Die gesamte Ausrüstung von Darling putzte ich und verschwand dabei immer mehr in den alten Erinnerungen. Wie ich damals all meine Ersprinisse zusammen gekratzt hatte, um mir diese Ausrüstung leisten zu können und wie stolz ich als kleines, 14 jähriges Mädchen doch gewesen war, als ich sagen konnte, dass ich mein eigenes Sattelzeug für meine Stute hatte. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich in diesem Sattel so viele Erfolge feiern würde und so viele tolle Momente erleben würde. Nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann mit über 40 Jahren das Gestüt besitzen würde, mit meinem dritten Springpferd tolle Erfolge feiern würde und glücklich meinen ersten eigenen Springsattel putzen würde.
In solchen Momenten kamen aber auch die traurigen Momente in mir hoch. Die Tage an denen nichts geklappt hatte und ich mit meiner Stute fast verzweifelt wäre, die Tage an denen ich Niederlagen auf großen Turnieren einstecken musste, die Tage an denen meine Stute nur rum zickte und vor allen Dingen ein ganz schrecklicher Tag war mit diesem Sattel verbunden. Der Tag, der alles verändert hatte. Der Tag des Unfalls. Auch diesen hatte ich in diesem Sattel erlebt und wegen diesem Tag musste meine Stute sterben. Auch das war leider mit der Ausrüstung verbunden und legte sich, wie ein Schatten, über die guten Momente und die schönen Erinnerungen.
Plötzlich wurde ich durch eine Hand auf meiner Schulter aus meinen Gedanken gerissen. Erschrocken zuckte ich zusammen und erkannte Tom, der mich besorgt an schaute.
"Ist alles in Ordnung?", fragte er.
"Ja.", schluchzte ich. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich zu weinen begonnen hatte.
"Stimmt irgendwas mit Emely nicht oder so?", fragte er.
"Nein.", schluchzte ich.
"Was ist denn dann? Seit du den Spint da auf gemacht hast, bist du wie ausgewechselt."
"Das verstehst du nicht. Du warst damals noch nicht da."
"Versuch es doch mal. Vielleicht verstehe ich es ja doch."
"Das ist der Spint von meiner ersten Stute. Darling."
"Das ist doch der Schecke von dem die ganzen Bilder überall hängen oder?"
"Ja. Mit ihr hat alles angefangen. Mit ihr bin ich mein erstes Springen geritten, mit ihr hab ich das erste Mal eine Weltmeisterschaft gewonnen, das erste Mal eine Europameisterschaft gewonnen udn das erste Mal Olympia gewonnen. Sie war der Grundstein für meine komplette Karriere."
"Sie war dir sehr wichtig oder?"
"Ja. Sie war mein ein und alles. Sie hat mich und Ben zusammen gebracht und uns so viele tolle Momente beschert."
"Was ist mit ihr passiert?"
"Sie war 18 und sollte ihre letzte Saison laufen. Auf dem ersten Turnier hatten wir einen schweren Unfall. Sie hat sich erschreckt und ist los gerannt. Viel zu schnell sind wir auf die Kombination zu gerast und es hätte nie im Leben passen können, aber sie ist gesprungen. Sie hat eine der Stangen zwischen die Beine bekommen und ist gestürzt. Dabei hat sie sich ein Bein kompliziert gebrochen und die Sehne ist gerissen. Eine Woche später musste ich sie leider einschläfern lassen.", erzählte ich, so gut ich es über Tränen schaffte.
"Das tut mir leid für dich. Es muss schwer gewesen sein hier weiterhin normal zu leben."
"Sehr schwer. In dieser Zeit kam dann Devil zu mir. Er hat mir geholfen über ihren Tod hinweg zu kommen und wieder zu leben. An manchen Tagen fehlt sie mir aber einfach so unfassbar."
"Das kann ich mir vorstellen. Hast du die Ausrüstung jemals wieder verwendet."
"Nein. Ich schaffe es einfach nicht mehr in diesen Sattel zu steigen. Das erinnert mich viel zu sehr an den Unfall. Ich bring es aber auch nicht über das Herz in her zu geben oder weg zu schmeißen. Also verstaubt er hier und ich putze ihn immer mal und schwelge in Erinnerungen. Das brauche ich ab und zu mal."
"Ist sie das?", fragte Tim nun und deutete auf ein Bild, das un dem Spint hing.
"Ja. Das war kurz nachdem ich mit ihr das erste Mal Olympia gewonnen habe. Ich war so verdammt stolz auf sie!"
"Ist das daneben Jenny?"
"Ja. Jenny war die Pflegerin von Darling. Sie müsste das Bild auch noch irgendwo haben."
"Ja. Stimmt. Jetzt wo du es sagst. Sie hat das bei sich an der Tür hängen."
"Ja. Sie war damals eine der wenigen, die an meine Stute dran durfte und die persönliche Pflegerin von meiner kleinen. Da war sie gerade erst ein paar Jahre bei uns."
"Darling muss ihr auch viel bedeutet haben. Das sieht man."
"Sie hat uns allen viel bedeutet. Sie war einfach ein herzensgutes Pferd und hat alles für uns getan. Für Jenny und mich wäre sie auch durchs Feuer gelaufen."Wir unterhielten uns noch eine Weile, bis Ben rein kam.
"Ist alles in Ordnung?", fragte er besorgt, als er die Tränen in meinen Augen sah. Ich nickte nur.
"Warum weinst du denn?", fragte er, bevor er den Sattel vor mir sah.
"Das ist doch...", setzte er an und ging dann wortlos auf mich zu, um mich in den Arm zu nehmen.
"Bald ist ihr Todestag, oder?", fragte er vorsichtig.
"Morgen.", sagte ich, " Morgen sind es 18 Jahre."
"Entschuldigung. Das hab ich total vergessen.", sagte Ben. Ich schwieg jedoch. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen machte, aber es tat auch irgendwie gut ihn bei mir zu haben. Er war für mich eine wichtige Stütze und es tat gut ihn bei mir zu haben. Tom hatte allerdings auch einen sehr guten Job gemacht. Er hatte sich echt Mühe gegeben mich zu verstehen. Das war nur leider nicht so einfach. Ich verstand ja selber nicht, warum ich nach fast 20 Jahren immernoch jedes Jahr an ihrem Todestag um sie weinte.
Dieses Jahr war es allerdings besonders schlimm. Schon lange war sie mir nicht mehr erschienen und es fehlte mir einfach ihr erzählen zu können, was in den letzten Jahren so passiert war und mit ihr über alles zu reden, was mich beschäftigte. Am schwierigsten war es allerdings in diesem Zeitpunkt Ginger gegenüber zu treten und normal mit ihr zu trainieren. Sie sah ihr einfach so verdammt ähnlich und war auch vom Charakter her war sie nahezu gleich. Da war es gar nicht so einfach mit ihr normal zu springen, ohne irgendwelche Hintergedanken dabei zu haben.
Aus diesem Grund war ich mit meiner Stute schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesprungen. Ich konnte es momentan einfach nicht.
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Sprung ins Chaos
Random"Sprung ins Chaos" ist der 6. Teil meiner Buchreihe zu den Bewohnern des Gestüts Michalòw und knüpft direkt an den 5. Teil "Der falsche Sprung" an. Auch hier geht es wieder um Lisa, Ben und vor allen Dingen auch Emely, die mal wieder ordentlich Chao...