Chapter Two

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„Na dann." Seufzend starrte er auf die Türklinke in seiner Hand, die sich wie immer anfühlte, als wäre es unmöglich, sie auch nur einen Millimeter zu bewegen. Und das, obwohl das Gebäude erst vor wenigen Jahren errichtet worden war, mitten in einem Einkaufsviertel aus dem Boden gestampft. Dabei war Mike bestens bewusst, dass es keineswegs verrostete Schrauben waren, die ihn davon abhielten, das Gebäude zu betreten, sondern vielmehr sein eigener Widerwille. War das, was er hier tun musste, doch ziemlich genau das exakte Gegenteil davon, was ihm Spaß machte. Er war einfach nicht dafür geschaffen, tagein, tagaus das Gleiche zu tun, immer wieder abwechselnd Brot, Gemüse und Fleisch in Pappboxen zu stapeln, und das so schnell wie seine Hände es zuließen.

Es war eine sinnbefreite Arbeit, zumindest für ihn, aber wenigstens eine, die ihm Geld einbrachte und sich mit den Vorlesungen und Bandproben vereinbaren ließ. Und so atmete er schließlich ein letztes Mal tief durch, ehe er die Augen schloss und diese eintönige Welt betrat, in der er nun die nächsten Stunden gefangen sein würde.


Hey Leute, hier spricht Mike von Linkin Park.

Wenn ich das so sage, klingt es doch beinahe so, als wäre ich jemand, oder? Wenn ich es nur laut genug in die Welt hinausschreie. Oder die Augen schließe und mir ganz fest vorstelle, dass meine Träume Wirklichkeit werden. Was zu neunundneunzig Prozent Schwachsinn ist, aber an dem einen Prozent, das mir noch an Hoffnung bleibt, klammere ich mich fest.

Denn was bleibt mir anderes übrig? Nun, mein derzeitiges Leben. Gefangen zwischen Universität, Burger-Bude und Bandproben. Aber viel eine andere Wahl bleibt mir nun mal nicht, meine Eltern brauchen das Geld und ich muss gute Noten abliefern, sonst verliere ich mein Stipendium und das war's dann mit der Chance auf einen Job außerhalb von der Fast-Food-Kette, bei der ich die Hälfte meiner Freizeit opfere.

Dafür, dass ich dann in der anderen Hälfte meinen Traum leben kann, zusammen mit meinen fünf Brüdern. Also, sie sind nicht wirklich meine Brüder, aber manchmal kommt es mir fast so vor. Abends treffen wir uns immer bei BBB und Phoenix im Appartement, Chaz fährt mich und anschließend geht's mit Mr. Hahn wieder heim, immerhin darf ich auch umsonst bei ihm wohnen. Manchmal begleitet uns auch noch unser Nesthäkchen, Bourdie, zumindest bis wir bei der Wohnung seiner Mutter sind.

Na wie auch immer. Wir sechs sind jedenfalls Linkin Park, die beste Band weit und breit. Weil unsere Musik einfach gnadenlos ehrlich ist und jeder einzelne von uns das, was er macht, bis zur Perfektion beherrscht. Nur wollen das die Labels nicht kapieren. Oder sie haben einfach Angst vor uns, vor Chesters Screams.

Kurz gesagt, ich bin der Typ, der auf den ersten Blick nicht wirklich eine Zukunft hat, ein Spinner, der nur seinen Träumen hinterherjagt. Aber eines Tages wird dieser Spinner seinen Traum leben.


„Hey Chester." Auch ohne hinzusehen, war er doch noch immer damit beschäftigt, seine Uniform aus dem Spind zu fischen, wusste Mike genau, wer eben den kleinen Raum für die Mitarbeiter betreten hatte, dafür war Chesters Gang einfach zu unverkennbar.

„Hey Kumpel." Er gesellte sich zu ihm und klopfte ihm kurz auf den Rücken, ehe er seine kleine Standpauke, die er in den letzten Stunden einstudiert hatte, begann. „Warum gehst du nicht ran, wenn ich dich anrufe? Es ist wichtig, Mann!"

„Glaub mir, mit dem Teil kannst du derzeit nicht telefonieren." Seufzend platzierte Mike die in seinen Augen unglaublich schlechte designte Kappe auf seinen feuerroten Haare, die sich davon nur wenig beeindruckt zeigten, noch immer in alle Richtungen abstanden, wie auch die blonden Stacheln auf Chesters Kopf.

„Haben sie dir wieder einmal die Nummer gesperrt?" Er machte einen Schritt zur Seite um eine Flasche aus seinem eigenen Spind angeln zu können, nahm wie selbstverständlich einen großen Schluck davon und ließ sie wieder in dem metallenen Kästchen verschwinden. Eine Aktion, die Mike lieber unkommentiert ließ, konnte man doch nie wissen, wer an diesem Ort ein Gespräch mithörte. Und er hatte nicht vor, seinen Freund wegen der Wasserflasche, deren Inhalt der Rothaarige auf puren Wodka schätzte, in Schwierigkeiten zu bringen.

„Nein, noch schlimmer. So 'ne Tussi hat es mir kaputt gemacht", fasste er das Problem kurz zusammen, konnte er Chesters Verwunderung doch bestens nachvollziehen. Immerhin hatte er den Sänger über die Arbeit kennengelernt, und das war erst nach dem Vorfall vor fast zwei Jahren gewesen. Also nach dem Moment, seitdem er ständig erreichbar sein wollte, auf den Anruf wartete, von dem er hoffte, dass er niemals kam. „Aber sag mir mal lieber, was du schon wieder angestellt hast?"

„Ich?" Verdattert deutete Chester auf sich selbst. „Ausnahmsweise gar nichts. Aber das Baby hat mir vorher die Ohren voll gejammert, zwecks er kennt sich nicht aus und so. Und weil du so ein Genie bist, dachte ich mir, ich frage dich mal um Hilfe. Weil er kommt heute nicht zur Probe."

„Na toll." Genervt rollte er mit seinen dunklen Augen, ehe er sich auf den Weg Richtung Küche machte, war es doch nun höchste Zeit, mit der Arbeit zu beginnen, auch wenn der Gedanke an eine Probe ohne Schlagzeuger sich nicht gerade positiv auf seine Laune auswirkte. „Dann richte ihm bitte aus, dass er nächstes Mal wieder auftauchen soll, dann erkläre ich es ihm."

„Wird gemacht, Boss!" Grinsend salutierte er ihm, ehe die beiden sich an ihre Plätze begaben, Seite an Seite eine Bestellung nach der nächsten abarbeiteten und sich die Zeit damit vertrieben, sich im Flüsterton auszutauschen, wobei Mike bestens bewusst war, dass es nur zwei mögliche Ausgänge dieser Konversation geben konnte. Entweder, sie schlugen so einen düsteren Pfad ein, dass Chester die nächsten Tage herumwanderte, als hätte er eine geliebte Person verloren, oder er fand das Thema so unterhaltsam, dass sein schallendes und äußerst ansteckendes Gelächter durch das ganze Restaurant hallte. Eine Sache, für die er nicht erst einmal zurechtgewiesen worden war, der Manager ihn darauf hingewiesen hatte, dass die Gäste es vorzogen in Ruhe zu speisen.

Gespräche, über die sich der Sänger jedoch nicht den Kopf zerbrach, sondern vielmehr noch Tage später krumm lachte, war ihm doch mehr als klar, dass das Ambiente in einem Fast Food Tempel so oder so nicht vorhanden war und bekam so nur bestätigt, was er ohnehin bestens wusste. Dass sein Vorgesetzter ein weltfremder Profitgeier war, der froh sein konnte, dass er auf die Arbeit angewiesen war, wusste er doch sonst nicht, ob er länger hier arbeiten würde. Aber wie auch Mike brauchte er nun einmal jeden Dollar.

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