Chapter Fourty-Nine

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„Was zur Hölle war das gerade?" Elisa sprach im Flüsterton, da sie nicht wollte, dass jemand anderes als Brad ihre Worte hörte, weil ihr bewusst war, dass sie sonst in Schwierigkeiten kommen könnte. Immerhin war es keine gute Idee, schlecht über die Gastgeber zu sprechen. „Das ist doch nicht normal!"

„Gruselig, ich weiß." Brad steuerte auf den Rand des großen Raumes zu und lehnte sich etwas abseits der wachsenden Menschenmenge gegen die Mauer. Er hatte es in seinem Leben schon oft mit Menschen zu tun gehabt, die sich für etwas Besseres gehalten hatten - immerhin hatte er den Sommer bei einem der größten Plattenfirmen der Welt verbracht - und doch fühlte er sich ein wenig unwohl, wenn er an das Gespräch vor ein paar Minuten zurückdachte.

„Ich habe geglaubt, die Alte frisst mich auf!" Ihre Stimme war noch immer kaum mehr als ein Flüstern, auch wenn er bezweifelte, dass ihnen nun noch jemand Aufmerksamkeit schenkte oder sie überhaupt hören konnte, da die Feier offiziell begonnen haben zu schien. Immerhin war das Licht mittlerweile etwas gedimmt und die Musik etwas lauter als zuvor, gerade so, dass man sich noch ohne zu schreien zu müssen unterhalten konnte und man sich beim Tanzen dennoch nicht unangenehm fühlte. Wobei, wie er mit einem bemitleidenden Blick feststellte, man das, was einige Paare aufführten nicht wirklich als Tanzen bezeichnen konnte.

„Du hast dich aber echt gut rausgeredet", ließ er sich schließlich doch dazu hinreißen, ihr seine Bewunderung auszudrücken, wenngleich das bedeutete, dass ein teuflisches Lächeln über ihr Gesicht huschte.



„Das ist schon das zweite Kompliment heute, alles in Ordnung, Brad?" Sie sah ihn mit gespielter Besorgnis an, woraufhin er nur die Augen überdrehte, das Ganze als das übliche Geplänkel zwischen ihnen abtat. Aber tief im Inneren gaben ihm ihre Worte zu denken, da er spürte, dass sie Recht hatte. Etwas stimmte an diesem Abend nicht mit ihm, und er wusste genau, was schuld daran war.

Der kurze Moment, in dem er sie vor dem Haus hatte sitzen sehen, bevor sie ihn bemerkt hatte, hatte etwas in ihm in Aufruhr versetzt. Auch jetzt kam das Bild von ihr wieder in seinen Kopf, wie sie dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, der Körper aufrecht und leicht angespannt, ihr linker Arm so auf ihren Knien platziert, dass sie ihre winzige Armbanduhr stets im Blick hatte. Er hatte sie schon unzählige Male so sitzen sehen, und doch hatte es ihn heute so sehr durcheinandergebracht, wie es kaum etwas zuvor vermocht hatte.



„Ich frage mich, was Annas Eltern in ihrer Kindheit alles angestellt haben", wechselte er schließlich unbeholfen das Thema, ohne ihre Frage zu beantworten. Denn es war ihm nicht klar, ob er die Antwort überhaupt kannte, ob er sich sicher war, dass mit ihm alles stimmte. Und einfach zu lügen war angesichts der Tatsache, dass Elisa ihn vermutlich durchschauen würde und dies nur noch mehr Fragen nach sich zog, keine Option.

„So ziemlich alles, was man nicht machen sollte?", schlug Elisa mit gerunzelter Stirn vor. „Auf was bezogen?"

„Ist dir aufgefallen, wie sie zusammengezuckt ist, als ich ihr meine Hand auf die Schulter gelegt habe?" Es war nur ein kurzer Moment gewesen, in dem er sie berührt hatte und doch gab es ihm zu denken. Wie eben auch der eine Moment, in dem er Elisa zum ersten Mal mit anderen Augen gesehen hatte. Ihm vielleicht erst in diesem Moment bewusst geworden war, dass sie nicht mehr das Kind war, mit dem er gemeinsam aufgewachsen war sondern vielmehr zu einer Frau herangereift war, die ihn immer wieder aufs Neue erstaunte.

„Klar habe ich das", brachte sie ihn wieder zurück ins Jetzt und dazu, sich auf das derzeitige Problem zu konzentrieren. Wobei er nicht leugnen würde, dass ihn das Chaos in seinen Gedanken nicht ebenfalls beschäftigte. „Deswegen habe ich ja nur auf eine Gelegenheit gewartet, sie umarmen zu können." Sie war immer schon gerissen gewesen und gut darin, ihre wahren Absichten zu verbergen. Eine Tatsache, die ihn an diesem Abend nicht wirklich beruhigte, wenn er sie sich so ansah. „Außerdem hat mir Linsey gesagt, dass Anna beinahe erstarrt ist, als sie zum ersten Mal von ihr umarmt worden ist."

„Und?", brachte er wenig einfallsreich hervor und wartete auf eine weitere Erklärung von ihr, beobachtete dabei, wie sie die einzelnen Wörter, denen er nur mit Mühe folgen konnte, mit ihrem Mund formte. Es überraschte ihn, wie sehr sie auf Details geachtet hatte, war das Rot ihrer Lippen doch identisch mit der Farbe ihres Kleides, das sich an ihren Körper schmiegte, als wäre es nur für sie gemacht worden.

„Es war, als würde ich eine Statue umarmen! Ich glaube, dass sie Berührungen nicht sonderlich mag, immerhin achtet sie auch bei der Probe penibel darauf, dass sie keinen von uns berührt, wenn wir mit ihr am Sofa sitzen. Allerdings denke ich nicht, dass sie schlechte Erinnerungen hat, die das verursachen", sie machte eine kurze Pause und wartete ab, bis Brad ihr mit einem Nicken zu verstehen gab, dass er sah, worauf sie hinauswollte. „Das Problem ist wohl eher, dass sie es nicht gewohnt ist, von einem anderen Menschen berührt zu werden oder Zuneigung zu erfahren."

„Ich vermute stark, dass sie Anna wirklich wie ein Besitztum behandeln. Wenn sie ihnen gerade von Nutzen ist sorgen sie dafür, dass sie die geliebte Tochter in der ach so schönen Familie ist und wenn die Gäste dann wieder weg sind, ist sie ihnen wieder vollkommen egal", mutmaßte Brad seufzend und begann, so etwas wie Mitleid für Anna zu empfinden. Bis vor wenige Wochen hatte er sie noch für ein wenig eigenartig gehalten, da sie schon vor Monaten, als sie in einem Seminar nebeneinander gesessen waren, jeden seiner Versuche, ein Gespräch mit ihr anzufangen zunichte gemacht hatte. Mehr noch, sie hatte ihn kaum angesehen, ihm kein einziges Mal in die Augen geblickt, beinahe so, als hätte sie Angst vor ihm gehabt und war die meiste Zeit damit beschäftigt, in ihrem Notizbuch zu schreiben. Insofern wunderte es ihn nicht, dass sie und Elisa sofort etwas hatten, über das sie sprechen konnten. „Aber ich habe das Gefühl, dass noch mehr dahintersteckt."



„Du meinst doch nicht etwa, dass sie Anna schlagen?" Elisas Stimme war so leise, dass Brad einen Moment brauchte, um die Worte zu verstehen und schließlich nur mit den Schultern zuckte.

„Ich würde es nicht von vorne herein ausschließen." Er fuhr sich nachdenklich über die Bartstoppel auf seinem Kinn. „Irgendwas haben sie jedenfalls angestellt, das unschöne Spuren auf ihrer Psyche hinterlassen hat."

„So oder so sollten wir definitiv mit Mike darüber sprechen!" Elisa hatte sich direkt neben ihm an die Wand gelehnt, sodass ihr Arm nun an seinem streifte, als sie ihre geflüsterten Worte mit Gestik untermauerte. Eine kurze Berührung, die einen Augenblicklich seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte, obwohl er genau wusste, dass er sich nicht den Kopf darüber zerbrechen sollte.

„Brad? Was sagst du dazu?" Sie wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht woraufhin er kurz blinzelte und den Kopf schüttelte. Was war an diesem Abend nur los mit ihm?

„Uhm. Ja, vielleicht." Er räusperte sich kurz. „Aber vielleicht ist es auch besser, wenn wir es sie selbst erzählen lassen. Wobei er vermutlich früher oder später ohnehin selbst dahinterkommen wird, auch wenn sie ihm gegenüber ja relativ anhänglich ist."

„Dann hätte sie auch nicht das Gefühl, dass wir sie bemuttern", schien Elisa ihm zuzustimmen, während er sich über ihre Wortwahl amüsierte. Sie war schon als kleines Kind immer diejenige gewesen, die sich stets um alle kümmern hatte wollen, eine Eigenschaft, für die er sie heimlich bewunderte. „Aber Sorgen machen können wir uns später auch noch, jetzt lass uns lieber diese Party genießen."

„Wie denn?" Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und deutete auf die Mitte des Raumes, in der noch immer ein paar wenige Gäste tanzten, während sich die übrigen unterhielten oder das Buffet plünderten. „Das ist die schlechteste Party auf der ich je war."

„Wie du meinst." Seufzend rutschte Elisa an der Wand hinab und setzte sich auf den Boden, den Blick stur auf die Tanzfläche gerichtet während Brad sich für seine Unfähigkeit, seine Meinung für sich zu behalten verfluchte. Er hatte genau gewusst, wie sehr sie sich gefreut hatte, hierher zu kommen, für einen Abend der Realität zu entfliehen. Mehr noch, sie hatte sich gefreut, den Abend mit ihm verbringen zu können.

Und jetzt hatte er ihr vermutlich die Freude daran genommen.



Authors Note

Wenn Brad und Elisa doch endlich aufhören könnten zu reden...

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