendwelche äußerlichen Markel hatten. Jeder Hengst, der nicht perfekt war, wurde aussortiert. Weiter ging es dann mit dem Stammbaum. Hier kamen nur wirklich reinrassige Araber mit dem besten Stammbaum weiter. Nun war über die Hälfte aller Hengste aussortiert. Zum Schluss schaute Julia nochmal drüber und sortierte noch einige der Hengst aus. Nach welchem Prinzip sie die Hengste aussuchte, wusste keiner. Sie sprach immer davon, dass die Hengste, die übrig blieben, eine besondere Aura hatten und das die anderen eine schlechte Aura hatten und als Zuchthengste nicht geeignet waren. Daher waren sie als Hengste nicht für uns von Nutzen.
"Von anfangs etwa 100 jungen Hengsten blieben nun nur noch 10 Hengst übrig, die wirklich als Hengste geeignet waren. Bei den anderen 90 Hengsten wurde zuerst einmal versucht, ob sie als Hengste vielleicht noch verkauft werden konnten. Wenn nicht, würden sie noch vor der Körung im Winter kastriert werden. Als Wallache würden sie dann in die ganze Welt verkauft werden. Die, die übrig bleiben, kamen im Frühjahr dann mit zu einer Auktion, wo sie dann versteigert wurden. Die wenigen Hengste, die mit zur Körung kamen, wurden dort gekört. Wenn sie nicht gekört werden, werden sie entweder als nicht gekörte Hengst am selben Tag noch verkauft oder aber ebenfalls kastriert und dann verkauft. Bei uns bleiben nur die gekörten Hengste. Und die auch nur, wenn sie auch wirklich in unsere Zucht passten und wenn wir uns wirklich sicher waren, dass er als Deckhengst geeignet war. Wenn er bleiben durfte, wurde er von uns trainiert. Meistens von mir oder aber auch von Ben. Wenn er sich auf ein paar Distanzrennen beweisen konnte, war endgültig entschieden, dass er bleiben durfte. Nun trainierten wir ehrgeizig mit ihm und kitzelten alles heraus, was er konnte. Wenn er einige große Erfolge geholt hatte, durfte er dann als Zuchthengst anfangen. Das Training wurde nebenbei allerdings trotzdem weiter geführt. Der Hengst sollte so viele große Erfolge feieren, wie möglich. Somit wurden die Fohlen von diesen Hengsten noch wertvoller. Auch das gehörte zum Geschäft eines Züchters. Nur die besten Pferde behalten und die anderen so früh wie möglich für so viel Geld, wie möglich verkaufen. Das war der Job eines Züchters.
Nachdem wir mit den Hengsten dann fertig waren, schauten wir noch einmal bei den jungen Stuten durch. Auch von ihnen konnten nicht alle bleiben. Die Auswahl fand etwa genauso statt. Allerdings schauten wir hier nicht so genau nach dem Stammbaum, sondern erstmal nur nach den anderen Punkten. Der Stammbaum war erst wichtig, wenn es darum ging zu entscheiden, welche der Stuten zur Zucht geeignet waren. Das war momentan allerdings noch nicht relevant.Am Nachmittag hatten wir dann endlich alles durchsortiert und alles entschieden. Nun kam der aufwendigste Teil. Jedes Pferd, das verkauft wurde, musste haarklein beschrieben und ins beste Licht gerückt werden. Wir mussten also für jedes der über 100 Pferde einen mindestens zweiseitigen Bericht schreiben und diesen komplett abtippen, um ihn dann noch mit ein paar Bildern auf zu hübschen und auf unserer Website hoch zu laden. Diese war extra so eingestellt, dass ich auf meinem Handy eine Nachricht bekam, wenn jemand Interesse an einem der Pferde hatte. So konnte ich direkt darauf reagieren und mit dem Käufer alles abklären. Die nächsten Wochen waren also voll mit Bürokram und Terminen mit irgendwelchen Leuten, die eventuell eins unserer Pferde kaufen wollten. Also lauter ätzende Sachen und nicht viel Zeit für anderes. Dazu kamen noch die Probleme mit Ben momentan und Ginger musste auch noch irgendwo mit rein passen. Immerhin waren bald die Qualifikationen. Bis dahin mussten wir beide ein eingespieltes Team sein und den Parcours perfekt hinter uns bringen können. Da viel mir plötzlich etwas ein.
"Verdammt! Morgen kommt ja auch Adriane!", fluchte ich.
"Bleib locker. Die kommt erst nächste Woche. Das hab ich schon organisiert."
"Danke!"
"Schon gut. Irgendwer muss hier ja einen Plan haben und du hast momentan halt einfach anderes zu tun. Bei dem Chaos, was du hier dauerhaft hast, ist es eigentlich ein Wunder, das du noch keine psychischen Probleme hast."
"Ich bin dieses Chaos einfach gewöhnt. Ich hatte von klein auf nichts anderes, als dieses Chaos. Irgendwann findet man sich damit ab und rennt nicht bei jedem Problem mit dem Kopf durch die Wand."
"Aha. Und das dein Mann hier immer, wenn du allein unterwegs bist, Panik ohne Ende schiebt und kurz davor ist sich um zu bringen steckst du einfach so weg?"
"Ich hab gesehen, wie mein erster, eigener Hund überfahren wurde, ich habe das völlig zerstörte Bein meiner geliebten Stute gesehen, ich habe sie sterben sehen, ich saß daneben, als mein Bruder sich versucht hat um zu bringen und total depressiv wurde, weil du ihn verlassen wolltest, ich habe meinen Mann mehr oder weniger selber opereriert und sein Sprungelenk mit drei Schrauben wieder zusammen geschraubt und ich habe meine Mutter nach dem Selbstmord gefunden. Mich kann nichts mehr schocken."
"Jeder normale Mensch würde dich jetzt zum Psychater schicken."
"Und was sagt die Psychologin?"
"Es ist verwunderlich, dass Ben den Selbstmordversuch gestartet hat und nicht du."
"Warum sollte ich mich umbringen? Ich hab hier doch eigentlich ein tolles Leben. Die schönsten Pferde direkt vor meiner Haustür, eine erfolgreiche Springreiter Karriere, eine tolle Tochter, tolle Freunde und den besten Mann, den man sich vorstellen kann. Ich lebe meinen Traum. Warum sollte ich mich da umbringen?"
"Du bist echt der Hammer! Wenn jeder auf der Welt deine Einstellung hätte, bräuchte man keine Psychologen mehr. Kannst du Ben mal ein bisschen von deiner Einstellung abgeben?"
"Ben hat eigentlich die gleiche Einstellung. Der Selbstmordversuch war einfach nur eine Kurzschluss Reaktion. Eigentlich will er sich gar nicht umbringen. Er hat einfach nur absolute Panik. Mehr nicht."
"Wie schaffst du es mit all dem Chaos klar zu kommen?"
"Ich rede. Alles, was mich beschäftigt, erzähle ich Devil. Pferde sind toll. Sie hören aufmerksam zu und geben keine Widerworte. Es gibt keinen besseren Psychologen für mich."
"Wünscht du dir denn nie eine Antwort auf deine Probleme?"
"Die bekomme ich. Das solltest du doch am besten wissen. Man muss nur genau aufpassen. Dann bekommt man auch eine Antwort."
"Du bist echt beneidenswert. Es gibt nicht viele Menschen, die all das verkraften können, indem sie mit einem Perd reden."
"Pferde sind mein Leben. Sie sind einfach so winderbare Geschöpfe. Sie helfen mir zu vergessen und alles zu verarbeiten."
"Es gibt nicht viele Leute, die das so können. Die meisten brauchen Antworten, auf ihre Fragen und jemanden, der ihnen erklärt, wie sie weiter leben sollen."
"Lernt man so etwas in einem Psychologie Studium?"
"Auch. Ja. Der Hauptteil ist aber Lebenserfahrung. Ich beobachte Menschen sehr genau. Das ist so etwas, wie mein Hobby."
"Interessant."
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Sprung ins Chaos
Random"Sprung ins Chaos" ist der 6. Teil meiner Buchreihe zu den Bewohnern des Gestüts Michalòw und knüpft direkt an den 5. Teil "Der falsche Sprung" an. Auch hier geht es wieder um Lisa, Ben und vor allen Dingen auch Emely, die mal wieder ordentlich Chao...