Chapter Twenty-Three

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Wenn sie jetzt so dasaß, den Vögeln hinterher sah und ihre Gedanken mit ihnen in die Ferne schweifen ließ, kamen ihr die Erinnerungen an den Vortag ein wenig so vor, als wären sie geradewegs aus einem Traum, einer Geschichte. Zu verrückt, um real zu sein, Teil ihre Lebens sein zu können. Aber immer, wenn sie seine Nachrichten ansah wurde sie daran erinnert, dass nichts davon ein Traum gewesen war, dass alles tatsächlich so passiert war, wie sie es in Erinnerung hatte.

„Das glaubt mir nie jemand." Kopfschüttelnd blätterte sie ihn ihrem Notizbuch, fühlte einen kleinen Stich in ihrem Herzen, als sie die dunkelsten Ecken ihres Verstandes daran erinnerten, dass es niemanden gab, dem sie diese Geschichte erzählen konnte. Denn so gerne sie Patty auch mochte, sie war mehr eine Mutter für sie als eine Freundin.

Wobei, genau genommen gab es jetzt jemanden, dem sie solche Dinge erzählen konnte, der ihr zuhören würde, auch wenn es spät in der Nacht war. Der sie mit seiner einzigartigen Persönlichkeit dazu brachte zu sprechen, als würde sie die Worte niederschreiben, der dafür sorgte, dass sich die Schlinge, die ihr die Kehle zuschnürte wann immer sie sich mitteilen wollte, in Luft auflöste.

„Michael Kenji Shinoda." Nachdenklich flüsterte sie seinen Namen, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen. Niemals hätte sie gedacht, dass eine Geschichte, die mit einem zerstörten Handy begann so enden würde. Nein, nicht enden, der Ausgang war noch ungewiss, wartete noch darauf, geschrieben zu werden. Wie viele Seiten es wohl bis dahin zu füllen gab, wie lange es dauern würde, dorthin zu gelangen? Es konnten nur ein paar Tage sein, oder vielleicht ihr ganzes Leben, das wurde ihr langsam bewusst, hatte sich doch bei all den Ereignissen ein Augenblick besonders in ihre Erinnerung gebrannt, strahle so hell, dass er langsam begann, die Dunkelheit zu vertreiben.


„Mike?" Der Angesprochene drehte sich zu Rob um, der ihm in Küche gefolgt war, aber offenbar nicht, um seinen Durst zu stillen.

„Was gibt's denn?" Trotzdem streckte er dem Nesthäkchen ein Glas Wasser entgegen, das dankbar entleer wurde. Außerdem hatte er so die Gelegenheit, seine Worte noch einmal zu durchdenken und sie sich zurechtzulegen.

„Ja also...", duckste er schließlich herum, die Drumsticks mit einer Hand ebenso fest umklammert wie das Wasserglas mit der anderen, sodass Mike beinahe Angst hatte, es würde unter der Belastung zerbrechen und den Schlagzeuger verletzen. „Chester hat gesagt, dass du eine Freundin hast?"

„Chesterrrr!" Frustriert vergrub der Rothaarige sein Gesicht in einer Hand, hätte ihm doch klar sein müssen, wie schnell diese Nachricht die Runde in der Band machen würde, war der Sänger immerhin alles andere als gut darin, solche Dinge für sich zu behalten, ob sie nun stimmten oder nicht. „Nein, hab ich nicht."

„Achso." Die Art, wie Rob dastand, das Gewicht vorsichtig von einem Fuß auf den anderen verlagerte sagte ihm, dass ihm noch etwas auf der Zunge lag, er aber nicht wusste, wie er beginnen sollte.

„Anna und ich sind nur Freunde", spielte er ihm schließlich den Ball zu, ließ die nächsten Worte entwischen, bevor er sie aufhalten konnte. „Wenn überhaupt." Es lag eine gewisse Traurigkeit in ihnen, die stumme Hoffnung, dass sie ihn in ihrer Nähe haben wollte, die unausgesprochenen Befürchtung, dass ihm niemand garantieren konnte, dass sie ihn nicht jederzeit wieder aus ihrem Leben verbannen konnte.

„Das freut mich für dich." Das Lächeln im Gesicht des Jungen war echt, das wusste Mike, war er doch fürchterlich schlecht darin, es zu fälschen. Versteckte seinen Schmerz dafür umso erfolgreicher hinter einer emotionslosen Maske, die ihm niemand so recht abzunehmen vermochte. „Wirklich."

„Danke." Mike wusste, was Rob ihm noch sagen wollte, nicht musste. Dass es ein kleiner Schritt nach vorne war, in die richtige Richtung; ein Zeichen dafür, dass er vielleicht wieder Menschen in sein Herz lassen würde. Und doch, eine Befürchtung blieb, eine Warnung, die zu wichtig war, um sie unausgesprochen zu lassen. Auch wenn es so leise war, dass Mike einen Moment brauchte, um einen Sinn in Robs Nuscheln zu finden.

„Egal was es ist, versprich mir, dass du es nicht auf Lügen aufbauen wirst. Auch wenn das im ersten Moment einfacher erscheint, wirst du dir damit im Endeffekt nur wehtun, und Anna genauso."

„Versprochen." Das Wort sträubte sich förmlich dagegen ausgesprochen zu werden, gegen jede Silbe musste er kämpfen, sie aus seinem Körper zerren, sodass er den Schmerz beinahe spüren konnte. Denn er wusste genau, dass dies kein Versprechen war, sondern die erste Lüge, der viele weitere folgen würden, war dies doch seine Welt geworden, eine Welt gebaut aus Lügen und Halbwahrheiten, so zerbrechlich als wäre sie aus Glas.

„Nein." Kopfschüttelnd zog Rob eine Augenbraue hoch, die Lippen aufeinandergepresst, als müsste, er die Worte zurückhalten, die er ihm am liebsten ins Gesicht geschleudert hätte. Aber er würde es nicht tun, ihn nicht daran erinnern, an den Ursprung aller Lügen, würde das Schloss aus Glas nicht zerbrechen, in dem Mike der König war und die Splitter in sein Fleisch bohren. Er konnte es nicht, weil er genau wusste, dass er selbst kein Deut besser war.

„Woher kennst du eigentlich Annas Namen?" Mike hatte ihn durchschaut, ihm die Waffe aus der Hand genommen, sie gegen ihn gerichtet, hielt sie nun gegen seine Kehle gepresst. Aber so wie Mikes Glas-Schloss würde auch sein Kartenhaus, in dem er sich versteckte, nicht in sich zusammenstürzen, das wackelige Etwas, das von außen so stabil und gut gebaut aussah. Dabei brauchte es nur einen Windstoß um es wegzufegen.

„Huh? Du hast ihren Namen einmal erwähnt, schon vergessen?" Lügen, immer mehr Lügen. Er war es nicht würdig, Mike diesen Ratschlag zu erteilen, die Wahrheit von ihm einzufordern. Nicht nach allem, was er gesagt und getan hatte. Hinter seiner gleichgültigen Fassade versteckte. Und doch schaffte er es, Mike in die Augen zu sehen, seinem fassungslosen Blick standzuhalten. Denn sie waren einander eben, hier standen sie, zwei Lügner, beide nicht der Waffe mächtig die sie zu halten glaubten. Diese hing längst an einem dünnen Faden über ihnen, drohte jederzeit herabzustürzten und alles, was sie erreichtet hatten zu zerstören.

Aber noch war es nicht so weit, und bis dahin würden sie ihre Scheinwelten weiterbauen, so wie es doch jeder in diesem Haus tat, im Großen wie im Kleinen.

Versuchte zu helfen, wo er konnte, da es ihm nicht gelingen wollte, seine Sorgen auszusprechen. Immer guter Laune war und versuchte, seine Zukunftsängste so zu verdecken. Seine Gefühle hinter einer Tür versperrt hielt, ignorierte, dass sie bald unreparierbar zerbrechen würde, wenn er sie nicht öffnete. Vorgab, dass seine Dämonen kleine Trolle war, die ihm das Leben schwer machten und nicht Drachen, die ihn mit einem einzigen Schlag zerstören konnte, wenn sie es nur wollten.

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt