75. Kapitel

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Innerlich schlage ich mir gegen die Stirn. Wieso frage ich mich das überhaupt? Das sollte ich tunlichst vermeiden! Bei dem Glück, welches mich im Moment verfolgt, darf ich gar nicht erst darüber nachdenken, was noch alles passieren könnte. In Dallas angekommen ist mir dann auch schon egal, dass ich im Prinzip pleite bin, ich kaufe mir einen aufgeladenen Akku und höre doch Musik. Die paar Dollar ändern an meiner Situation auch nichts mehr.

Es dauert und dauert, bis ich in den nächsten Flieger steigen kann. Langsam habe ich das Gefühl, ich komme heute gar nicht mehr in Portland an. Wundern würde es mich wirklich nicht. Glücklicher Weise sitzen jetzt aber normal große Menschen neben mir, ohne Kinder. Ich schnappe mir meine Kopfhörer und schaue auf die Uhr. Ich werde erst Abends da sein, spät. Natürlich habe ich auch keinen Schlüssel, wieso sollte ich auch? Ich hoffe nur, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird. Die Kids haben morgen Schule und müssen früh raus, ich will sie nicht wecken, wenn ich klingle.

Der Flieger startet mit einer Viertelstunde Verspätung und kurz darauf bin ich schon wieder über den Wolken. Ich merke, wie ich wieder an Harry denke. Gleich sollte ich eigentlich in London landen. Ich bezweifle zwar, dass er die Zeit gehabt hätte mich abzuholen, aber ich weiß es nicht. Inzwischen glaube ich aber, dass er sich sowieso lieber mit Harper vergnügt. Was denkt er denn? Dass ich es nicht mitbekomme? Seufzend wechsle ich das Lied. Das einzige worüber ich wirklich froh sein kann, ist dass mein Gesicht noch nicht in der Presse war. Die zwei Fotos waren schlimm genug, aber noch konnte man mich nicht richtig erkennen.

Wenn es so gewesen wäre, wäre ich nur eine weitere Eroberung in der Liste des Prinzen von England und alle Welt würde es wissen. Danke, aber nein danke. Das muss ich nicht haben. Harry ist wahrscheinlich bald sowieso wieder auf seiner blöden Yacht und diese Arschkriecher werden Schlange stehen, um mit ihm Zeit zu verbringen. Wenn ihm dann jemand zu langweilig wird, braucht er nur den Nächsten heranzuwinken und er kann sich wieder vergnügen. Ich wollte aber nie einfach nur „Der Nächste" sein. Ich hatte nie vor, Teil dieser beschissenen Reihe zu werden und trotzdem bin ich genau das geworden.

Vielleicht wäre es besser gewesen, die Finger von dem Prinzen zu lassen. Er spielt nun einmal in einer anderen Liga und ich weiß nicht, ob ich ihm noch so leicht glauben kann, dass es ihm egal ist und dass es nicht schlimm ist. Nachdem er, kaum dass ich weg bin, wieder auf einer dieser Bonzen-Partys war, klingen seine Worte in meinen Ohren immer weniger glaubwürdig. Er war nicht feiern, während er bei mir war und ich verstehe nicht wieso. Wenn das seine Freunde sind, hätte er doch auch in den letzten Wochen mit ihnen Zeit verbringen können, aber darüber musste ich keinen einzigen Artikel schreiben.

Der Druck auf meinem Brustkorb wird immer schlimmer und langsam aber sicher, scheint er Gedanke, dass er mich seinen Freunden einfach nicht vorstellen wollte, immer plausibler. Aber wen wundert es; ich habe wenige bis gar keine richtig teuren Markenklamotten im Schrank, ich habe kein Anwesen, keine Villa, keinen eigenen Jet. Ich wohne mit meinem besten Freund auf guten siebzig Quadratmetern und es reicht uns beiden völlig aus. Ich habe aber keien Ahnung von Wein, den neusten Modetrends oder.. was weiß ich.. Golf oder Polo. Das spielen die Reichen doch immer. Ich mag Fußball, kann mir Tiefkühlpizza zubereiten und gehe mit meinen Freunden in eine Kneipe, die sich seit Jahren nicht verändert hat. Ich mag auch keinen Whiskey, ich bin ja nicht einmal Engländer!

Angespannt versuche ich zu verdrängen, wie sehr ich mich verändern müsste, um in diese Highsociety zu passen, zu der Harry nun einmal gehört. Alle tragen schicke, teure Klamotten, geben tausende Pfund für irgendwelchen Schnickschnack aus und ich bin gerade einfach nur froh, dass ich heute wenigstens eine gemütliche Jogginghose angezogen habe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob diese Leute, so etwas besitzen. Wenn doch, ist es bestimmt von Gucci oder Versage oder sonst einer überteuerten Marke, die nur damit Geld verdienen, dass der Name drauf steht.

Ich werde Harry nicht anrufen. Theoretisch könnte ich es Zuhause ja, ohne eine Handyrechnung zu bekommen, die mein Konto endgültig sprengen würde, aber ich beschließe es nicht zu tun. Es wäre ja schon ein Wunder, wenn er überhaupt bemerkt, dass ich nicht nach London zurück gekehrt bin. Vielleicht bekommt er es mit, vielleicht auch nicht. Vielleicht hat er zu viel damit zu tun, eine Schauspielerin flach zu legen. Oder sonst irgendjemanden, was weiß ich, mit wie viele gerade sein Bett wärmen.

Langsam aber sicher verliert das Flugzeug an höre und wir kommen der Erde wieder näher. Es ist Abend geworden, aber noch hell. Es dämmert langsam und die Anschnallzeichen leuchten wieder auf. Ich bin sowieso nicht aufgestanden, also lehne ich mich einfach wieder nach hinten und warte darauf, dass das Fahrwerk auf dem Boden aufsetzt. Einige Minuten später steht das Flugzeug endlich und ich nehme mir meinen Rucksack. Es ist kühler in Portland und wie sollte es anders sein, ich habe nur meine Jeansjacke bei mir, die aber auch nicht wirklich gegen die Temperatur schützt. Ich sehe schon im Flugzeug, dass es nieselt und seufze genervt. Super.

Mit Trippelschritten geht es nach und nach durch den schmalen Gang zwischen den Reihen vorwärts in Richtung Ausgang. Nach endloser Warterei, sehe ich meinen Koffer auf dem Gepäckband. Meine Laune ist absolut im Keller und am liebsten würde ich mich in mein Bett legen und schlafen. Mein Bett, in London, nicht hier in Portland. Ich hieve den Koffer herunter und schiebe ihn zum Ausgang. Das Wetter lässt immer mehr zu Wünschen übrig, aber als ich überlege, doch den Bus zu nehmen, fährt dieser mir vor der Nase weg.

Es heißt also doch laufen. Ich mache mich auf den Weg und schaue wieder auf mein Handy. Für die Kleinen ist jetzt Schlafenszeit und ich weiß nicht, ob ich es besser finden würde, wenn sie schon im Bett wären oder nicht. Mit Glück schlafen sie schon, wenn nicht, oder wenn sie wach werden, wird es nicht leicht werden, sie dazu zu bringen, einzuschlafen. Keiner von ihnen rechnet, dass ich dort gleich auf der Matte stehe, ich habe es doch auch nicht gedacht!

Ich laufe durch die mir nur allzu gut bekannten Straßen. Dass ich mittlerweile bis auf die Haut durchnässt bin, ist mir auch schon egal. Mein Koffer ist zum Glück aus Hartschale und deswegen habe ich nicht allzu große Bedenken, dass darin etwas nass werden könnte. Einen Regenschirm habe ich nicht dabei, weswegen hätte ich ihn auch einpacken sollen? Ich hatte mir nur das Wetter für Miami angesehen und dort ist für die ganzen nächsten Tage strahlender Sonnenschein angesagt.

Ich trotte die Straßen entlang. Die Musik hab ich inzwischen ausgemacht und mein Handy und die Kopfhörer in meinen Rucksack gestopft. Hier ist es besser als in Miami. Der Druck auf meinem Brustkorb wird weniger, als ich in die Straße einbiege, in der ich groß geworden bin. Mein Herz tut weniger weh und mein Körper entspannt sich etwas. Vielleicht lächle ich kurz, als ich den Namen auf dem Straßenschild sehe. Immer noch beherrscht Harry meine Gedanken, die Bilder wollen nicht vor meinem inneren Auge verschwinden, aber hier zu sein, betäubt dieses Gefühl ein wenig.

Es ist, als wäre alles in Watte gepackt, als würde ich langsam wie eine Schnecke laufen und doch stehe ich schon einige Augenblicke später vor der Haustür meines alten Zuhauses. Ich sehe, dass das Licht in der Küche noch an ist, aber oben scheint nur noch aus Lotties Zimmer Licht. Ich weiß nicht, ob Fizzy, Phoebe und Daisy noch wach sind, deren Zimmer gehen zur anderen Seite hin, aber die Kleinen scheinen schon zu schlafen. Zumindest liegen sie in ihren Betten, das Licht ist aus und ich hoffe wirklich, sie hören die Klingel nicht. Ich atme tief ein und wieder aus, dann fahre ich mir durch die Haare. Ich hatte nicht gedacht, dass ich so bald wieder hier sein würde. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal sicher, ob Weihnachten wirklich klappt.

Ich steige die zwei Stufen hoch und hebe meinen Koffer neben mich. Dann schwebt mein Finger über unserem Namen auf der Klingel. Bevor ich aber auf den Knopf drücke, halte ich inne und Klopfe doch lieber. Immer noch prasselt der kalte Regen auf mich herab, aber die paar Tropfen mehr oder weniger ändern auch nichts mehr. Ich klopfe wieder und seufze. Kurz schaue ich auf meine Schuhe und stelle fest, dass ich sie gleich mit alter Zeitung stopfen und dann unter die Heizung stellen sollte. Sie sind auch komplett nass.

Fast im gleichen Moment höre ich jemanden näher kommen und anschließend, wie die Tür von innen aufgeschlossen wird. Endlich öffnet sich die Tür. Kurz blendet mich das helle Licht, aber dann sehe ich meine Mum vor mir stehen. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände; sie ist vollkommen verwirrt und sieht mich perplex an. Aber wie könnte ich es ihr verübeln.

„Hey Mum." 

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Könnt ihr Louis' Gedanken verstehen? Oder dramatisiert er über? Und sollte er sich bei Harry melden? Wie würdet ihr an seiner Stelle handeln?

Love L 

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