Der Tag war trübe und vernieselt. Ruby stand frierend auf dem Hof vor dem Gebäude des Rates und starrte ins Nichts. Sie hatte sich schon zuhause von ihren Eltern verabschiedet, denn diese wollten sie nicht bis zu dem Moment begleiten, an dem sie durch das Portal gehen würde. Nicht, weil es ihnen nicht wichtig gewesen wäre, sondern weil Ruby nicht allein nach New York reisen sollte.
Es gab noch ein Mädchen, das aus ganz anderen Gründen weg geschickt wurde. Ruby wusste nichts genaues darüber, nur, dass das Mädchen schwer zu bändigen war und dass man sie deshalb nach New York schickte, um sie den schädlichen Einflüssen in Alicante zu entziehen. Schädliche Einflüsse in Alicante! Wer oder was diese schädlichen Einflüsse waren, wusste Ruby nicht, aber sie war froh, dass sie das Mädchen nicht kannte, denn das hätte ihren ganzen schönen Plan zerstört.
Ihre eigene Geschichte war so einfach wie möglich gehalten, schließlich konnte sie kaum sagen, dass sie aus Idris weg ging, weil ihr Name zu bekannt war. Statt dessen wurde Elisabeth Fairchild von ihren Eltern nach New York geschickt, um sie davon abzuhalten, ihr Leben an einen Jungen wegzuwerfen, der mit ihr davonlaufen wollte. Und natürlich sollte er nichts davon wissen, wohin sie ging. Vermutlich war das nicht mal ganz unwahr.
Ein Mädchen tauchte aus dem Nebel auf, zierlich und elegant, ein kurzes, dunkelgrünes Kleid schmiegte sich eng an ihren kurvigen Körper und ihr langes, kastanienbraunes Haar schimmerte selbst in diesem Wetter wie Samt. Hinter ihr liefen zwei Männer, die ihr Gepäck trugen.
Sie blieb neben Ruby stehen und musterte sie von Kopf bis Fuß aus zwei strahlenden, blaugrünen Augen, die von schwarzem Kajal umrahmt waren. Unanständig lange Wimpern schwangen lasziv auf und ab, dann lächelte sie mit ihrem blass rosa geschminkten Mund und streckte Ruby eine perfekt manikürte Hand entgegen. "Hallo, ich bin Jolene Blackthorn." Es klang, als müsste jeder sie kennen.
Ruby schüttelte ihre Hand. "Ich bin Elisabeth H... Fairchild." Beinahe hätte sie sich verplappert, doch es gelang ihr, das zu kaschieren, denn aus dem Nebel tauchten zwei weitere Personen auf. Jolene folgte ihrem Blick, glitzernde, übergroße Ohrringe schwangen unter ihrem Haar hervor.
Bei den Neuankömmlingen handelte es sich um einen Wachhabenden des Rates und einen der Hexenmeister, die sich als Diplomaten in Alicante aufhielten.
In der Schule hatte Ruby viel über den Zweiten Aufstand gelernt - so nannte man inzwischen den erneuten Versuch Valentins, die Schattenwelt zu vernichten und den Krieg, den ihr Onkel Jonathan nach seinem Tod beinahe entfacht hätte. Die Ereignisse in dieser kritischen Zeit hatten dazu geführt, dass sich inzwischen ständig mehrere Vertreter der Schattenwelt in Alicante aufhielten und inzwischen auch nicht mehr nur geduldet wurden. Die Dienste von Hexenmeistern waren immer noch teuer und für die meisten unbezahlbar, doch es gab einen Pakt mit ihnen, der dem Rat eine gewisse Anzahl an Dienstleistungen zusicherte - Ruby wusste nicht, wie viele das waren - wobei die Hexenmeister im Gegenzug irgend einen Vorteil hatten. An dem Punkt hatte sie einfach nicht gut genug aufgepasst.
Gemeinsam beobachteten die Mädchen den Hexenmeister, der gemächlich seine Beschwörungsformeln begann. Dabei musterte Ruby heimlich und neidisch die filigrane Schönheit neben sich. Sie wäre gern so klein gewesen und so zart. So klein und zart wie ihre Mutter mit dieser herrlichen, durchscheinenden Porzellanhaut. Aber sie war fast so groß wie ihr Vater - dem ihre Mutter immerhin gerademal bis zur Schulter reichte - mit etwas, das rotes Haar hätte sein können, es aber nicht war, und nirgendwo auch nur einem Anschein dieser perfekten,weißen Haut. Und dazu kamen Augen, deren Farbe man bestenfalls als unbestimmt bezeichnen konnte. Sie waren weder so strahlend grün wie die ihrer Mutter, noch so himmlisch Golden wie die ihres Vaters. Eigentlich sah sie keinem der Familienzweige ähnlich, weder den Fairchilds, noch den Herondales.
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Right by your Side
FanficWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...