47 - It's a fine day

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Müde rieb Ruby sich die Augen, während sie dem leisen Plätschern der Kaffeemaschine lauschte. Es war still in der leeren Küche. Sechs Uhr morgens. Niemand stand um diese Zeit auf. Mit einem dankbaren Seufzen zog sie die Kanne aus der Halterung, als aus dem Plätschern ein langsames Tröpfeln geworden war, und füllte ihre Tasse. Der erste Schluck verbrannte ihr die Zunge, aber sie ignorierte es. Das Gefühl war himmlisch, als das Koffein ihre Venen erreichte.

"Morgen", sagte jemand verschlafen und sie sah Jolene hinter sich, die geräuschvoll die Tür schloss. Trotz der frühen Stunde hatte sie schon die üblichen gefühlten zweihundert Schichten an Make up aufgelegt und ihr Haar glänzte in einem satten Kastanienbraun, als würde sie den halben Tag nur damit verbringen, es zu kämmen.

"Morgen", erwiderte Ruby einsilbig und die beiden Mädchen starrten sich abwartend an. So ungefähr lief es seit einer Woche jeden Morgen. Als hätten sie sich verabredet. Aber natürlich war das Unsinn.

Schließlich setzte sich Jolene wieder in Bewegung, ihre Augen wanderten sehnsüchtig zu der noch halb vollen Kaffeekanne. "Siehst ganz schön fertig aus", erklärte sie spöttisch, während sie näher kam. "Mit deinen Augenringen könntest du im Horrorkabinett auftreten."

Ruby schnaubte. "Und wie viel Make up musstest du dir ins Gesicht kleistern, bis deine nicht mehr zu sehen waren?", erwiderte sie süßlich und hielt Jolene eine zweite Tasse hin. "Pass auf, dass nichts abbröckelt."

Jolene streckte ihr die Zunge heraus, nahm die Tasse aber anstandslos entgegen. Halbvoll Milch, zwei Stück Zucker, dachte Ruby müde, während sie das andere Mädchen beobachtete.

Die Kämpfe waren jetzt eine Woche her. Eine Woche Ruhe. Zu viel Ruhe, dachte sie manchmal. Victor und sie hatten zur Strafe für ihren Ausflug nach San Francisco Hausarrest bekommen - und nur dafür. Ihren vorangegangenen Besuch bei Victors Großvater behielt Isabelle wohlweislich für sich, um ihnen ernsthafte Schwierigkeiten zu ersparen. Rubys Ausflug mit Edward verschwieg man ebenfalls. Es war ruhig genug in der Stadt, dass sie für nächtliche Patrouillen nicht gebraucht wurden. Und außerdem hatten sich nicht wenige der Schattenjäger, die währenddem Angriff auf die Stadt in New York gewesen waren, dazu entschlossen, noch eine Weile zu bleiben.

Aber Ruby konnte die Ruhe nicht genießen. Alles, was sie in den letzten Tagen gesehen hatte, war ihr Zimmer, die Küche und die Bibliothek. Sie durfte schlafen, essen und lernen. Es gab keinen Sonnenschein, kein Kampftraining und nichts, was irgendwie Spaß machte, oder sie ablenkte.

Und dann waren da noch die Träume.

Schwerfällig setzte sie sich neben Jolene an den Tisch. Die Träume waren wirklich schlimm, und ohne fragen zu müssen wusste sie, dass es dem Mädchen neben ihr nicht anders ging. Nacht für Nacht wachte Ruby schwitzend und zitternd auf. Manchmal war es Robert, der ihr Mellartach in die Hände drückte und zusah, wie sie langsam erfror. Manchmal war es Edward, niemand hatte sie am Flughafen abgeholt, sie war mit ihm gegangen, er hatte sie zu seinen Hexenmeisterfreunden geschleppt und ihr die schrecklichsten Dinge angetan.

Aber meistens waren es die Würmer. Graue, wuselnde Leiber, die sich um ihre Gelenke schlangen, an ihr zerrten und sie zu ersticken versuchten. Mehr und mehr von ihnen, bis sie keuchend in der Dunkelheit ihres Zimmers erwachte. Nach den ersten Tagen hatte sie versucht, nicht mehr zu schlafen, aber wann immer sie die Augen schloss, sah sie es wieder vor sich.

"Ich könnte dich auch schminken", sagte Jolene plötzlich vor ihr. Sie hatte den Inhalt ihrer ersten Tasse Kaffee fast in einem Zug herunter gestürzt und nippte jetzt an der zweiten. "Dann würdest du nicht mehr aussehen wie ein Zombie."

Ruby konnte ein kleines Lachen nicht unterdrücken. "Mir würde es reichen, wenn ich mal wieder richtig schlafen kann", erklärte sie leise. Wozu es verschweigen? "Aber sie lassen mich ja nicht raus. Sie lassen mich nicht mal trainieren! Ich soll mich ausruhen", vorwurfsvoll gab sie dem Serviettenhalter auf dem Küchentisch einen Schubs, der ihn klirrend umkippen ließ. "Wie soll man denn da tief und traumlos schlafen..."

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