Jolene beobachtete den Hexenmeister, der begonnen hatte, das Portal nach New York zu beschwören. Er war groß und schlank und gut aussehend und sah so jung aus, dass sie sich fragte, wie alt er wohl wirklich sein mochte. Er hätte ihr gefallen, wenn er nicht mit Alec zusammen gewesen wäre. Aber irgendwie konnte sie es sich ohnehin nicht vorstellen, etwas mit einem Schattenwesen anzufangen. Das war irgendwie merkwürdig. Aber Isabelle hatte wohl schon mehrere Beziehungen mit denen gehabt. Sie warf der Institutsleiterin einen Blick zu. Sie stand immer noch bei Rubys Eltern und redete auf sie ein. Was die wohl besprechen mochten...?Und warum war Ruby nicht hier? Durfte sie nicht mit nach New York?
Jolene sah sich zu Victor um, der neben ihr auf einem der Steine saß, die den Platz umrundeten. Er war so aufrichtig bemüht darum, alle zu ignorieren, dass sie sich sicher war, dass er wirklich alles und jeden beobachtete. "Sie ist nicht hier", sagte sie und beobachtete amüsiert seine hastig umherschweifenden Augen, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte und auf seine Hände starrte.
"Wer?", fragte er betont beiläufig und Jolene streckte ihm die Zunge heraus.
"Ruby ist nicht hier und irgendwas läuft da. Haben sie nicht gesagt, wir brechen Punkt zwölf Uhr auf? Und jetzt ist es nicht mal viertel vor. So lange dauert es doch nicht, ein Portal zu machen. Irgendwas ist im Busch."
Victor zuckte mit den Schultern, als wäre ihm das alles ziemlich egal. Und vielleicht war es das ja auch. Sie hätte zu gern gewusst, was in ihm vor ging, aber er wollte einfach nicht mit ihr reden. Jedenfalls über nichts ernsthaftes. Er benahm sich seit Tagen wie ein Verrückter. Mal war er überschwänglich gut gelaunt, dann versank er wieder in aggressive Stille. So wie jetzt. Und trotzdem war er irgendwie der einzige Freund den sie gerade hatte.
Von der Clique, mit der sie früher herum gehangen hatte, war wirklich niemand zu ihr gekommen. In den ersten Tagen, seit sie wieder in Idris waren, war sie zu stolz gewesen, ihre alten Freunde selbst aufzusuchen. Und als ihr ihr Stolz dann nichts weiter einbrachte, als mit Victor durch die Gegend zu laufen, der jeden Moment wie ein angestecktes Pulverfass explodieren konnte, hatte sie sich einfach selbst auf den Weg gemacht. Aber niemand hatte Zeit oder Interesse. Man belächelte sie, weil sie jetzt in einem Institut lebte. Jolene wollte mit ihren Abenteuern angeben, so wie sie es früher mit ihren Kindereien in Idris getan hatte, aber ihre sogenannten Freunde sagten ihr nur, sie würde sich für was Besseres halten, jetzt wo sie gegen Dämonen kämpfen durfte. Dabei taten die doch alle selbst so, als wären sie was Besseres.
Sie zerrte Victor hoch, der mit seinen Stiefeln feine Staubwolken aufwirbeln ließ, denn der Hexenmeister hatte das Portal beschworen und Isabelle winkte ihnen auffordernd zu. Sie hätten warten können, denn der Andrang der Schattenjäger, die sie begleiten würden, war groß, aber Jolene hatte Angst, dass irgend jemand kommen und sagen würde, Victor dürfte nicht mit gehen. Immerhin glaubten doch alle, er sei Schuld, das hatte noch niemand aufgeklärt. Sie taten zwar so, als würden sie nichts wissen, aber sie konnte die Blicke der Erwachsenen sehen und das Getuschel der jüngeren. Gott sei Dank waren ihre alten Freunde alle noch nicht achtzehn und durften sie nicht begleiten. Das hätte sie wirklich nicht ertragen.
"Was ist das hier eigentlich für ein Aufstand?", fragte Victor. Er trug seinen Rucksack und eine ihrer Taschen. Die leichteste, stellte sie mit einer Grimasse fest und er tat das sicher nur, um sie gerade mit seiner Hilfsbereitschaft zu ärgern, während sie die anderen beiden schweren Koffer hinter sich her zog. Sie brauchte nun mal viele Klamotten! Immerhin war sie hübsch.
"Sag ich dir später", zischte sie, während sie sich in die Schlange einreihten. "Und jetzt frag nicht weiter. Es wird alles gut, vertrau mir."
"Vertrau mir", äffte Victor sie nach und grinste. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen.
"Kannst du nicht auch mal nett sein?", fuhr Jolene ihn an. Es waren nur noch drei Schattenjäger vor ihnen und einer drehte sich jetzt um und warf ihr einen missbilligenden Blick zu, aber sie starrte nur frech zurück.
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Right by your Side
FanfictionWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...