Chapter Fourteen

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„Mike!" Joes Aufregung vor Beginn der ersten Vorlesung war für ihn mehr als nur nicht nachzuvollziehen und so drehte er sich lediglich fragend zu seinem Freund, nahm dabei einen großen Schluck vom zweiten Kaffee des Tages, in der Hoffnung, dann zumindest ein wenig von seiner Energie abzubekommen. Wobei sein Freund normalerweise nicht wie ein Irrer herumbrüllte, zumindest nicht um acht Uhr morgens. Nun aber nickte er aufgeregt in eine Richtung, war wohl kurz davor, wie ein kleines Kind auf etwas zu zeigen, was in Anbetracht der Studenten, die sich nun langsam aber sicher versammelten, vermutlich nicht die beste Idee gewesen wäre.

„Ich hab deine Freundin gefunden." Auch wenn er Joe nicht ansah, konnte er das Grinsen in seiner Stimme hören, während er nun auch die junge Frau erblickte, die ausnahmsweise nicht gehetzt aussah, sondern vielmehr einfach nur müde, wie vermutlich jeder hier. Also war sie hinter der Fassade eines Skeletts doch ein ganz normaler Mensch der früh aufstehen hasste. Und vermutlich braucht sie wie er dringend noch eine Tasse Kaffee, oder besser noch zwei. Ein Gedanke, der ihm ein zaghaftes Lächeln ins Gesicht zauberte, was ihn Joe sofort bereuen ließ, kassierte er doch einen Schlag gegen den Oberarm, während der DJ durch die Zähne pfiff. „Da ist wer verliebt!"

„Gar nicht!", protestierte Mike sofort, sah er doch wirklich keinen Grund dafür, warum Joe diese Mutmaßung anstellen sollte. Denn das einzige, was er für sie empfand war nun einmal Sorge.

Wenn die Vorlesung noch lange dauern würde, dann würde sie vermutlich einschlafen, soviel war sich Anna sicher, versuchte sie doch mittlerweile verzweifelt, ihre Augen irgendwie offen zu halten, was ihr eher recht als schlecht gelingen wollte, gemessen an dem Chaos, das gerade auf ihrem Notizblock entstand, kaum noch als einzelne Wörter zu identifizieren. Aber was der Professor da eben von sich gab interessierte sie nun einmal nicht, und wenn sie sich so umsah, dann ging es den anderen ähnlich. Ein paar hatten es sogar nicht geschafft dem Drang nach Schlaf zu wiederstehen und lagen nun auf der schmalen Ablage, die als Tisch dienen sollte, und schliefen tief und fest. Nur einer war wie immer hell wach, der Lockenkopf, der immer in der dritten Reihe links saß, am ersten Platz. Mit herausgestreckter Zunge angestrengt dem lauschte, was der Professor ihnen zu sagen hatte. Manchmal, und das verstand sie am allerwenigsten, stellte er sogar Fragen an den Vortragenden, ging oft nach der Vorlesung noch zu ihm, um das Thema der aktuellen Vorlesung noch weiter zu diskutieren. Dann, wenn sie nur noch aus dem Raum wollte, ihre Ruhe von den monotonen Stimmen und wenig abwechslungsreichen Vorträgen.

Seufzend ließ er sich auf den freien Platz in der Straßenbahn fallen, stellte seinen Rucksack auf seinen Beinen ab, während sich das Fahrzeug langsam in Bewegung setzte. Ein paar Minuten Pause waren ihm so vergönnt, ein paar Minuten, bis er bei seiner Arbeit war und wieder einen Burger nach dem anderen schlichten musste. Aber wenigstens hatte er Chester an seiner Seite, der ihn mit seinem eigenen Sinn für Humor schon durch so manche Schicht gebracht hatte. Und dann, dann würden sie zur Probe fahren und der Tag ein gutes Ende nehmen. Ein Gedanke, der ihn ein wenig zuversichtlicher auf die nächsten Stunden blicken ließ, während er die übrigen Fahrgäste musterte. Eine Menge Studenten, eine alte Frau mit ihrem Hund, den er nicht näher identifizieren konnte, ein Vater und seine Tochter. Und die Person neben ihm. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er bemerkte, wer da neben ihm saß, gedankenverloren aus dem Fenster blickte. Den Kopf auf einer der dürren Hände abgestützt während der Fokus ihrer großen Augen über die vorbeiziehenden Häuser wanderte. Eine Pose, die ihn faszinierte, hatte sie doch eine gewisse Eleganz an sich und zugleich etwas unglaublich zerbrechliches, beinahe wie auf einem Gemälde. Hastig blickte er in eine andere Richtung, hoffte, dass sie nicht bemerkt hatte, wie er sie angestarrt hatte, dass sich seine Wangen röteten, während er aus dem Augenwinkel heraus immer wieder zu ihr blickte.

Und dann stand sie plötzlich auf, wartete darauf, dass Mike ihr den Weg freimachte, ohne, dass sie ihn ansah, war sie doch damit beschäftigt, ihre langen Haare aus der Jacke zu ziehen und wenige Sekunden später auszusteigen. War so schnell verschwunden, dass sie nicht einmal Zeit hatte zu bemerken, dass sich etwas in ihren Haaren verheddert hatte und nun am Boden neben Mike gelandet war. Eine silberne Kette mit Kreuzanhänger.

Verdattert beugte sich Mike zu Boden, um das Schmuckstück aufzuheben, betrachtete es neugierig. Ein Teil des Verschlusses war gebrochen, was nicht weiter verwunderlich war, wies der Anhänger doch schon einige Kratzer auf, fast so, als würde sie die Kette ununterbrochen tragen, und das nicht erst seit gestern. Nun aber war er unschlüssig, was er tun sollte, hatte er doch keine Chance, sie nun noch einzuholen. Und ihr den Schmuck in den nächsten Tagen zu geben wirkte auch nicht gerade wie ein guter Plan, wusste er doch jetzt schon, dass er es nicht schaffen würde, sie anzusprechen. Es fühlte sich einfach falsch an und außerdem wollte er ja eigentlich nichts mit ihr zu tun haben.

„Joe, bist du noch wach?" Mit einem besorgten Blick auf die Uhr klopfte Mike an dem Zimmer, in dem schon verräterische Stille herrschte. Kein Wunder eigentlich, war es immerhin schon fast Mitternacht und am nächsten Tag wieder Uni.

„Klar, was gibt's?", kam dann allerdings die erhoffte Antwort, Sekunden bevor Joe vor ihm stand, die Haare zerzaust, als hätte er bereits geschlafen. Was vermutlich auch der Fall gewesen war, hatte er doch eine ganze Zeit lang klopfen müssen.

„Ich hab heute was gefunden und wollte dich fragen, ob du es reparieren kannst?" Er hielt das filigrane Schmuckstück in die Höhe, woraufhin dieses sofort neugierig beäugt wurde.

„Eine gebrochene Kette? Klar doch", bekam Mike die erhoffte und auch erwartete Antwort, war Joe doch schon immer derjenige von beiden gewesen, der lieber mit Dingen herumbastelte. Und zudem Schwestern hatte, was ihn unausweichlich auch ein wenig zum Schmuckexperten machte.

„Danke." Beinahe wäre er damit davongekommen, aber eben nur beinahe, denn kaum hatte Joe die Kette in der Hand, fiel ihm auch schon etwas Wichtiges ein.

„Wen willst du sie dann eigentlich schenken? Deiner Julia von der Uni?"

„Gute Nach, Joe!" Mit einem gefälschten Gähnen drehte sich Mike von ihm weg und stürmte beinahe in sein Zimmer, war er sich doch sicher, dass seine Wangen in der Dunkelheit leuchten konnten. Denn das Problem war, dass er sich selbst nicht genau erklären konnte, warum er das tat, die Kette für sie reparieren ließ.

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt