Warum hatte er das nur getan, nicht besser darauf geachtet, was er zu Mike sagte, welche Worte ihm entkamen? Und das, obwohl er sich geschworen hatte, nie wieder unachtsam mit seinen Worten zu sein, nichts mehr preiszugeben, was Konsequenzen mit sich ziehen konnte. Nichts mehr zu sagen, was seine Freunde verletzen konnte, war dies doch das Letzte, was er wollte – Den Menschen, die ihm am meisten bedeuteten wehzutun, genau das, wovor er Mike warnen wollte.
„Aber ich habe ja Recht", murmelte Rob vor sich hin, während er im schier endlosen Stiegenhaus eine Stufe nach der nächsten nahm, bis er im obersten Stock angelangt war. Beinahe wie ein Schatten huschte er in die Dachgeschosswohnung, schloss die Tür so leise, dass man meinen konnte, er wäre ein Geist und durch die Wand gegangen. Und vielleicht war er das auch, ein Wesen, das die Dunkelheit liebte, das nicht zu existieren schien, solange es nicht in Gegenwart von Personen war, die an ihn glaubten.
Oder aber ihm Böses wollten, wusste Rob doch genau, was er noch zu tun hatte, bevor er versuchen konnte zu schlafen, um Mitternacht, wo längst alle anderen im Land der Träume waren. Das Stück Papier, das seit Freitag in seinem Rucksack steckte, war unscheinbar klein, sodass es im Meer aus Büchern und Heften beinahe unterging, und doch war es dieses kleine Stück Papier, das ihm keine Ruhe lassen wollte.
Es war eine Nachricht, verfasst von einem seiner Lehrer, der seine Mutter zu sprechen wünschte. Sie informierte, dass Robs Verhalten in der Schule alles andere als vorbildhaft war und er ihn früher oder später dafür bestrafen würde müssen.
„Und dabei ist es nicht einmal meine Schuld." Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in den Händen, die Ellbogen auf seinen Schreibtisch gestützt, der von einer kleinen Lampe in spärliches Licht getaucht wurde. Rob wusste genau, was er zu tun hatte, wenn er seine Scheinwelt noch ein wenig länger erhalten, das Kartenhaus vor dem Einsturz retten wollte. Er würde lügen, die Wahrheit etwas verdrehen, wie er es so oft tat. Wie er es Mike vorwarf zu tun, obwohl er selbst keinen Deut besser war.
Er würde lügen, vergessen, wer er wirklich war, die Stimmen in seinem Kopf ignorieren, die ihm sagten, dass was er tat, falsch war. Keine Lüge für immer sicher war. Er blendete die Stimmen aus, blickte wieder auf und setzte sich ein wenig aufrechter hin, als ob er so zu einer anderen Person werden konnte, ehe er zur Füllfeder griff, das Schreibwerkzeug unsicher zwischen seinen Fingern hin und her drehte.
Es war noch nicht einmal so lange her, dass er ihre Unterschrift zum ersten Mal gefälscht hatte. Stundenlang jedes Schriftstück von ihr, das er hatte finden können, abgeschrieben hatte. Geburtstagskarten, Briefe, Rezepte, Verträge. So lange, bis er sich sicher war, dass nicht einmal mehr seine Mutter erkennen konnte, dass nicht sie es gewesen war, die gewisse Texte geschrieben hatte. So lange, bis die Lüge nicht mehr von der Wahrheit zu unterscheiden gewesen war.
Und so entschuldigte er sich in ihrem Namen für sein Verhalten, entschuldigte sich dafür, dass es aufgrund ihrer Arbeit nicht möglich war, die Sprechstunden wahrzunehmen. Eine Lüge in der Lüge, kannte er ihre Arbeitszeiten doch bestens und wusste deshalb genau, dass sie beinahe den ganzen Vormittag frei hatte, eigentlich nur morgens und abends arbeiten musste, dafür auch am Wochenende, jeden einzelnen Tag, an den er sich erinnern konnte.
Versicherte seinem Lehrer, dass sie ein ernstes Gespräch mit ihm geführt hatte und er ihr versprochen hatte, sich zu bessern. Unterzeichnete das Ganze schließlich in ihrem Namen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Fragte sich lediglich, wann die Lüge zu seiner Wahrheit geworden war.
Hochachtungsvoll,
Patricia Bourdon„Hey Joe, uhm", verlegen fuhr sich Mike durch die Haare, während seine Wangen langsam dieselbe Farbe annahmen. „Ist es in Ordnung, wenn sich Anna in der Mensa zu uns setzt?"
„Deine Freundin?" Er wackelte belustigt mit den Augenbrauen, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Frage eine schlechte Idee gewesen war. „Sicher doch, junger Liebe soll man nicht im Weg stehen."
„Sie ist aber nicht meine Freundin." Leicht verzweifelt ließ Mike seinen Kopf hängen, konnte dabei förmlich Chesters Lachen hören. Diese Runde ging eindeutig an den Sänger, wie eigentlich jede, war es doch Benningtons Lebensaufgabe geworden, Mike bei jeder Gelegenheit durch den Kakao zu ziehen. Eben seine Art ihm zu zeigen, dass er sein bester Freund war.
„Sagt das nicht normalerweise immer Brad?" Langsam kam ihm die Idee, dass sich seine Freunde nur wünschten, er und Anna wären ein Paar, um sich von den unzähligen erfolglosen Verkupplungsversuchen betreffend den Gitarristen und seiner Sandkastenfreundin abzulenken.
„Außerdem, seit wann ist so was bei uns das wichtigste Gesprächsthema?" Normalerweise ging es um Musik, was sie beschäftigte, was um sie herum passierte. Aber nicht um Beziehungsangelegenheiten, zumindest solange niemandem das Herz gebrochen wurde, mit gelegentlichen Ausnahmen zwecks Kommentaren zum Ehepaar Delson.
„Sorry Kumpel", Joe klopfte ihm auf die Schulter, „aber ich denke wir freuen uns einfach, dass du wieder Menschen in dein Leben lässt." Hatte doch keiner von ihnen vergessen, wie Mike gewesen war, bevor seine Welt in kleine Stücke zersplittert war, er die Splitter genommen hatte, um damit eine Schutzmauer um sein Herz zu errichten. Eine Schutzmauer, die niemand so recht überwinden konnte, meist aufgab, bevor auch nur eine kleine Annäherung in Sicht war.
Nur einer hatte nicht aufgegeben, hatte die Mauer mit seiner stürmischen Art kurzerhand niedergerissen, dafür gesorgt, dass er seinen Platz in Mikes Leben hatte, bevor er seine Mauer wieder zusammensetzten hatte können. Und genau seit diesem Moment war auch Chester wie ein Bruder für ihn. Zog ihn auf, lachte mit ihm, hörte ihm zu, weinte mit ihm.
Seit diesem Moment war die Band komplett, sie hatten es einfach gewusst, gespürt, dass es so viel mehr als nur die Liebe zur Musik war, die sie miteinander verband. Sie mochten aus unterschiedlichen Welten kommen, ihren eigenen Kopf haben, doch sie teilten sich einen gemeinsamen Traum, von dem sie wussten, dass er nur wahr werden konnte, wenn sie einander bedingungslos vertrauten, zu einander hielten, als wären sie Brüder.
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Break the Cycle |Linkin Park|
Fanfiction» Ich sag dir was, Mike, mal wieder. Du hast nur Angst davor, noch einmal jemanden zu verlieren, den du liebst. « Würdest du zulassen, dass deine Welt auf den Kopf gestellt wird, oder würdest du um jeden Preis versuchen, deine dunklen Geheimnisse un...