Chapter Eighteen

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„Tut mir Leid." Seine Stimme war so leise, dass Anna sie kaum hören konnte, den Sinn seiner Worte erst erkannte, als er ihr Gesicht vorsichtig mit seinen Händen einrahmte, fast so, als wäre er davon überzeugt, dass sie unter seiner Berührung zerbrechen konnte. Und vielleicht tat sie das auch, schlug ihr Herz doch ein wenig schneller, als sie einen kleinen Schritt auf ihn zumachte, standen sie immerhin noch absurd weit voneinander entfernt da, für zwei Menschen die einander angeblich liebten. Aber ihre Hände wollten ihr nicht gehorchen, hielten noch immer die Kette umklammert, wo sie doch nichts sehnlicher wollte, als Mike in ihre Arme zu schließen. Diesen eigenartigen Moment so perfekt zu machen, wie es eben möglich war, wussten sie doch beide, was sie zu tun hatten, wenn sie die dunklen Gestalten von ihrem Schauspiel überzeugen wollten.

„Schon okay", wisperte sie schließlich, war sich nicht sicher, ob sie die Worte aussprach oder sie nur mit ihrem Mund formte, ob er sie denn verstand. Und doch sah sie die Unsicherheit in seinen dunklen Augen, seine Angst, nicht vor den Männern, sondern vielmehr vor ihrer Reaktion. Aber er war nicht irgendwer, er war Mike, dessen Nähe ihr aus einem nicht näher erfindlichen Grund Trost spendete, dem sie vertraute, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben kennen.

Und doch war sie es, die ihm die Entscheidung abnahm, in der Hoffnung, dass er sich so keine Vorwürfe machen würde. Ihre Augen zusammenkniff und sich auf die Zehenspitzen stellte, um Mike zaghaft einen Kuss auf die Lippen zu drücken.

Etwas, mit dem er trotz allem offenbar nicht gerechnet hatte, stand er doch einen Moment wie versteinert da, bis er realisiert hatte, was gerade vor sich ging, ihren Kuss ebenso vorsichtig erwiderte. Und doch war sich Anna sicher, dass er lächelte, während eine seiner Hände ihre suchte und umfasste, die Finger ineinander verschränkt, als wären es Puzzlestücke, die zueinander gehörten.

„Sorry", murmelte er dennoch, seine weichen Lippen noch immer so nah an ihren, dass sie jeden Buchstaben fühlen konnte, zaghaft ihre Augen öffnete, um ihn anzusehen, seine Pläne zu durchschauen. Seine Hand ein wenig fester zu umklammern, bevor sie sich von ihm mitziehen ließ, hinaus aus der Dunkelheit in das Licht, auf die hell beleuchtete Straße.

„Alles in Ordnung?" Besorgt sah er sie an, hatte sich ein wenig herabgebeugt, sodass er ihr besser in die Augen blicken konnte. Aber nun, wo sie an der Haltestelle standen, im Licht einer Straßenlaterne, einige Meter von den übrigen Passanten entfernt, sah sie ihn nicht mehr an, blickte vielmehr durch ihn hindurch. Jetzt, wo ihr langsam bewusst wurde, in welcher Situation sie sich bis eben befunden hatte, wie die Sache hätte ausgehen können.

„Anna!" Sie hörte ihn ihren Namen rufen, merkte, wie er sie an den Schultern nahm und leicht schüttelte, während sich der Dämon, die dunkle Gestalt, die sie wieder einmal eingeholt hatte, immer mehr in ihre Klauen nahm, ihren Hals zusammendrückte, die Gedanken in ihrem Kopf durcheinanderwirbelte. Es ihr unmöglich machte, sich auf etwas zu konzentrieren.

„Sieh mich an!" Sie musste den Ursprung der Stimme finden, den Fokus wiedergewinnen. Es schaffen, die Kontrolle über sich selbst zurückzubekommen. „Anna!"

Und damit sah sie ihn wieder, ihn, Mike, der vor ihr stand, sein Gesicht so knapp vor ihrem, ihr immer wieder Dinge zurief, die sich langsam ihren Weg durch den Sturm in ihrem Hirn bahnten, auseinandergerissen zu werden drohten, aber es irgendwie schafften, sie zu erreichen.

„Atme!" Verzweifelt versuchte sie, seinem Befehl Folge zu leisten, nach Luft zu schnappen, ihren Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, spielten sich doch immer und immer wieder die gleichen Szenen in ihrem Kopf ab. „Es ist jetzt alles in Ordnung!" Was passiert wäre, wenn Mike nicht vorbeigekommen wäre.

„M-mike", stammelte sie schließlich, während die ersten Tränen über ihre Wangen kullerten, sie sich langsam aus der Schockstarre lösen konnte, gerade soweit, dass sie sich an den Ärmeln seiner Jacke festkrallen konnte, in der Angst, dass sie umfallen würde, wenn sie es nicht tat.

„Alles ist gut", wiederholte er sein Mantra, wischte ihr vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht, wohl wissend, dass für sie nichts gut war, dass sie gerade nicht da war, sondern weit weg von hier, in einem tiefen Brunnen saß. Er hatte lernen müssen, dass er in einem solchen Moment nicht helfen konnte, wusste, dass nur sie alleine wieder herausklettern konnte. Wie oft hatte er Chester schon so gesehen, war bei ihm geblieben, bis er wieder zurück war. Und wie seinen besten Freund würde er auch sie nicht alleine lassen, bei ihr bleiben, die Leiter sein, die sie zurück ans Licht führte.

„Wenn du nic-cht da-ha gewesen wärst..."

„Aber ich bin da gewesen, Anna, ich bin da." Zaghaft nahm er sie in die Arme, stets darauf bedacht, sie nicht zu fest zu drücken, fühlte sie sich doch noch zerbrechlicher an, als er es sich jemals vorgestellt hätte. „Und ich bringe dich jetzt nachhause, okay?"

„O-kay." Widerstandlos folgte sie ihm in den Bus, ließ den Ärmel seiner Jacke nicht los, während sie sich neben ihm zusammenkauerte, wie so oft versuchte, sich unsichtbar zu machen. Er musste sie ablenken, das war Mike klar, ihre Gedanken auf etwas anderes lenken als die vergangenen Minuten.

„Wo genau musst du eigentlich hin?" Er versuchte bewusst fröhlich zu klingen, obwohl ihm der Schrecken genauso in den Knochen saß, ihn die Ereignisse vermutlich noch länger bis in seine Albträume verfolgen würden.

„Zur vorletzten Station", gab sie ihm eine ungenaue Angabe, war nach wie vor damit beschäftigt, ins Leere zu starren und nach Luft zu schnappen, als wäre sie am Ersticken. Er musste irgendwie dafür sorgen, dass sich ihre Panik wieder legte das wusste er, nur wie?

„Woher hast du eigentlich deine Kette?", fragte er sie schließlich, da ihm auf die Schnelle nichts Besseres einfiel und sie das Schmuckstück umklammerte, als würde ihr Leben davon abhängen. Beinahe schon tat ihm der Gedanke daran weh, dass er gezögert hatte, sie ihr zu geben, jetzt, wo er sah, wie viel sie ihr bedeutete.

„Geburtstagsgeschenk", antwortete sie kurz, ohne auch nur einen Millimeter von ihrer erstarrten Pose abzuweichen. Aber noch würde sich Mike nicht geschlagen geben, hatte er mit Rob doch genügend Zeit zum Üben gehabt wenn es um nicht gerade gesprächige Gesprächspartner ging.

„Von wem denn?"

„Mom", gab sie ihm eine einsilbige Antwort und runzelte noch im selben Augenblick die Stirn, als würde sie ihre eigenen Worte merkwürdig finden.

„Und wie lange hast du sie jetzt schon?"

„Seit meinem zehnten Geburtstag." Und damit sah sie zu ihm, fast ein wenig verwundert, ihre eigene Stimme zu hören. „Also schon fast mein halbes Leben."


Authors Note
Too much? 🤔😅

Ich bin 18 und laufe immer noch rot an, wenn ich Kussszene schreiben muss - auch wenns eigentlich nur ein Bussi ist, mehr ist für die zwei Sturschädel noch nicht drin und zwar für eine ganze Weile...Wie gut, dass es andere Pärchen in dieser Geschichte gibt. Oh, Verzeihung Elisa, ich meinte natürlich, wie gut, dass es Dave und Linsey gibt!

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