Chapter Fifteen

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Warum hatte er das bloß getan? Warum hatte er Joe darum gebeten, die Kette zu reparieren, die Kette, die einer Person gehörte, mit der er vermutlich nie mehr als ein paar Worte wechseln würde. Er hätte das Ding einfach liegen lassen sollen, zur Fundstelle bringen. Aber nein, etwas in ihn hatte ihn natürlich dazu gebracht, die Kette aufzuheben, dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr kaputt war. Und all das hatte ihm natürlich wie erwartet den mehr als dringend benötigten Schlaf geraubt. Aber egal, wie oft er sich in seinem Bett hin und her gedreht hatte, eine Antwort hatte er nicht finden können.

Und so stand er nun müde vor dem Kaffeeautomaten, konnte kaum seine Augen offenhalten und wartete darauf, bis er an der Reihe war, sich noch eine Portion des Wachmachers zu holen. Anders würde er den Tag wohl kaum überstehen können.

„Hoppla!" Die Person vor ihm starrte überrascht auf die Münze, die ihr aus der Hand gerutscht war und nun am Boden herumkullerte und Mike somit etwas aus seiner Traumwelt riss, hob er das Geld doch kurzerhand auf und streckte es seiner rechtmäßigen Besitzerin entgegen. „Danke."

„Gern ge..." Weiter kam er allerdings nicht mehr, fiel ihm jetzt auf, wem er da gerade geholfen hatte, wer nun mit einer Tasse Kaffee in der einen Hand und dem Wechselgeld in der anderen zur nächsten Vorlesung spazierte. Wie schaffte es er es nur immer wieder aufs Neue, ausgerechnet ihr über den Weg zu laufen?

„Komm schon!" Frustriert schüttelte Anna ihre Bettdecke ein weiteres Mal aus, ehe sie sich seufzend aufs Bett hockte. Das ganze Haus hatte sie mittlerweile so unauffällig wie möglich auf den Kopf gestellt, doch ihre Kette blieb verschwunden. Sogar im Fundbüro der Universität war sie heute gewesen, hatte ihren gesamten Mut zusammengenommen und sich erkundigt, ob eine Kette abgegeben worden war. Aber so wie es aussah hatte sie ihren wertvollsten Besitz für immer verloren, ihre Erinnerung daran, dass es immer jemanden geben würde, der sie rettete, wenn der Tod sie in seinen Fängen hatte.

Warum schon wieder? Am liebsten wäre Mike schreiend aus der Bibliothek gestürmt sobald er realisiert hatte, wer wieder einmal dort saß, wie immer in ein Buch vertieft, die dunklen Augen so mysteriös wie eh und je. Langsam fragte er sich, ob sie das absichtlich machte, immer dorthin ging, wo er war, einfach um ihn zu ärgern, einen weiteren Teil seiner Gedanken einzunehmen.

Dabei sah sie so unschuldig aus, beinahe wie eine Puppe, so still wie sie dasaß, die Pose beinahe ein wenig zu gekünstelt um echt zu sein. Schön langsam begann er sich zu wundern, wer dieses Mädchen eigentlich war, das Mädchen, dass nicht wirklich sprach, immer alleine war, sich vor der Welt versteckte, sich selbst vor der Welt versteckte. Meistens in der Bibliothek saß, immer an dem Tisch, der durch die Reihen volle Bücher ein wenig abgeschottet war. Stets in ein Buch vertieft war, wobei er sich nicht sicher war, ob es wirklich Sachbücher waren, die sie da las. Waren ihre Gesichtszüge doch so entspannt, beinahe ein Lächeln auf ihren Lippen, beinahe so, als würde sie ganz in der Welt zwischen den Zeilen verschwinden, weit weg von der, in der er sie fragend anstarrte, vermutlich ein wenig zu lange, als dass es für Außenstehende eigenartig wirken würde.

Eigentlich hätte er sie einfach fragen können, die letzten paar Schritte auf sie zugehen sollen. Zumal die Kette in seiner Hosentasche plötzlich nicht mehr ein paar Gramm wog sondern an ihm hing als wäre sie eine Tonne schwer. Das Metall unter seinen Fingern brannte, als wäre es über offener Flamme erhitzt worden. Und doch, nichts von alle dem brachte ihn dazu, einen Schritt nach vorne zu machen. Stattdessen drehte er sich langsam um, traf eine Entscheidung.

„Ich werde mich nicht um sie kümmern, Rob."

„Was?" Der Junge starrte ihn entsetzt an, unsicher, ob er eben richtig gehört hatte. „Wieso?"

„Ich kann nicht jeden der einmal traurig drein schaut unter meine Fittiche nehmen!" Hilflos seufzte er, während Rob begann, vor ihm auf und ab zu gehen, nervös auf seinen Oberschenkeln herumtrommelte. Nein, nicht nervös, wie Mike nach einigen Sekunden bemerkte. Er war wütend, auch wenn er kein Wort sagte, ihn einfach weitersprechen ließ. „Weißt du, vermutlich steigere ich mich da einfach nur hinein. Wahrscheinlich ist sie nur eine ganz normale Studentin, ein wenig schweigsam vielleicht, aber..."

„Sie ist ein Skelett, Mike. Du hast es selbst gesagt", fiel Rob ihm schließlich ins Wort, die Stimme noch immer so ruhig, als würde er lediglich Fakten aufzählen. Was er ja auch tat, genaugenommen. Die Fakten, die Mike vom Schlafen abhielten, ihn so oft an sie denken ließen.

„Was wenn sie einfach nur dünn ist und ich ihr Dinge unterstelle?"

„Du glaubst doch grade nicht ernsthaft an deine Worte, oder?" Fassungslos runzelte Rob die Stirn, sah ihn an, als hätte er ihm gerade erzählt, dass er daran glaubte, dass die Erde flach sei.

„Eigentlich schon." Er wich dem Blick des Jungen aus, sah er doch die Enttäuschung in Robs Augen, die Enttäuschung und die Sorgen, die sich der Junge machte.

„Was ist nur los mit dir, Mike?" Auch ohne hinzusehen wusste er genau, dass der Junge den Kopf schieflegte, ihn ansah wie ein kleines Kind, das die Welt nicht mehr verstand. Aber im Moment fiel es ihm leichter, dem Erwachsenen zuzuhören, der die Vorwürfe laut aussprach, die er sich selbst nicht machen konnte. „Was zur Hölle ist in dich gefahren?"

„Sie ist einfach nur irgendeine Studentin, Rob, ich kenne sie nicht einmal. Sie kann mir eigentlich komplett egal sein, ich hab ohnehin schon viel zu viele Gedanken an sie verschwendet." Es war nicht er, der da sprach, das war ihm bewusst. Aber er wollte einfach nicht mehr, wollte die Schuldgefühle los sein, die tausenden Gedanken, die sein gewohntes Leben durchkreuzten.

„Und das soll ich dir glauben, Mike?" Wütend stampfte Rob auf den Boden, während seine Stimme immer lauter wurde, immer sicherer. „Ich soll dir wirklich glauben, dass du dir von einem Tag auf den anderen keine Gedanken mehr um sie machen wirst? Dass dir Anna auf einmal komplett egal ist? Dass du einfach so tun wirst, als würde sie nicht existieren?"

„Ja!" Er sah dem Jungen wieder in die Augen, sah den Schmerz darin, die Wut. Und die Verzweiflung, als er sich auf sein Skateboard stellte, bereit, in der Nacht zu verschwinden. Noch einmal zurückblickte, um ihn mit seinen Worten direkt ins Herz zu treffen.

„Ich sag dir was, Mike, mal wieder. Du hast nur Angst davor, noch einmal jemanden zu verlieren, den du liebst."



Authors Note

Jap, Rob ist sauer, deswegen passt er auch nicht auf, was er eigentlich so sagt. Oder wessen Namen er da erwähnt... An dieser Stelle sei gesagt: Mike kennt Annas Namen bisher (noch) nicht, aber Rob tut es sehr wohl und er weiß auch schon länger, wer eigentlich Mikes Sorgenkind ist, auch wenn er das natürlich nicht zugeben würde...

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