84. Kapitel

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Es tut verdammt weh, als ich mir diese Worte noch einmal durchlese und überarbeite. Das ist aber kein Grund, meinen Job schleifen zu lassen, das werde ich garantiert nicht tun! Es ist inzwischen Nachmittag und als ich auf die Uhr schaue, bemerke ich, dass ich mich langsam mal auf die Füße machen sollte, wenn ich Ernest und Doris abholen möchte. Ich schicke Trevor meine ersten Entwürfe und klappe meinen Laptop zu. Er wird sowieso meckern, also schicke ich ihm lieber das, womit ich selbst noch nicht ganz zufrieden bin.

Schnell ziehe ich mir meine Schuhe an, schnappe mir meine Jacke, mein Handy und den Schlüssel und mache mich auf den Weg. Lange brauche ich nicht, bis ich dort ankomme. Ich betrete die Schule und schlage den Weg zum Anbau an, wo die Nachmittagsbetreuung untergebracht ist. Ich gehe zu der Gruppe, in der Ernest und Doris untergebracht sind und betrete den Gruppenraum. Eine der Betreuerinnen kommt auf mich zu und sofort fange ich an zu lächeln. „Mrs Becky!" - „Hallo Louis, deine Schwester hat schon erzählt, dass du wieder in der Stadt bist." antwortet sie mir. Mrs Becky war schon meine Betreuerin, als ich hier zur Schule gegangen bin. Sie ist inzwischen gut an die Fünfzig, aber sie sieht noch lange nicht so aus.

Wundern tut es mich nicht, die Frau ist auf zack. Sie wird von den meisten Kindern geliebt, das war schon immer so und weil wir alle auf diese Schule gegangen sind, oder eben noch gehen, sehe ich sie ab und an. „Wie läufst in London?" fragt sie mich und ich zucke mit den Schultern. „Ganz gut, aber trotzdem bleibe ich Amerikaner." entgegne ich und sie nickt amüsiert. „Ich gehe davon aus, du holst Ernest und Doris ab?" Ich nicke und sehe mich um. „Ernest ist auf dem Hof Fußballspielen und Doris ist mit ein paar anderen beim Klettergerüst." erzählt sie mir.

Mrs Becky ist eigentlich super lieb, aber wenn ich mich an die Zeit hier erinnere, weiß ich, dass sie auch anders sein kann. Zugegeben, wir haben viel Mist gebaut und irgendwie hat sie es geschafft, es uns das sogar klar zu machen, meistens jedenfalls. Wir sind auf die Bäume geklettert, einmal haben wir die ganze Küchenzeile mit Frischhaltefolie ausgekleidet und als die Praktikantin das Wasser angemacht hat, war alles nass. Nett war das von uns natürlich nicht, aber trotzdem muss ich schmunzeln, als ich daran zurück denke. Wir hatten zwar danach einen Monat Küchendienst, aber das war uns ziemlich egal. Oh Mann, keine Ahnung, wie sie es mit mir und meinen Freunden ausgehalten hat.

„Dann gehe ich die beiden Monster mal einsammeln." entgegne ich und gehe auf den Hof. Ernest höre ich schon von Weitem. Er beschwert sich lautstark über irgendetwas, aber ich kann nur lachen. Doris hingegen sitzt ganz oben auf dem Klettergerüst, das schon stand, als ich hier als kleiner Junge herumgeturnt bin. Dort oben habe ich mich wie ein König gefühlt, aber wenn ich es jetzt so ansehe, ist es gar nicht mal so groß.

Ich gehe zu ihnen und ich bin noch nicht ganz da, als Doris mich schon entdeckt. „Louis!" Sie kommt an den Rand. „Komm hoch!" fordert sie mich auf, aber ich schüttle den Kopf und stecke die Hände in meine Hosentaschen. „Ich bin hier, um euch zwei einzusammeln." antworte ich ihr und sie seufzt. „Geh erst zu Ernest, das dauert sowie länger." argumentiert sie. Amüsiert sehe ich sie an, drehe mich dann aber um und gehe zu meinem Bruder und seinen Freunden.

Ich stehe am Rand, weiß, dass Ernest mich gekonnt ignoriert und beobachte das Spiel. Er beachtet mich nicht, weil ihm bewusst ist, weswegen ich hier bin und er keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Dann fliegt er Ball aber quer über das Spielfeld und landet vor meinen Füßen. Ich stelle einen darauf und sehe zu meinem Bruder. „Abflug, Kleiner." - „Boa Louis!" beschwert er sich sofort und stapft auf mich zu. „Mum hat bestimmt das Essen schon fertig, wenn wir ankommen, los jetzt." Er verdreht die Augen und versucht mir den Ball abzunehmen, aber grinsend verhindere ich das. Frustriert stöhnt er auf und einen Moment später überlasse ich ihm den Ball doch.

Er kickt ihn zurück aufs Spielfeld, aber bevor er auch nur versuchen kann, sich wieder ins Spiel verwickeln zu lassen, sage ich „Ernest, ich kann dich auch hochheben und hier raus tragen." Er dreht sich um und schüttelt den Kopf. „Das machst du doch sowieso nicht. Skeptisch und belustigt sehe ich ihn an und mache einen Schritt auf ihn zu. Das reicht schon, damit er sich auf den Weg zum Gruppenraum macht. Als wir am Klettergerüst vorbei kommen, springt Doris gerade herunter und kommt zu uns.

Die beiden holen ihre Sachen und verabschieden sich von Mrs Becky. „Louis du warst voll peinlich." meckert Ernest auf dem Rückweg. „Ach ich war peinlich? Du hast mich doch ignoriert." ziehe ich ihn auf. „Ja und? Du hast meinen Freunden den Ball weggenommen! Du bist voll uncool!" Ich fange an zu lachen. Ich bin also schon so alt geworden, dass ich peinlich und uncool bin. So schnell ändert sich das also.

Ich hätte Ernest vorhin wirklich getragen, wenn er nicht eingelenkt hätte, aber dann hätte ich von ihm garantiert Hausverbot erteilt bekommen. Nicht das ich mich daran halten würde. „Von mir aus auch das." erwidere ich nur und merke, dass Doris meine Hand greift. „Schau, Doris ist es nicht peinlich mit ihrem großen Bruder gesehen zu werden." provoziere ich den Jungen noch ein wenig und er verschränkt nur die Arme vor der Brust. „Mir egal."

Als wir nach Hause kommen, ist Mum tatsächlich schon da. Ich geselle mich zu ihr in die Küche. „Kann ich helfen?" Verwundert sieht sie mich an. „Wie kommst du denn plötzlich darauf?" - „Ich bin schon lebensfähig, Mum." Sie sieht mich amüsiert an. „Kannst du gleich machen, aber decke doch erst einmal den Tisch, ja?" Ich nicke und gehe zum Küchenschrank. Ich bin fast fertig, als sie mich verwundert ansieht. „Was ist?" - „Das ist ein Platz zu wenig." antwortet sie mir und ich sehe zum Tisch, um noch einmal durchzuzählen. „Nein." Dann halte ich inne. „Sag jetzt nicht, eine der Mädchen hat einen Freund, von dem ich nichts weiß." Mum sieht mich verwirrt an, fängt dann aber an zu lachen. „Glaubst du echt, irgendetwas könnte in dieser Familie lange geheim gehalten werden?"

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, zutrauen würde ich es euch schon irgendwie." Sie schüttelt den Kopf. „Nein, aber was soll die Frage?" Ich schüttle nur den Kopf und stelle ein weiteres Gedeck auf den Tisch. „Hier, schau dass nichts über läuft." sagt sie nur und verschwindet dann aus der Küche. Ich seufze und sehe auf die vier verschiedenen Töpfe. Ich habe lediglich gesagt, dass ich lebensfähig bin, nicht dass ich zwischenzeitig eine Ausbildung zum Sternekoch gemacht habe! Trotzdem schaffe ich es, nichts zu verbrennen, bis sie wieder kommt.

In der Zwischenzeit hat sie die Wäsche mit Fizzy aufgehangen und sieht mich erstaunt an, als sie wieder die Küche betritt. „Wow, es ist ja wirklich noch alles essbar." Ich verdrehe die Augen. „Du tust so, als hätte ich nichts gelernt, als du mich großgezogen hast." entgegne ich nur. Sie zuckt mit den Schultern. „Ich habe versucht die Kochen beizubringen, deine Talente liegen nur irgendwie wo anders." antwortet sie scheinheilig und nimmt mir den Kochlöffel ab.

„Was machst du noch hier?" fragt sie nach einigen Sekunden verwundert. „Was?" irritiert sehe ich sie an, aber sie scheint dadurch nur genauso verwirrt zu sein, wie ich es gerade bin. „Naja, was hältst du davon, deinen Gast mal zu begrüßen?" 

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Tja, Louis wird peinlich. Shit happens. Und was denkt ihr, wer ist Louis' Gast und wie wird er reagieren? 

Love L 

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