Chapter Four

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„Willkommen daheim, Liebes." Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stand ihr auch schon Patty gegenüber, die wie immer am Küchenfenster nach ihr Ausschau gehalten hatte, eine Tradition, die so weit zurückreichte, wie sie sich erinnern konnte. Wann immer sie nachhause gekommen war, wenn sie denn einmal außer Haus gehen konnte, das Mädchen für alles hatte sie stets mit einem Lächeln auf den Lippen und derselben Frage empfangen. „Wie ist's heute gelaufen?"

„Gut", gab sie zurück, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte, ihre Tasche wieder vom Boden aufhob. Dieselbe Antwort, die sie ihr immer gegeben hatte, war doch beiden bewusst, dass sie nie sicher sein konnten, wer gerade zuhörte oder sie beobachtete. Ein Wissen, dass sie jetzt auch davon abhielt, sich in die Arme der Frau zu werfen, die für sie mehr eine Mutter war als die Frau, der sie ihr Leben zu verdanken hatte.

Erst als die Küchentür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, begann sie damit, ihr das Herz auszuschütten, bis ins kleinste Detail zu berichten, was vorgefallen war. Und auch, wenn sie nicht über ihre Gefühle, ihre Reaktionen berichtete, es nie tat, Patty kannte sie gut genug, um zwischen den Zeilen lesen zu können, zu wissen, wie ihr Schützling auf Situationen reagiert hatte, wie schwer es ihr vermutlich gerade fiel, nicht einfach in ihrem Zimmer zu verschwinden.

„Er war heute viel netter als gestern, hat nicht einmal blöde Kommentare von sich gegeben, sondern war glaube ich einfach wirklich erleichtert, dass ich mein Versprechen so schnell eingelöst habe", grübelte sie laut vor sich hin, ignorierte die Portion Spaghetti, die vor sie auf den Küchentisch gestellt wurde. „Er hat sogar auf mich gewartet, was ich echt nett gefunden habe, aber ich anzusprechen war schwer, weil ich seinen Namen ja nicht kenne und erschrecken wollte ich ihn auch nicht."

„Liebes, bitte." Der warme Blick der Haushälterin lag auf ihr, brachte sie schließlich dazu, ein paar Bissen vom Essen zu nehmen. Versuchte dabei, nicht daran zu denken, was sie gerade tat, konzentrierte sich ganz auf die Worte, die sich ihr Gegenüber zurechtgelegt hatte. „Siehst du, alles halb so schlimm. Er war ja nur böse auf dich, weil du etwas kaputt gemacht hast, nicht, weil er dich nicht mag. Er kennt dich ja gar nicht, weil ich denke nicht, dass du ihm deinen Namen verraten hast, oder?"

„Nein, habe ich nicht", schüttelte sie leicht den Kopf und ließ noch eine Gabel voll Nudeln in ihrem Mund verschwinden, ehe sie das Teller ein Stückchen wegschob, sich daran machte, auf schnellstem Weg in ihr Zimmer zu kommen, hinauf aufs Dach. Doch dieses Mal ließ Patty sie nicht einfach verschwinden, sah ihr besorgt hinterher.

„In letzter Zeit wird es wieder schlimmer, Liebes, was?" Worte, die sie einen Moment in ihrer Bewegung verharren ließen, ehe sie schließlich mit hängendem Kopf aus dem Raum huschte und die Tür so leise wie möglich zuzog, keine Antwort zu geben brauchte. Wussten sie doch beide, wer Recht hatte.

Hallo, mein Name ist Anna Hillinger, und ich bin nicht magersüchtig, auch wenn man das denken könnte, wenn man mich sieht. Aber ich bin es nicht, ich hungere nicht, um schlanker zu werden, irgendwelchen Schönheitsidealen zu entsprechen.

Davon einmal abgesehen bin ich neunzehn Jahre alt, fast zwanzig, und studiere im dritten Semester Kommunikationswissenschaften. Nicht ganz freiwillig, wie ich zugeben muss, nachdem ich nicht sonderlich viel Mitbestimmungsrecht hatte, wenn es darum ging, mein Studium zu wählen. Die einzige Alternative wäre Betriebswirtschaftslehre gewesen, aber das erschein mir noch weniger interessant.

Und so sitze ich jetzt jeden Tag in irgendwelchen Vorlesungen, die mich eigentlich nicht interessieren, horche den Professoren zu, oder manchmal auch den anderen Studenten, vor allem der eine mit den wuscheligen Haaren hat beinahe jeden Tag irgendetwas einzuwenden und liefert sich dann mehrere Minuten lange Diskussionen mit den Vortragenden. Nicht dass ich seinen Namen kennen würde, oder den von irgendeinem anderen. Ich bin ganz allein, bin es immer schon gewesen. Aufgewachsen in einem goldenen Käfig, beinahe ohne Kontakt zur Außenwelt. Unterrichtet bin ich stets zuhause worden, meine Eltern fanden es nicht angemessen, mich auf eine normale Schule zu schicken. Immerhin bin ich eine Tochter aus reichem Hause, den Familien meiner Eltern gehören große Unternehmen, die seit der Hochzeit natürlich eng zusammenarbeiten.

Wo wir auch schon bei dem Grund wären, wieso ich ein Einzelkind bin. Und die Tatsache, dass ich ein Mädchen bin, macht mich in den Augen meines Vaters natürlich ziemlich wertlos, aber um einen männlichen Erben zu produzieren, dazu hat die Liebe meiner Eltern eben nicht gereicht. Also haben sie es sich zum Ziel gemacht, einen erfolgreichen Ehemann für mich zu finden, der dann das Unternehmen übernehmen kann. Und ich darf dann das Püppchen an seiner Seite sein, das brav lächelt und dafür sorgt, dass die Familie nicht ausstirbt.

Nicht gerade angenehme Aussichten, und jeder normale Mensch würde sich wohl dagegen wehren, aber wie soll ich mich wehren, wenn ich nie gelernt habe, wie so etwas geht? Wenn das einzige, was ich kann, ist, mich immer mehr zu verstecken, niemanden an mich heranzulassen? Niemand anderen für seine Fehler bestrafen kann, sondern nur meine eigenen sehe? Nicht weiß, was es heißt, die Kontrolle über sich selbst zu haben?

Mit zitternden Fingern drehte sie den Schlüssel um, hörte auf das vertraute Klicken, das ihr sagte, dass sie nun in Sicherheit war. Dass es nun nur noch sie selbst und ihre Gedanken gab, schlimm genug, aber wenigstens keine weitere Person, die sie aus dem Konzept bringen konnte, niemanden, der sie davon abhalten konnte, das zu tun, was sie nun vorhatte. Hastig einige Zettel auf ihrem Schreibtisch zur Seite wischte und sich stattdessen hinaufstellte, das schmale Fenster, das durch die Dachschräge Licht auf den Arbeitsplatz fallen ließ, aufstieß und ins Freie kletterte. Über die Schindel einige Meter nach unten rutschte, bis sie auf der beinahe ebenen Überdachung des Balkons saß. An dem Ort war, an dem ihre Seele stets Ruhe fand, an dem sie über alles nachdenken konnte, war es doch beinahe so, als würde sie hier kein Teil dieser Welt mehr sein.

Und so wagte es sie noch einmal, ihre Gedanken zu dem Studenten abschweifen zu lassen. Dachte darüber nach, ob sie ihn wohl je wieder treffen würde. Ob er denn ihre Nachricht schon gefunden hatte.

Break the Cycle |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt