Ruby rückte von ihm ab und Victor hätte beinahe erleichtert ausgeatmet. Und sie festgehalten. Er versuchte, keine Miene zu verziehen, als sie sich umdrehte, sich von ihm weg drehte, mit diesem Ausdruck im Gesicht, von dem er nicht wissen wollte, was er bedeutete. Ihre leise, eindringliche Stimme schien noch in seinem Hinterkopf zu wispern, Rubys Stimme, aber er war sicher, dass es nicht mehr ihre eigenen Worte waren. Er wollte, dass es nicht ihre eigenen Worte waren. Alles andere hätte bedeutet...
Du hast nicht aufgepasst, dachte er bitter. Edward hatte das vielleicht einfach nur so gesagt, aber es stimmte. Sie hatte nicht aufgepasst und jetzt war es fast zu spät.
Er fragte sich, ob sie es wohl wusste, wie wirr und beängstigend sie klang, wenn sie so normal mit ihnen sprach und dann immer wieder abdriftete. Wohin, das wollte er nicht wissen, aber vielleicht doch. Vielleicht wollte er es doch wissen. Vielleicht wünschte er sich ja irgendwie, dort hin gehen zu können, an diesen Ort in ihrem Kopf, in ihrem Körper, wo das Ding war, was auch immer Lilith ihr eingepflanzt hatte, um es mit eigenen Händen rausreißen zu können.
Mühsam verkniff er sich ein trockenes Kichern, während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging. Es klang viel zu sehr nach diesem Moment, ganz zu Anfang, als Jolene ihn geschlagen hatte, um ihn aus seiner eigenen Besessenheit herauszuholen. Als irgend etwas ihn dazu gebracht hatte, sie aufschneiden zu wollen, um es aus ihr heraus zu holen. So musste sie sich fühlen. Wie konnte man das aushalten?
Jolene warf ihm einen kurzen, spöttischen Blick zu, bevor Ruby bei ihr war, ihre langen, schlanken Finger an Jolenes Wangen legte und ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Er versuchte, sich dieses Bild einzuprägen, das so friedlich wirkte, seine beiden Mädchen, die sich anlächelten. Seine Mädchen, die sich ihre kleinen Geheimnisse zu flüsterten. Er versuchte, es in seinem Verstand festzuhalten, dieses Bild, nicht das wirkliche. Nicht Jolenes Augen, die immer größer wurden, als würde etwas sie aus ihrem Schädel saugen wollen. Nicht Rubys Lächeln, das er noch sehen konnte, sie lächelte wie eine Hyäne, wie die böse Hexe im Märchen. So hatte sie ihn gerade auch angesehen. Er war fast sicher, dass ihre schmutzigen, gesplitterten Nägel sich gleich in Jolenes Gesicht graben und es zerfetzen würden, während sie kreischte wie eine Banshee.
Oder nicht?
Er hörte sie flüstern, ein leises Säuseln, und ihre Gesichter waren verzerrt und verzogen und er musste den Blick abwenden. Er wollte sie so nicht sehen. Er wollte nicht darüber nachdenken, was das alles jetzt noch bedeuten musste. So kurz vorm Ziel. Aber es konnte nur eines bedeuten: dass sie versagt hatten. Dass er versagt hatte. Er war hier, um sie zu beschützen. Was auch immer geschehen sollte, er würde sie beschützen, das hatte er sich letzte Nacht geschworen. Letzte Nacht, die sich anfühlte, als wäre sie eine Million Jahre her. Da hatte er noch nicht gewusst, was kommen würde. Dann hatte Magnus es ihnen gesagt, und es hatte für ihn keinen Unterschied gemacht. Es hatte ihn sogar in seinen Absichten bestärkt. Und trotzdem hatte er versagt. Auf ganzer Linie. Und wenn Jolene auch nur ein winziges bissen Recht gehabt hatte, dann bestand sein Versagen nicht darin, sich nicht genug angestrengt zu haben, sondern ...
Aber er wollte nicht darüber nachdenken.
Sein Blick fiel auf Edward. Edward, der immer noch auf den Stufen saß und sie beobachtete. Lächelnd, aber sein Lächeln wirkte jetzt gezwungen. Merkte er schon, dass etwas nicht stimmte? Er musste es. Er hatte ihnen zugehört, jedes Wort, jeden kleinlichen, spitzen Kommentar. Jede sarkastische Bemerkung. Jede Regung, die Jolene ihnen aufgezwungen hatte. Er saß dort und bemühte sich um ein wissendes, überhebliches Lächeln und Victor starrte ihn einfach an.
Ruby hatte gesagt, dass der Junge ihn jetzt auch hatte. Was auch immer der Junge wohl war. Edward hatte sie dazu gebracht, sich in eine finstere, arrogante, bösartige Version ihrer selbst zu verwandeln - hatte er? - und der Junge hatte ihn jetzt in seiner Gewalt. Gab es diesen Jungen wirklich? Oder waren selbst die Spiegelungen in ihren Augen Halluzinationen gewesen, die man ihnen aufgezwungen hatte? Inzwischen wusste er es nicht mehr. Er war sich so sicher gewesen, war so erleichtert gewesen, als er ihn in der Spiegelung ihrer Iris entdeckt hatte. Er war so erleichtert gewesen, weil es bedeutet hatte, dass sie nicht verrückt wurde. Weil es bedeutete, dass es da tatsächlich etwas gab, das sich irgendwie vor ihnen versteckte, aber ihre Augen waren der Schlüssel, um zu wissen, wann sie nicht allein waren.
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Right by your Side
Fiksi PenggemarWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...