11 - Lady in Red

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Victor stürmte voraus und Ruby erkannte, dass sie das Institut fast erreicht hatten. Die lange, verfallene Mauer ragte vor ihr auf, Efeu rankte sich wie Spinnweben über den alten Stein. Hastig rannte sie ihm nach. Er war so schnell, dass sie kaum Schritt halten konnte. Von der anderen Straßenseite erschollen Rufe und sie hoffte inständig, dass niemand die Polizeirufen würde, weil er Victor für einen Straßenräuber hielt, aber Isabelle hatte ihr mal erklärt, dass die Irdischen nicht so hilfsbereit waren.

Sie sah ihn im Schatten verschwinden, als er sich mit einem geübten Satz über das Tor der Kathedrale schwang. Sie selbst musste es aufzerren, da sie sich diese Leistung nicht zutraute und brauchte einen Moment, um sich zuorientieren. Die Kampfgeräusche waren leise und schienen aus allen Richtungen zu kommen, doch dann sah sie den bläulichen Schimmer von Engelsklingen und rannte darauf zu.

Als sie um die Ecke bog, war es fast schon vorbei. Victor hatte seine Waffe gezückt und zerrte gerade Edward hoch, als Jolene auch schon mit einer geschmeidigen Drehung um das Ding herumtanzte, das sich schwerfällig auf dem Rasen auf sie zu bewegte. Ihre Waffe blitzte, ein Stoß, dann sprang sie zurück. Ruby konnte ihr Gesicht im blauen Schimmer der Klinge sehen. Ihre Augen waren groß, die Lippen halb geöffnet. Sie sah leidenschaftlich aus in diesem Moment, selig und wunderschön.

Der Koloss fiel. Seine Arme ruderten und ein dumpfer Knall erklang, als der Körper auf dem Boden aufschlug. Sie wartete darauf, dass er verschwinden würde, doch er tat es nicht. Ein Forsaken. Jolene sah auf, ihr glücklicher Blick traf Ruby. Sie strahlte, doch dann erkannte sie, wer da stand und ihre Miene wurde wieder verschlossen und hochmütig. Das blaue Licht ihrer Waffe erlosch und ließ nur noch den gelblichen Schein der Straßenlaternen zurück.


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"Das war wirklich ausgezeichnet, Jolene", sagte Isabelle, nachdem die vier ihr Bericht erstattet hatten. Sie schien die junge Schattenjägerin umarmen zu wollen, doch das Mädchen hob abwehrend das Kinn und starrte sie mit blitzenden Augen an.

"Natürlich", sagte sie hochmütig und verschränkte die Arme vor der Brust. "Hast du was anderes erwartet?"

Die Lippen der Institutsleiterin zuckten missbilligend, doch sie sagte nichts, sondern wandte sich den anderen zu. "Ihr solltet jetzt schlafen gehen, es ist schon spät und ich denke, morgen Abend werdet ihr wieder raus wollen." Es klang eher wie müssen, als gefiele es ihr gar nicht, dass die vier ihre Arbeit machen sollten. Aber auch nicht, als hätten sie eine Wahl.

Niemand widersprach ihr, auch wenn Jolene etwas enttäuscht darüber wirkte, dass niemand ihren Erfolg feiern wollte. Alec sah ihnen nach, als sie den Raum verließen. Ruby warf einen Blick zurück, sie wirkte ernst, als ahnte sie etwas.

Als die Tür sich geschlossen hatte, ließ sich Isabelle erschöpft in einen Sessel fallen. "Schon wieder", murmelte sie und legte eine Hand vor die Augen, die andere hing schlaff herunter. Sie wirkte, als hätte sie selbst einen Kampf hinter sich.

"So langsam wird es merkwürdig", sagte Alec und ging zu ihr herüber, um ihr die Schultern zu massieren. "Es ist das zweite mal in diesem Monat, dass sie am Institut waren." Seine Hände bewegten sich mechanisch und geübt. "Als wolle jemand uns davon abhalten, die Stadt zu durchsuchen. Sie haben etwas vor."

"Aber was sollen wir machen?" Isabelle ließ die Hand sinken und sah zu ihm hoch. "Wir können uns nicht nur auf das Institut konzentrieren."

"Wir sollten sie aufteilen", schlug Alec vor und stützte sich auf die Lehne des Sessels. "Zwei patrouillieren hier, die anderen beiden durchsuchen die Stadt."

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