Es hätte später Nachmittag sein können oder kurz vor Mittag, als Ruby erwachte. Sie war sich nicht sicher, wo die Sonne hier stand, als sie aus dem Fenster blickte. Die Stadt war ein Gewühl sich bewegender Fahrzeuge und schimmernder Hochhäuser. Verschlafen rieb sie sich die Augen, bevor sie sich die Schuhe anzog und das Zimmer verließ. Der Schlaf hatte ihre Kopfschmerzen vertrieben, aber nicht das schwammige Gefühl in ihrem Schädel. Und obwohl sie Hunger hatte, entschied sie sich dazu, das Institut zu verlassen, um ein wenig frische Luft zu schnappen.
Als sie ihre Zimmertür öffnete, saß tatsächlich ein grau getigerter Perserkater davor und beobachtete sie neugierig aus goldenen Augen. "Hallo Church", murmelte Ruby befangen und musterte das Tier, das sie verschmitzt anzulächeln schien. Sie musste nicht rechnen, um zu wissen, dass der Kater niemals ganz normal sein konnte, wenn er jetzt hier vor ihr saß. Als ihr Vater ins Institut kam, war Church bereits dort gewesen, er hatte ihn mehrfach erwähnt, und das war über fünfundzwanzig Jahre her!
Unaufgefordert setzte sich der Kater in Bewegung, seine kleinen Pfoten überquerten geräuschlos die kalten Steinfliesen und Ruby starrte ihm hinterher, bis er stehen blieb und auffordernd maunzte. Er hatte vermutlich tatsächlich den Auftrag, sie in die Küche zu bringen.
"Ich will nach draußen", widersprach sie und ihr Magen knurrte protestierend. Church schien erneut wissend zu lächeln. Ein merkwürdiges Tier. "Bring mich zum Ausgang, Church", bat sie den Kater und fühlte sich so albern wie noch nie in ihrem Leben.
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Vor ihr öffnete sich der Gang zu einem Raum, von dem weitere Gänge abzweigten, und sie stand vor einer schimmernden Metalltür, die so gar nicht hier her passte. An der Seite leuchtete ein Knopf still vor sich hin. Church setzte sich davor, seine Augen schienen Ruby spöttisch anzufunkeln, während das Mädchen etwas ratlos die Tür anstarrte. Es gab keine Klinke und keinen Knauf, um sie zu öffnen, nur diesen leuchtenden Knopf und schließlich ging sie einfach hin, drückte darauf. Nach einigen Sekunden erschien ein blasser Lichtschimmer und die Tür glitt fast geräuschlos auf. Eine kleine Kabine kam zum Vorschein, an einer Seitenwand leuchteten weitere Knöpfe, ansonsten war sie leer.
Vor ihrer Abreise war Ruby von ihren Eltern schon über die verschiedenen Dinge in der irdischen Welt aufgeklärt worden, mit denen sie in Idris noch niemals in Berührung gekommen war. Es schien hier sehr viele Maschinen zu geben, mit denen sie sich nicht auskennen konnte, vor allem solche wie Autos - sie hatte sie gleich erkannt, als sie durch das Fenster den Straßenverkehr beobachtete - die mehr oder weniger gefährlich werden konnten, wenn man sie nicht richtig bediente. Im Gegenzug dazu kannten Irdische keine Stelen oder Engelswaffen, aber schließlich glaubten sie auch nicht an Dämonen, Werwölfe und Vampire.
Plötzlich glitt die Tür wieder zu und Ruby drückte erschrocken noch einmal auf den Knopf, sodass sie brav offen blieb, dann betrat sie nervös den winzigen Raum. Einen Fahrstuhl hatte man ihr auch erklärt, aber trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl dabei, sich in diesen Stahlkäfig zu begeben, ohne zu wissen, ob er das tun würde, was er sollte.
Church beobachtete sie. Grinste er?
Drinnen geschah nichts außergewöhnliches. Eigentlich geschah gar nichts, außer dass die Tür sich nach einer Minute schloss und sie sich besann, dass sie einen weiteren Knopf drücken musste. Sie nahm den einladensten mit dem grünen A. A wie Ausgang. Das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich, als die Kabine mit leisem Summen nach unten glitt. Es war ein seltsames Gefühl, wie Schmetterlinge im Bauch. Die Fahrt dauerte nicht lange, doch als sie unten ankam, vergaß sie ihre Nervosität sofort.
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Right by your Side
FanfictionWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...