39 Schulgeschichten-2 #Kürbistumor

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Seit nun fast 1 1/2 Jahren ging ich schon zwei mal in der Woche zu meinem Therapeuten. Ich machte große Fortschritte, wie er immer beteuerte. Inzwischen wusste er über mein traumatisches Erlebnis bescheid und konnten jetzt am Problem arbeiten, sagte er immer. Ich verstand nicht, wie er mit diesen Methoden mich zum reden bringen wollte. Schließlich redete ich nichtmal mit meinen besten Freunden, denen ich vertraute und mit denen ich viel unternahm. Ich schrieb immer alles auf einen Zettel, wenn ich antwortete. Die meisten gaben ihn mir wieder oder schmissen ihn weg.

Nur Patrick nicht. Patrick steckte jeden einzelnen Zettel ein. Ich wusste bis heute nicht, was er damit machte. Vielleicht schmiss er sie auch zu Hause weg. Gefragt hatte ich ihn deswegen noch nie. Es ging mich nichts an, was er damit machte und es interessierte mich auch nicht. Es war sein Ding und genau das sollte er machen.

Genauso hatten meine Eltern ihr Ding. Sie zwangen mich zum reden, drohten mir mit einem Internat oder der Psychiatrie.
Sie beschwerten sich über meine rare Mitarbeit im Unterricht, aber die guten Noten, die ich schrieb, waren ihnen egal.
Sie gingen zu Lehrergespräche, wo sie immer das gleiche gesagt bekamen.
Und dabei sprachen sie nur mit den Lehrern, die etwas gegen mich hatte.
Die meisten verstanden mich, ließen mich schriftliche Unterrichtsbeiträge abgebeben oder warteten geduldig bis ich meine Antwort auf einen Zettel geschrieben hatte.
Meine Eltern, die eine einflussreiche Firma führten, erzählten in der Öffentlichkeit nie über mich. Wenn sie gefragt wurden, warum ich mich nicht in der Öffentlichkeit zeigte, meinten sie, dass sie mich schützen wollten, da mir diese Bekanntheit schaden könnte.

Wenn ich mit meinem Therapeuten darüber sprach (besser gesagt, schrieb), fragte er mich immer, ob ich mich von ihnen ungerecht behandelt fühlte. Darauf wusste ich nie eine Antwort.

Genau wie auf die Frage, ob ich denn verliebt war. Das sei doch komplett normal in meinem Alter, meinte er. Irgendwie fühlte ich mich schon zu jemandem hingezogen, aber das wollte ich ihm nicht erzählen. Es war mir nicht zu persönlich oder ähnliches, aber ich war mir selbst nicht sicher und dass dann jemand davon wusste, während ich noch selbst am überlegen war, würde sich komisch anfühlen. Klar, wäre Zuspruch oder Tipps nicht schlecht, weil es mich ziemlich fertig machte, aber wie dumm muss man auch sein, um sich in seinen besten Freund zu verlieben?

Aber genau heute hatte ich mir vorgenommen, dass ich ihm davon erzählen würde. Schließlich war er die einzige Person, außer meinen Eltern, die über den Grund meiner Stummheit wusste.

"Hast du dir schon überlegt, ob du die Gebärdensprache lernen willst?",fragte er mich. Ich nickte. "Und willst du?" Daraufhin schüttelte ich den Kopf. Ich will wieder sprechen können, und nicht so eine blöde Zeichensprache lernen. Daraufhin nickte der Therapeut. "Gut, willst du nicht aufschreiben, was diese Woche so geschehen ist?" Ich nickte und nahm wieder das Blatt und schrieb einen Satz. Ich weiß jetzt, dass ich verliebt bin. Der Therapeut hatte sich an seinen Computer gewendet und tippte auf der Tastatur herum. Ich stand auf und tippte ihn an. Er sah mich überrascht an. Er hatte nicht erwartet, dass ich so schnell fertig werden würde. Normalerweise brauchte ich dafür mindestens eine viertel Stunde, in der ich erzählte, wie ich beleidigt wurde oder wie Patrick vergeblich versuchte mich wieder aufzubauen. "Du weißt, wen du liebst?",fragte er nach und lächelte. Ich nickte und biss mir auf die Lippe. "Und wen?" Ich bückte mich, legte das Blatt auf die Ecke des Schreibstischs. Patrick. "Dein bester Freund?" Ich bestätigte dies. "Und er? Liebt er dich auch?" Ich denke nicht. "Warum nicht?" Weiß nicht, kommt so rüber. "Willst du es ihm mal sagen? Vielleicht verbindet euch das noch mehr, als schon zuvor." Ich zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht würdest du dann mit ihm reden",schlug er vor. Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte. Es war absurd. Warum sollte ich plötzlich mit ihm reden, wenn ich ihm meine Liebe gestand? Warum rede ich jetzt nicht mit ihm, wo ich ihm doch blind vertraue. "Weißt du, was? Du nimmst das nächste Mal einfach Patrick mit. Das nächste Mal versuche ich euer Vertrauen zueinander zu testen." Ich nickte. "Gut, dann kannst du jetzt heim. Wenn du mit jemandem redest, nimmst du ihn nächste Sitzung auch einfach mit. Du kennst das ja. Tschüss." Ich lächelte ihm zu und verließ dann den Raum.

Oneshots | YouTuberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt