31 - Don't tell me that it's over

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"Du kommst spät!", sagte Alexej vorwurfsvoll. Er hatte die Hände in den Hosentaschen seiner ausgeblichenen Jeans und sah so normal aus, so irdisch mit seinen Turnschuhen und dem T-Shirt mit dem schwachsinnigen Spruch darauf, den sie sich nicht einmal die Mühe machte zu lesen.

"Ich kann auch wieder gehen", murmelte Ruby und strich sich durchs Haar. Es war gewaschen und gekämmt und frisiert und sie trug ein Kleid. Ein gottverdammtes Sommerkleid, weil der Tag heute schön war und warm und weil ihre Mutter sie aus dem Bett gezerrt und angezogen hatte wie ein Püppchen, nur um sie endlich mal wieder unter Menschen zuschicken. Um mit ihrem Freund auszugehen. Als ob sie sich gerade damit beschäftigen wollte!

"Jetzt sei doch nicht so!", murmelte Alexej und nahm ihre Hand, um sie zärtlich zu küssen. Wortlos starrten sie sich in die Augen, bis sein Lächeln verschwand. Sie war nicht dazu aufgelegt, mit ihm herum zu schäkern. Sie wollte ins Bett zurück und im Selbstmitleid versinken. Nur noch ein bisschen wenigstens, bis sie sich selbst genug auf die Nerven ging.

"Macht dir das Spaß?", fragte er schließlich und ließ ihre Hand los, so dass Ruby die Arme vor der Brust verschränken konnte. "Wofür bestrafst du mich eigentlich? Dafür, dass ich mich genauso wenig gemeldet habe, wie du?"

Sie setzte zu einer Antwort an, ließ es dann aber doch bleiben. Er hatte sich nicht gemeldet, sie hatte sich nicht gemeldet. Es spielte keine Rolle, dass sie nicht gewusst hatte, wo er genau war, und dass er sich nicht melden konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Also lächelte sie so freundlich, wie sie konnte. Ein bisschen genießen. Vergessen, was in den letzten Tagen alles schief gegangen war und vergessen, dass ihr Vater und ihr Freund sich inzwischen so gut verstanden, dass es sie gruselte.

"Tut mir leid", sagte sie und dachte darüber nach, sich bei ihm einzuhaken, aber sie tat es nicht. Das wäre zu viel Nähe, zu viel Normalität in ihrer angeknacksten Beziehung, die sich so merkwürdig verändert hatte. Statt dessen machte sie ein paar Schritte, bis er sich ihr anschloss und sie schlenderten über den Platz vor dem Ratsgebäude. Hier trafen sich viele Paare, es gab Bänke und Rasenflächen und Bäume, es war der Mittelpunkt der Stadt.

"Was machen wir jetzt?" Die Sonne schien grell und irgendwo fiel ein trockenes Blatt wispernd zu Boden. Es war Ende August und sommerwarm und würde bald vorbei sein.

"Keine Ahnung", antwortete Alexej. "Wir könnten uns einfach hinsetzen und reden. Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht."

Das haben wir noch nie gemacht, wollte sie trocken einwerfen, aber sie verkniff es sich. "Klar, das klingt gut", sagte sie statt dessen und lächelte erneut, während sie auf eine der Bänke zusteuerte.

Sie setzte sich, doch Alexej blieb stehen und betrachtete sie unschlüssig. Jetzt hätte sie es ihm einfach machen und losreden können, unsinniges Zeug, wie Mädchen das so machten. Sie hatte mal zugehört, wenn die Mädchen aus ihrer Schule das taten, und irgendwie hatte sie es immer albern gefunden, aber jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als genauso hohl zu sein, damit sie ihn mit sinnlosen Informationen löchern konnte, bis er ihr endlich sagte, was er wollte.

"Hast du Durst?", fragte Alexej schließlich und sah sich nach einem der Stände um. Jemand verkaufte Limonade, jemand anderes Gebäck. An schönen Tagen gab es immer genug Leute, so dass sich das lohnte.

Ruby zuckte mit den Schultern, sagte aber ja, um sich einen kurzen Moment zu verschaffen. Eine Ruhepause, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie sah ihm nach, als er los ging, die Hände in den Hosentaschen. Jeans und ein T-Shirt und Turnschuhe, und sie saß hier in einem weißen Kleid mit Ballerinas an den Füßen und wartete auf ihren Freund, während sie sich nichts sehnlicher wünschte als ihre Schattenjägerkleidung, um sich nicht mehr so nackt zu fühlen.

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