„Also ich schließe mich Chester an", kicherte Anna und warf Mike, der seit ein paar Tagen am Heimweg immer bei ihr auf der Rückbank saß, einen entschuldigenden Blick zu. „Trotzdem würde dir ein wenig Schlaf gut tun."
„Ach was, Kaffee reicht doch vollkommen." Er zuckte mit den Schultern, auch wenn ihm bestens bewusst war, wie sehr sein Körper nach etwas Ruhe schrie. Immerhin hatte er die letzte Nach damit verbracht, fünf verschiedene Versionen der Setlist, auf die sie sich am Vortag geeinigt hatten, auszuarbeiten und hatte ihnen zu Beginn der Probe - nachdem Brad noch einmal jedem hatte versichern müssen, dass er sich keinen schlechten Scherz erlaubt hatte - die Vor und Nachteile jeder einzelnen Version erläutert.
„Du weißt genau, dass das auf Dauer ungesund ist." Auch im Halbdunklen konnte er sehen, wie Anna besorgt ihre Stirn runzelte. „Ich will nicht, dass du uns eines Tages noch einfach umkippst."
„Ich hab keine Zeit bewusstlos zu sein", gab er zurück, verbitterter als er es beabsichtigt hatte, auch wenn seine Worte der Wahrheit entsprachen. Das Leben, das er im Moment lebte, ließ es einfach nicht zu, dass er sich eine Pause gönnte und so quälte er sich jeden Morgen im Wissen aus dem Bett, dass er trotz der anstrengenden Stunden voller Lernen, Arbeiten und Proben am Abend nicht zur Ruhe kommen würde. Dazu kreisten einfach zu viele Gedanken in seinem Kopf herum, Gedanken, über die er mit niemandem sprechen konnte.
„Aber ich werde sicher nicht ewig aufs Schlafen verzichten", fügte er schließlich nach einigen Momenten, in denen die beiden anderen nicht wirklich Worte gefunden hatten, hinzu. Versuchte damit, den Ernst der Lage etwas herunterzuspielen und die Stimmung wieder zu heben. Immerhin hatten sie nach wie vor allen Grund zu feiern. „Sonst bestehe ich bald wirklich aus siebzig Prozent Kaffee."
„Tust du doch ohnehin schon." Chester warf ihm über den Rückspiegel einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder darauf konzentrierte, an der richtigen Kreuzung abzubiegen, nachdem er sich am Vortag verfahren hatte, da er damit beschäftigt gewesen war, immer und immer wieder zu wiederholen, wie sehr er sich doch über diese einmalige Chance, die sich ihnen nun bat, freute.
„Du bist richtig davon abhängig." Worte, die Alarmglocken bei Mike schrillen ließen, auch wenn ihm bewusst war, dass Anna lediglich scherzte und ihn zum Lachen bringen wollte. Was ihr auch beinahe gelungen wäre, zumindest, wenn sie wo anders gewesen wären. Aber in diesem Moment blieb ihm das Lachen im Hals stecken, während sein Blick zu Chester wanderte, der das Lenkrad nun ein klein wenig fester umklammert hielt, als er es noch vor einem Augenblick getan hatte.
„In gewissen Weise sicher", gab er nachdenklich zurück, verzweifelt darum bemüht, das Gespräch in eine andere Richtung zu locken. „Sehen wir uns morgen in der Mittagspause?"
„Sicherlich." Sie schien sein Zögern nicht bemerkt haben, schien nicht gesehen zu haben, welchen Effekt ihre Worte auf seinen besten Freund gehabt hatten, eine Tatsache, die ich erleichtert aufatmen ließ. „Ich muss doch ohnehin fast nie anwesend sein."
„Na dann bis morgen!"
„Tschüss, Anna!" Wie immer hatte Chester das Auto einige Meter von Annas Zuhause entfernt geparkt und war scheinbar wieder bester Laune, als sie sich von ihnen verabschiedete.
„Danke fürs heimbringen!" Anna winkte ihnen ein letztes Mal zu, ehe sie sich auf machte, um wieder in das Haus zu schleichen. Mittlerweile hatte sich dieser Teil des Tages schon zur Routine entwickelt, sodass sie keineswegs mehr so aufgeregt war wie noch vor einer Woche. Im Gegenteil, mittlerweile fühlte es sich schon beinahe gut für sie an, wie ein Schatten durch den Garten zu huschen und anschließend so leise es ging in ihr Zimmer zu tapsen. Denn auch wenn sie genau wusste, dass sie dabei war etwas Verbotenes zu tun, so fühlte sie sich in diesen Moment so frei wie sie es selten tat, hatte sie doch die Gewissheit, dass sie es wieder einmal geschafft hatte, sich dem Einfluss ihrer Eltern zu entziehen und stattdessen ihrem Herzen zu folgen.
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Break the Cycle |Linkin Park|
Fanfiction» Ich sag dir was, Mike, mal wieder. Du hast nur Angst davor, noch einmal jemanden zu verlieren, den du liebst. « Würdest du zulassen, dass deine Welt auf den Kopf gestellt wird, oder würdest du um jeden Preis versuchen, deine dunklen Geheimnisse un...