Chapter Seven

103 12 0
                                    

„Shinoda!" Die dünne Stimme seines Vorgesetzten durchbrach seine Konzentration so augenblicklich, dass seine Hände einen Moment nicht das taten was sie sollten, ihre automatische Tätigkeit zum Stocken kam, das System seine Ordnung verlor und er somit in die falsche Box griff.

„Etwas schneller bitte!", wurde er unterdessen angewiesen, sammelte sich immerhin, wie ihm nun bewusst wurde, eine größer werdende Menge an Kunden, die es zu versorgen galt, vor dem Tresen. Kein Wunder eigentlich, hatten die meisten doch heute frei aber die Geschäfte geschlossen, sodass für viele Burger und Pommes zum sonntäglichen Abendessen wurden. Oder zur Nachmittagsjause, musste er doch sehr zu seiner Verzweiflung feststellen, dass es erst 15 Uhr war und er damit noch gute zwei Stunden zu arbeiten hatte. Alleine, hatte Chester doch heute frei und mit einem Vorgesetzten, der nichts anderes tun konnte, als ständig herumzumeckern.

„Und bitte auch in der richtigen Reihenfolge", merkte der Krawattenträger mit einem letzten Blick auf Mikes Arbeit an, ehe er sich auf machte, um dem nächsten das Leben zu erschweren, war er doch eine der Personen, in deren Gegenwart einem ständig Fehler unterliefen, egal wie gut man normalerweise darin war, seine Arbeit korrekt auszuführen.

Arschloch. Rief ihm Mike im Gedanken hinterher, verschwendete kaum noch einen weiteren Gedanken an die Schelte, war vielmehr dabei, wieder in seiner Trance zu versinken, seine Hände die Arbeit erledigen zu lassen und im Kopf aus der Küche, wenn man sie denn als solche bezeichnen konnte, war es doch in gewisser Weise ein Fließband, an dem er stand, zu entfliehen.

Verlor sich immer weiter in seinen Gedanken, reihte in seinem Kopf Noten aneinander, spielte mit ihnen herum, bis sie eine Melodie ergaben, ließ sie immer und immer wieder spielen, bis er sich sicher war, dass er sich auch bei der Probe noch an sie erinnern konnte. Versuchte, seinen Frust mit stummen Worten abzubauen, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, Verse zu verbessern, mit denen er seit Tagen unzufrieden war.

Und manchmal, ganz selten, dachte er auch einfach nach, über sein Leben, seine Sorgen und Probleme. So schweiften auch in diesem Moment seine Gedanken ab, zu der einen Sache, die sich in den letzten Tagen von seinem monotonen Alltag unterschieden hatte. Zu der einen Person, die im wahrsten Sinne des Wortes in sein Leben gestolpert war. Die ihn eigentlich nicht kümmern sollte, und doch ließen ihn die Erinnerung an ihre zweite Begegnung nicht los, das Gefühl, als würde er vom Tod, dem Knochenmann höchstpersönlich berührt werden, nicht von einer zierlichen Studentin.

Etwas konnte nicht mit ihr stimmen, so viel war Mike klar. Wie auch, dass er keine voreiligen Schlüsse ziehen durfte, es nicht sein Leben war, er kein Recht darauf hatte, sich einfach einzumischen. Was er allerdings auch nicht vorhatte, versuchte er doch, den Gedanken an sie zu vertreiben, die Bilder in die hintersten Winkel seiner Erinnerung zu drängen. Und doch fragte er sich insgeheim, ob und wann er sie wiedersehen würde.

Seufzend ließ sie ihren Blick über die Umgebung schweifen, nahm die Häuser in der Nachbarschaft nicht mehr als einzelne Objekte war, sondern als ein großes Ganzes, als wäre es ein Meer aus Ziegelsteinen und Dachschindeln, und sie ein Vogel, der darüber glitt. Der unbeschwert und frei dorthin zog, wohin der Wind ihn trieb. Der nie an einem Ort verweilte, seinem Herzen folgen konnte. Wie gerne würde sie in solchen Momenten fliegen können, einfach aufstehen, ihre Schwingen ausstrecken, losfliegen, alles hinter sich lassen. Das Studium, das sie nicht interessierte. Die Eltern, die sie mehr als Eigentum denn als Tochter sahen. Die Dämonen, die sie immer wieder dazu brachten, sich ein klein wenig mehr zu Grunde zu richten, ein weiteres Stück von ihr unreparierbar zerbrachen.

„Wozu?", stellte Anna ihre Frage mit heiserer Stimme an den Wind, der erbarmungslos den nahenden Winter ankündigte, sie frösteln ließ. Und doch würde sie ihren Platz nicht verlassen, nicht in ihr warmes Zimmer zurückgehen. Denn hier war wenigstens ihr Kopf frei, frei von allen Ängsten und Dämonen. Hier, auf dem Dach, war sie in Sicherheit vor sich selbst. Beinahe, als würde sie die ängstliche, zerbrochene Anna jedes Mal zurücklassen, sobald sie durch das Fenster kletterte. Nicht, dass sie hier immer fröhlich war, sie hatte schon unzählige stumme Tränen vergossen, war oft stundenlang dagehockt, so lange, bis der Drang zu weinen verschwunden war, aber es fiel ihr hier einfach leichter klar zu denken. Die Dinge aus einer gewissen Distanz zu beobachten.

Mit zitternden Fingern griff sie nach der silbernen Kette, der ihrer Mutter ein solcher Dorn im Auge war. Wie oft hatte sie doch schon versucht, ihr das Schmuckstück wegzunehmen, sogar einmal versucht es ihr vom Hals zu reißen. Aber sie würde ihre Mutter nicht gewinnen lassen, nicht, wenn es um das wertvollste Geschenk ging, das ihr je jemand gemacht hatte.

„Es tut mir so leid, Patty", murmelte sie schließlich, stützte ihr Kinn auf den Händen ab, die nicht daran dachten, das kleine, silberne Kreuz auch nur einen Moment loszulassen. War es doch ein stummer Zeuge aller Dinge, der sie, wann immer sie an ihren Hals fasste, daran erinnerte, was die Realität war, was geschehen war. Was nie wieder geschehen durfte. „Ich versuche es ja, wirklich", fuhr sie mit ihrem einsamen Gespräch fort, „aber es funktioniert einfach nicht. Egal wie sehr ich es versuche. Und ich weiß, dass es dich traurig macht, aber ich kann es nun einmal nicht ändern."

Anna atmete einmal tief durch, hatte sie doch Angst, dass ihre Stimme, trotz der Tatsache, dass sie nur flüsterte, versagen würde, wenn sie weitersprach. Sah sie doch den Schmerz in den Augen ihrer Ersatzmutter regelrecht vor sich. Es war ein Anblick, der sich ihr schon viel zu oft geboten hatte, ein Anblick, den sie nun aus ihrem Kopf vertreiben wollte, nach etwas Positivem suchte.

„Rotschopf", entfuhr es ihr schließlich ein wenig lauter, war sie im Fluss ihrer Gedanken wieder zu dem Studenten getrieben, den Mut, den sie aufgebracht hatte. Denn auch, wenn sie ihn Panik geraten war, verzweifelt war, unter dem Strich zählte in diesem Moment nur, dass sie es geschafft hatte, ihm gegenüber zu treten, ohne, dass ihr etwas passiert war. Und ein Gefühl tief in ihrem Inneren, eine wage Vorahnung, die sie nicht näher ergründen konnte, sagten ihr, dass ihr an seiner Seite auch nie etwas Schlimmes widerfahren würde.

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt