Chapter Seventeen

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Geh einfach weiter! Sie wollte die Worte laut in die Dunkelheit hinaus schreien, sich selbst anschreien. Und doch blieb es bei der panischen Stimme in ihrem Kopf, während sich ihre Schritte beschleunigten, zusammen mit ihrem Herzschlag. Sie musste es schaffen, musste der Stimme aus der Dunkelheit entkommen. Und wusste genau, dass sie es nicht schaffen würde, einen Herzschlag, bevor sie etwas am Handgelenk packte und sie in der Bewegung erstarren ließ.

„Na du?" Anna sah nicht auf, schaffte es nur, mit der freien Hand zu ihrem Hals zu fassen, ins Leere griff. Ihre Kette war weg, ihre Erinnerung daran, dass ihr nichts Schlimmes geschehen würde.

„Wie heißt du denn, Süße?" Sie konnte den Alkohol riechen, während er sprach, seine Worte undeutlich und boshaft. Vermutlich kam er von einer Feier, einer der Betrunkenen, denen sie nicht über den Weg laufen hatte wollen. Nein, nicht einer, drei.

„Komm mit Süße, wir laden dich auf ein paar Drinks ein", sprach nun auch einer seiner Begleiter, während sich der Griff um ihr Handgelenk zusammen mit der unsichtbaren Schlinge um ihren Hals immer weiter zusammenzog, ihr kaum noch Luft zum Atmen ließ.

„...los", brachte sie nicht mehr als ein Wort heraus, meilenweit entfernt von einer Aufforderung, einem Befehl.

„Wir passen auch gut auf dich auf, Püppchen!" Sie wollte schreien, kämpfen fliehen, doch ihr Körper war längst nicht mehr unter ihrer Kontrolle, konnte nur noch zittern und nach Luft schnappen, als würde er wissen, dass jeder Versuch zu entkommen umsonst war.

„Hey ihr!" Die Stimme riss sie aus der Starre, ließ sie, zusammen mit den Männern, zurück in die dunkle Gasse blicken. Sie kannte die Stimme, das wusste sie, noch bevor sie ihn sah, die roten Haare, die selbst in der Dunkelheit leuchteten. „Lasst sie in Ruhe!"

„Beruhig dich, Alter, sie ist eine Freundin von uns!" Es dauerte keinen Augenblick und der Mann, der ihr Handgelenk umklammert hielt, hatte den kleinen Funken Hoffnung erstickt. Hielt sie noch ein wenig fester, sodass sie das Gefühl hatte, seine Berührung würde alte Wunden wieder aufreißen, neue Narben hinterlassen.

„Ach wirklich?" Warum sprach er noch? Setzte sich für sie ein? Es stand drei gegen einen, er sollte verschwinden, solange er die Gelegenheit dazu hatte, sie zurücklassen. Sich selbst retten. „Ihr seht aber nicht gerade aus wie Annas Freunde!"

„Und woher willst du das so genau wissen?" Hatte Mike sie gerade beim Namen genannt, oder hatte sie sich das eingebildet? Stand er wirklich noch da und tat sein Bestes, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien?

„Tut mir Leid, aber ich kenn' die Freunde von meinem Mädchen mittlerweile!" Ein kurzer Moment der Überraschung, in dem sich der Griff um ihre Hand lockerte, ihr die Gelegenheit gab zu entwischen, ein paar Schritte auf ihn zuzulaufen. Auch wenn die Chance bestand, dass er genauso böse war, und sie ihn eigentlich nicht kannte, ihr Herz wusste, dass er ihr nicht wehtun würde. Vor allem, da er vorsichtig seine Hände auf ihre Schultern legte, sie angriff, als wäre sie eine Puppe aus Porzellan.

„Tut mir Leid", meinte er schließlich, sah sie mit seinen dunklen Augen an, wohlwissend, dass sie noch nicht sicher waren, „dass ich nicht schnell genug war. Aber ich wollte nicht bei Rot über die Straße laufen." Verlegen fuhr er sich durch die Haare und sie konnte schwören, dass seine Wangen gerade dieselbe Farbe annahmen.

„S-schon ok", stammelte sie schließlich, der Tatsache mehr als bewusst, dass sie noch immer beobachtet wurden.

„Aber ich habe deine Kette mit, wie versprochen."

Was auch immer er da gerade tat, das war nicht das, was er für diesen Abend geplant hatte. Wollte eigentlich so schnell wie möglich zur Probe, nachdem er bis am Abend ein Seminar gehabt hatte. Aber die Straßenbahn hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, und dann hatte er Anna gesehen und war ihr gefolgt, einerseits aus Schuldgefühlen und andererseits weil er bei der dunklen Seitengasse ein ungutes Gefühl gehabt hatte.

Und nun stand sie vor ihm, sah ihn verängstigt an, vermutlich nur knapp davor zusammenzubrechen. Sie brauchte seine Hilfe, das war ihm klar gewesen, und wenn er weggesehen hätte, hätte er es sich nie verzeihen können, Rob nie wieder unter die Augen treten können. Rob, der ihm noch Frage und Antwort stehen musste, so viel stand nun fest, aber dafür war ein andermal Zeit, nun galt es, die Rolle als Annas Freund so überzeugend wie möglich zu spielen. Und das, obwohl er selbst wusste, dass er eine Null war, wenn es um Beziehungen ging, hatte es ihm Chester doch oft genug unter die Nase gerieben.

„Hier." Lächelnd fischte er die Kette aus seiner Hosentasche während Anna ihn fassungslos anblickte, sich widerstandslos von ihm herumdrehen ließ, sodass er ihr das Schmuckstück wieder umhängen konnte, sie es fest umklammerte, während sie sich wieder zu ihm drehte, die Welt nicht mehr verstand.

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du uns einfach verarschen willst?" Irgendwie war es Mike klar gewesen, dass die Männer seine Lüge durschauen würden, dahinter kommen würden, dass er und Anna das waren, was sie nun einmal waren, nämlich praktisch Fremde. Und so dachte er fieberhaft über eine Lösung nach, seine Hände noch immer auf Annas Schultern gelegt, fürchtend, dass die junge Frau sonst umfallen würde. Er brauchte nicht zu den dunklen Gestalten zu sehen, um ihre Blicke zu spüren, die sie förmlich zu durchlöchern schienen, konnte ihre Ungeduld am eigenen Leib spüren.

Aber er würde nicht zu ihnen sehen, würde Anna nicht aus den Augen lassen, die ihn ansah, als wäre sie eben durch die Hölle gegangen, was vermutlich auch zutraf, war die ganze Situation doch ein einziger Albtraum für wohl jeden und für sie, die so sehr versuchte in dieser Welt unsichtbar zu sein, noch ein bisschen mehr. Es war einfach nicht gerecht, dass sie nur diejenigen zu sehen schienen, die ihr Unrecht wollten. Wobei, er sah sie ja auch, klar und deutlich, sogar in seinen Träumen. Und wie sehr er es auch verdrängte, abzustreiten versuchte, er würde für sie da sein, sie beschützen. Sein Herz befahl es ihm.


Authors Note

Mike ist (noch) nicht direkt in Anna verliebt, das will ich gesagt haben, aber sie fasziniert ihn auf ihre eigene Art und Weise, weshalb er sich auch schlecht von ihr fernhalten kann... Und helfen muss er ihr sowieso, egal was er Rob so sagt...

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt