19 - Never surrender

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Es klopfte und Ruby schlug die Augen auf. Eine leise, weibliche Stimme sagte Victors Namen - einmal, dann noch einmal, dann entfernten sich Schritte. Sie klangen irgendwie ärgerlich. Sie sah Victor an, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen neben ihr lag und sie angrinste. "Morgen", sagte er gut gelaunt und stand auf.

"Wie lange bist du schon wach?", fragte sie gähnend und rieb sich den Schlaf aus den Augen. "Ist es echt schon Morgen?" Der Stand der Sonne verriet ihr nichts, dazu hätte sie sich besser hier auskennen müssen.

"Es ist Nachmittag", sagte Victor aus dem Bad. "Ich bin schon seit ner Stunde wach." Der Wasserhahn wurde aufgedreht und wieder geschlossen, dann kam er zurück. "Sie hat mich bei ihrem ersten Versuch geweckt, da war sie noch enthusiastischer."

"Sie?" Ruby kämmte sich das Haar mit den Fingern durch. Irgendwie sehnte sie sich nach ihrem eigenen Zimmer und ihren Sachen, denn genau wie Victor hatte sie sich etwas Neues geben lassen müssen. Dumm, wenn man weg lief, ohne Wechselklamotten einzupacken, und dann an die Art klauenbesetztes Monster geriet, die einem jeden Stoff kaputt fraß. Die Sachen, die sie sich dann am Flughafen gekauft hatte, um nicht auszusehen wie auf der Flucht, waren auch nur als Übergangslösung gut genug, da man sie sonst nicht ins Flugzeug gelassen hätte.

"Cordelia", erwiderte Victor. "Sie klopft seit einer Stunde alle fünfzehn Minuten hier an und hofft, dass ich wach bin."

"Und du machst ihr nicht auf?"

Er hockte inzwischen auf dem Boden und schnürte sich die klobigen Stiefel zu. "Cordelia ist echt süß. Aber sie ist anstrengend. Und wir haben heute noch was vor. Wenn sie merkt, dass ich wach bin, werde ich sie garantiert den Rest des Tages nicht mehr los."

Sie runzelte die Stirn und hörte auf, sich das Haar zu kämmen. "Was haben wir denn noch vor?"

"Wir wollten zu den Stillen Brüdern, für die Zeremonie. Du weißt schon, Parabatai und so." Er sagte das so selbstverständlich, dass Ruby beinahe einfach aufgestanden wäre, um sich anzuziehen.

Aber dann entschied sie, dass diesmal nicht er bestimmen würde, wie es weiter ging. Das hatte ihnen in den letzten Tagen schon genug Stress eingebracht. "Victor", sagte sie also und er hielt inne, aufgedreht, gut gelaunt und in diesem Moment misstrauisch, weil er genau zu wissen schien, dass sie ihn aufhalten würde. "Du weißt, dass wir vor den Rat müssen, um Parabatai zu werden", sagte sie ruhig und lächelte ihn an. "Die Stillen Brüder reichen nicht aus. Nur in Notfällen. Und das hier ist kein Notfall, also lass uns das doch irgendwann später machen."

Sein Gesicht hatte sich kaum verändert, aber sie sah es in seinen Augen. Er lehnte jetzt an der Tür, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Und er lächelte immer noch. Es wirkte irgendwie beängstigend, denn seine Augen waren kalt, als hätte sie ihm gerade gesagt, dass er sich zum Teufel scheren sollte.

Wortlos setzte sie sich auf, stellte die Füße auf den Boden und strich sich das Haar aus der Stirn. Es war plötzlich kalt im ganzen Raum, ohne wirklich kalt zu sein. "Hast du Angst, dass ich dir davon laufe, wenn du mich nicht so schnell antreibst, dass ich keine Chance habe, nachzudenken?"

Sein Lächeln flackerte etwas, aber er hob nur die Brauen. "Was meinst du?"

Ruby wurde ärgerlich. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihm ins Gesicht. "Ich laufe nicht davon!", sagte sie wütender, als sie beabsichtigt hatte. Sie hatte in der letzten Zeit genug über ihn erfahren, um zu ahnen, dass es nicht seine Schuld war, dass er sich so benahm, aber irgendwo war es eben doch seine. "Und ich lass dich nicht draußen im Regen stehen! Und das weißt du auch. Sonst wären wir nicht hier. Also hör auf, mich anzutreiben. Ich bin doch keine Kuh!"

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