Chapter Three

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„Komm schon, Kumpel." Joe sah in mit großen Augen an, beinahe schon flehentlich und schaffte es dennoch nicht, dass sich Mike auch nur einen Millimeter von der Stelle bewegte. Wie festgemauert stand er an der Stelle, an der er vor nicht einmal 24 Stunden über den Haufen gerannt worden war.

„Nein, ich bleibe hier", verdeutlichte er seinen Standpunkt noch einmal und zog sich dabei die Kapuze von den Haaren, war ihm doch eingefallen, dass das Rot auf seinem Kopf in der Menschenmenge wohl ziemlich herausstechen musste. Wobei sich ihm die Frage stellte, wie sie ihn trotz dem übersehen hatte können.

„Du weißt ja noch nicht einmal, ob sie es dir heute bringt", startete Joe einen neuen Anlauf, war er doch nicht sonderlich begeistert ob der Vorstellung, alleine in der Mensa essen zu müssen, nicht etwa, weil er Angst vor den anderen hatte, keineswegs, aber er wollte sich nicht langweilen, wenn er in der Schlange um sein Mittagessen anstand.

„Aber sie könnte es tun", erklärte ihm der Rothaarige, woraufhin er sich schließlich geschlagen gab und sich seufzend zum Gehen wandte.

„Na gut, dann eben nicht. Warte du nur auf deine Julia, ich gehe jetzt essen." Worte, mit denen er es fast geschafft hätte, dass Mike ihm hinterhergerannt wäre, ihm erklärt hätte, dass seine Liebe nicht im geringsten der Auslöser für seine Warterei war und wie er überhaupt auf die Idee kam, sie mit dieser Studentin in diese Art von Beziehung zu stellen.

Und so blickte er Joe nur kopfschüttelnd hinterher und suchte die Menge an Studenten um ihn herum lieber nach einem bekannten Gesicht ab. Was sich als schwieriger gestaltete, als er es sich gedacht hatte, nachdem er der Studentin am Vortag kaum einen Blick gewürdigt hatte, ein ziemlicher Fehler, wie er sich nun eingestehen musste. Nicht einmal mehr ihre Haarfarbe wusste er mit Sicherheit, nur noch, dass sie kleiner war, als er, was die Zahl der infrage kommenden Personen so gut wie gar nicht einschränkte.

„Bitte schreck dich jetzt nicht." Die Stimme hinter ihm war kaum mehr als ein Flüstern, so leise, dass er sich im ersten Moment nicht angesprochen fühlte, die Worte einfach einer der vielen Personen um ihn herum zuordnete. Und auch auf die Berührung an seiner Schulter reagierte er zunächst nicht, fühlte es sich doch nur an, als wäre der Wind über seine Kapuzenjacke hinweg gestreift. Doch dann wurde ihm klar, dass wohl jemand etwas von ihm wollte und so drehte er sich schließlich zu der Person um, die ihn mit großen Augen anblickte und nervös auf ihrer Unterlippe kaute.

„Hier." Wie zuvor war ihre Stimme auch jetzt kaum mehr als ein Flüstern, als sie ihm eine Schachtel entgegenhielt, die Mike ein wenig verdattert musterte, bis er schließlich überriss, wer da vor ihm stand. „Dein neues Handy."

„Danke", murmelte er verlegen und griff nach der Wiedergutmachung, nur um im nächsten Moment beinahe seine Hände wieder zurückzuziehen, kam es ihm doch vor, als hätte er gerade den Tod persönlich berührt, als seine Finger die der Studentin gestreift hatten. Eiskalt und knochig. Doch wenn sie ihm sein Zögern übel nahm, so ließ sie sich dennoch nichts anmerken, starrte weiterhin geradeaus auf das Schwarz seiner Jacke und wippte unruhig von einem Fuß auf den anderen, fast so, als wollte sie so schnell wie möglich weg.

„Ich hab mir extra das stabilste Modell geben lassen", erklärte sie ihm schließlich, während Mike einen Blick in die Schachtel warf, zu seiner großen Erleichterung feststellte, dass die Studentin ihr Versprechen gehalten hatte und er jetzt tatsächlich wieder erreichbar war. „Nur für den Fall."

Sie lachte kurz, ein nervöses, unechtes Lachen, das Mike an etwas Wichtiges erinnerte, wollte er doch eine Sache richtig stellen. Ihr klar machen, dass sie sich nicht vor ihm zu fürchten brauchte, was sie offensichtlich tat, schien sie doch nur die Sekunden zu zählen, bevor sie endlich verschwinden konnte.

„Danke. Und tut mir Leid wegen gestern, ich hätte dich nicht so anschnauzen sollen." Worte, auf die hin sie nur kurz nickte, ihn aber noch immer nicht anblickte, ihren Blick nun fest auf den Boden gerichtet hatte und mit ihren dürren Fingern am Saum ihrer weiten Bluse herumspielte.

„Schon okay", brachte sie schließlich heraus, warf ihm einen kurzen, verschreckten Blick zu, der ihm mehr als eindeutig klar machte, dass es an der Zeit war, sich von ihr zu verabschieden, sie aus dieser für sie offensichtlich mehr als unangenehmen Situation zu befreien. Zumal er Joe ohnehin nicht zu lange warten lassen sollte, wenn er frechen Bemerkungen aus dem Weg gehen wollte.

„Na dann", schenkte er ihr ein kurzes Lächeln, das mehr schlecht als recht erwidert wurde, ehe er sich zum Gehen wandte, sich dann aber im letzten Moment noch einmal zu ihr umdrehte und die Schachtel hochhielt. „Wirklich danke dafür."

Gern geschehen, antwortete sie ihm, bemerkte zu spät, dass ihr Gehirn zwar die Worte formte, sie ihren Mund aber nicht verlassen wollten. Bemerkte, dass sie wohl seit einigen Augenblicken den Atem anhielt, während ihr Herz unerbittlich gegen ihre Brust hämmerte, sein Tempo nicht verlangsamen wollte, wie weit sich der Rothaarige auch von ihr entfernen mochte, schließlich ganz von der Menschenmenge verschluckt wurde. Sie wusste, dass sie sich auf den Heimweg machen sollte, sich von der Stelle bewegen sollte, aber es war, als wäre sie an Ort und Stelle erstarrt, ihre Beine nicht aus Knochen und Muskeln, sondern aus Gips und Marmor, wie die der unzähligen Statuen am Campus.

Aber nichtsdestotrotz, sie hatte es geschafft, dem Studenten sein neues Handy übergeben. Und nicht nur das, dachte sie doch mit Schaudern, wenn auch mit ein wenig Stolz an ihren Einkauf am Vortag zurück. An die halbe Ewigkeit, die sie in dem Geschäft verbringen hatte müssen, die vielen Kleinigkeiten, die sie nie zuvor erlebt hatte, auf die sie in keiner Weise vorbereitet gewesen war. Erinnerungen, die ihr auch 24 Stunden später noch einen Schauer über den Rücken jagten und nicht dazu beitragen, dass sich ihre Anspannung löste. Sehr wohl aber dazu, dass sie das kleine, silberne Kreuz, das von der Kette um ihren Hals baumelte, umklammerte, als würde es dafür sorgen, dass die Menschen um sie herum verschwanden, dass es leise war, dass sie ihren Atem wiederfand.

Und doch wusste sie, dass dies niemals passieren würde, dass sie selbst an diesen Ort gehen musste. Wodurch ihr keine andere Wahl blieb, als einen Moment dieAugen zu schließen, tief durchzuatmen, wie Patty es ihr gezeigt hatte und einenunsicheren Schritt vor den anderen zu setzten.

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt