63 - Face to face

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"Du kannst auch bei uns schlafen", sagte Jace. Er hielt Ruby im Arm, als könnte sie erneut zusammenbrechen, sein Geruch war vertraut und warm, wie früher, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatte und an seiner Brust weinte.

"Es geht schon, Dad", flüsterte sie. Sie fühlte sich zu erschöpft, um lauter zu sprechen und wenn er noch einmal fragen würde, hätte sie einfach ja gesagt, nur damit er sie in Ruhe ließ. Aber er nickte nur, sie konnte die Bewegung an ihrem Haar fühlen.

"Schlaf dich aus", sagte er und verließ ihr Zimmer, seine Augen ruhten die ganze Zeit auf ihr und Ruby starrte ihm müde hinterher, noch minutenlang, nachdem sich die Tür geschlossen hatte.

Es war absurd, die ganze Situation. Ihr Vater hatte ihr nichts erzählt, nachdem sie aufgewacht war, aber das musste er auch nicht. Sie hatte schon lange da gelegen, mit geschlossenen Augen auf dem Sessel, in den man sie gelegt hatte. Isabelle streichelte unablässig ihre Hand, unbewusst, während sie mit den Schattenjägern diskutierte. Und Ruby hörte einfach nur zu, ohne zu zeigen, dass sie wach war. Auch wenn die Institutsleiterin das zu wissen schien. Sie hatte ihr zu genickt, nachdem das Gespräch beendet war und Jace Ruby "geweckt" hatte. Als wollte sie, dass sie alles wusste, weil es ihr sonst keiner sagen würde.

Schwerfällig zog sie sich aus, ihre Hand zuckte, sie hatte den Schlüssel umdrehen wollen, aber jetzt wusste sie nicht mehr, ob sie wirklich eingeschlossen sein wollte, allein in ihrem Zimmer. Konnte sie es aussperren, oder sperrte sie damit sich selbst ein?

Ohne zu wissen, ob es richtig war, knipste sie nur das Licht aus und ging zu ihrem Bett. Die Decke war kalt und schien nichts von ihrer Körperwärme aufzunehmen, als sie sich zusammenrollte. Aber woher auch, selbst ihre Knochen schienen aus Eis zu bestehen. Lilith, dachte sie, aber sie war sogar zu erschöpft, um Angst zu haben.


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"Komm", flüsterte die Stimme, lockend und hässlich zugleich, sie sah den roten Mund vor sich schweben in der Dunkelheit, weiße Zähne blitzten wie Messer, scharf und spitz. "Komm zu mir..." Der Mund lächelte, gähnende schwarze Dunkelheit lag dahinter, wie die Leere einer Gruft, es roch nach Tod und Leichen und sie wollte weglaufen, aber etwas hielt sie fest wie Beton, hinderte ihre Beine daran, sich zu bewegen.

"Nein!", sie wollte schreien, aber sie flüsterte, ihre Kehle war rau und ausgetrocknet. Schimmernde Augen über den roten Lippen zerrten an ihr und sie versuchte weg zu sehen. Wenn sie es nicht tat, dann würde es kommen. Ein Gesicht wie heller Marmor, perfekt und wunderschön und grausam, Hände mit langen Krallen wie Dolchklingen. Weiße Arme mit den grazilen Bewegungen einer Tänzerin griffen nach ihr.

"Ihr habt meinen Jungen", flüsterte die Stimme, die Gestalt bewegte sich im Schatten, nur das Gesicht war vor ihr, es brannte eisig kalt wie Winterwind. Finger schlossen sich um ihre Arme, wurden zu grauen, schleimigen Leibern, die ihren Brustkorb umhüllten.

"Ich will nicht!", keuchte sie erstickt, aber die Würmer drückten ihr die Luft aus den Lungen, zwängten ihre Glieder an ihren Körper, Knochen schabten in den Gelenken, während sie unaufhaltsam aneinander gepresst wurden. Sie würden brechen, langsam, sie würde jedes Knacken hören und sie wusste - wusste - dass sie nicht ohnmächtig werden würde von dem Schmerz. Es würde sie wach bleiben lassen, während der Druck ihr die Haut von den Muskeln riss wie Geschenkpapier.

"Ich will meinen Jungen zurück", sagte die Stimme und die Frau kam aus dem Schatten, ihr perfekter, üppiger Körper überlagert von den Vermithrall, ihre schwingenden Hüften lockten wie ein schmutziges Flüstern und sie fühlte Verlangen in sich, gemischt mit dem Schmerz ihrer reißenden Muskeln. Rote Lippen spitzten sich zum Kuss, die Zähne waren jetzt wie Perlen, wie Grabsteine aus gebleichten Knochen, sie schimmerten und Ruby wollte die Hände heben, sich schützen, bevor sich diese Zähne in ihre Haut gruben.

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