64 - I was wrong

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"Ist ja gut jetzt komm schon rein!", fauchte Jolene, als es zum dritten mal energisch klopfte. Sie hatte eigentlich gar nicht reagieren wollen. Der Nagellack auf ihren Zehen verschmierte, als sie etwas zu heftig den kleinen Pinsel weg zog und sie schnaubte wütend. "Was denn, ist jemand tot?!" Sie warf das zugeschraubte Fläschchen aufs Bett zu den anderen und sah auf.

Ruby schloss geräuschvoll die Tür hinter sich. Sie sah aus, als wäre sie gerannt. Zerzaustes Haar fiel ihr in die Augen und sie überwand die wenigen Meter zum Bett schwerfällig, bevor sie sich darauf fallen ließ. Kosmetikartikel klapperten leise, als die Matratze wippte.

Jolene betrachtete das Mädchen neben sich, das mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Sie musste nicht fragen, was los war. Isabelle hatte ihr am Morgen widerwillig erklärt, dass der Inquisitor Ruby befragen wollte. Eigentlich hatte sie mit ihr in die Stadt gehen wollen. Das Institut war so voll von Fremden, dass es keinen stillen Ort mehr zu geben schien außer ihrem Zimmer, aber die Befragung ging natürlich vor.

"War's schlimm?", fragte sie leise, obwohl das bleiche Gesicht von Ruby alles sagte. Außerdem war es schon Nachmittag. Stunden her.

"Es passieren grad ne Menge schlimmer Sachen", antwortete Ruby ausweichend, aber dann öffnete sie die Augen und drehte Jolene den Kopf zu. "Welche davon meinst du?"

"Welche davon hat dich denn zu mir geführt und nicht zu deinem ..." Sie sparte sich den Rest. Ruby sah nicht so aus, als wäre ihr nach Scherzen zumute.

Schuhe polterten auf den Boden, dann verschränkte Ruby die Arme hinter dem Kopf und zog die Beine an. Ihr Blick verfolgte unsichtbare Spuren an der Decke. "Wusstest du es auch schon?", fragte sie bitter. "Das mit Lilith?"

Jolene zuckte bei dem Namen zusammen. In der Schule und bei ihren Studien im Institut hatten sie alles über die großen Dämonen lernen müssen. Lilith war eine davon. Sie mussten ihre Namen auswendig kennen, ihre Vorlieben, was ihre Opfer betraf und noch viele andere Kleinigkeiten. Wo sie in den vergangenen Jahrhunderten aufgetaucht sein sollte. Welche schlimmen Dinge ihr zugeschrieben wurden.

Was sie nicht lernten war, dass es erst zwanzig Jahre her war, dass Lilith sich in New York herumgetrieben hatte. Dass dieser Irdische namens Simon, der plötzlich im Institut war, sie damals besiegt hatte. Davon hatte sie nur Bruchstücke erfahren und sich die Geschichte so halb und halb zusammengereimt. Und jetzt sollte diese Dämonin wieder frei sein, hier in der Stadt. Sie hatte versucht, Simon zu sich zu locken und Ruby war ihr dabei in die Quere gekommen. Und wenn sie alles richtig verstanden hatten, dann wussten die Erwachsenen schon seit einer ganzen Weile davon.

"Ich hab's gestern gehört", murmelte Jolene. "Isabelle hat uns alles erzählt. Klar, dass sie dann komisch drauf ist." Es erklärte auf jeden Fall, warum sie in den letzten Tagen so unaufmerksam gewesen war.

Ruby betrachtete sie noch einen Moment lang, dann wanderten ihre Augen wieder zur Decke. Sie sah wütend aus. Natürlich hatten die Erwachsenen ihnen mal wieder die interessantesten Dinge vorenthalten. Das war ja normal. Solange sie noch nicht als volljährig galten, würden sie sich immer damit herumschlagen müssen, belogen zu werden. Also was regte sie jetzt so daran auf?

"Soll ich dir sagen, wer es schon lange vor uns wusste?", fragte Ruby grimmig. Ihre Zähne waren zusammengepresst. "Du darfst auch raten."

"Hm." Jolene schob die Kosmetik zur Seite und legte sich auf den Bauch. Vermutlich war ihr Nagellack noch nicht trocken und würde verschmieren, aber das interessierte sie jetzt nicht. "Ich hab mir gleich gedacht, dass da irgendwas faul ist..."

"Du denkst immer, dass irgendwas faul ist!", schnaubte Ruby.

"Und ich hatte bisher auch immer recht!" Sie winkelte die Beine an und wippte mit den Zehen. "Wie lange wusste Victor es denn schon?"

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