10 - Durch die Nacht

115 8 0
                                    

Die Stille war unerträglich laut, nur durchbrochen von keuchenden Atemzügen. Isabelles Hand zitterte nicht einmal, der Dolch an Victors Kehle schien seine Haut zu streicheln. Immer noch glänzte kein einziger Tropfen Schweiß auf ihrer makellosen Haut.

Ruby bemerkte erst, dass sie die Luft angehalten hatte, als die Schattenjägerin ihre Waffe sinken ließ. Mit einer winzigen Bewegung lockerte sie die goldene Peitsche, die Victors Arm hielt und trat zurück. "Du hast dazugelernt", sagte sie anerkennend. "Aber du hast trotzdem verloren. Keine Stele heilt einen abgetrennten Kopf."

Das blaue Leuchten seiner Klingen erlosch und Victor drehte sich zu ihr herum. Sie waren gleich groß, doch das lag nur an den hohen Absätzen ihrer Stiefel. "Irgendwann werde ich dich schlagen", erklärte er fest, aber er lächelte. Die Wut war aus seinen Augen verschwunden.

"Irgendwann", sagte Isabelle und zog spöttisch eine Augenbraue hoch, dann sah sie zur Tür, als hätte sie ein Geräusch gehört und Ruby zuckte erschrocken zurück.

"Bald", hörte sie Victor zuversichtlich sagen und dann näherten sich Schritte der Tür.

Ruby überlegte fieberhaft, ob sie einfach weglaufen sollte, oder so tun, als wäre sie zufällig gerade in diesem Augenblick hier angekommen, aber sie war zu langsam. Victor stand schon neben ihr und schloss die Tür, ehe sie überhaupt irgend etwas tun konnte. "Hey Liz", sagte er, als würden sie sich gerade zum ersten mal an diesem Tag sehen. Seine Augen funkelten und er lächelte, als hätte er nicht gerade versucht, Isabelle zu töten. Hatte er versucht, sie zu töten?

"Nenn mich nicht Liz", erwiderte sie mechanisch. Ihr Herz raste immer noch. Wo war sie hier gelandet?

Sein Lächeln wurde breiter und er schob die Hände in die Hosentaschen. "Du warst echt gut heute, lass uns irgendwann mal zusammen trainieren."

"Äh", sagte Ruby verwirrt. "Ja, sicher." Sie wusste nicht, ob sie es ernst meinte oder einfach nur Angst hatte, ihn mit einem Nein zu verärgern.

"Okay", sagte Victor, dann schlenderte er davon. Die Waffen hingen wieder an seinem Gürtel. Er hätte sie nicht tragen müssen, immerhin befanden sie sich sicher im Institut, aber irgendwie schien ihm das egal zu sein. Sehnsüchtig dachte sie daran, dass sie ihre eigene Klinge auch gern wieder gehabt hätte.

"Dachte ich mir doch, dass du es bist", sagte Isabelle plötzlich hinter ihr.

Ruby hatte gar nicht gehört, wie sie die Tür geöffnet hatte und zuckte erschrocken zusammen. "Du hast mich erschreckt!", sagte sie vorwurfsvoll und spürte, wie sie rot wurde.

"Du hast spioniert", erwiderte die schwarzhaarige Schattenjägerin spöttisch. Ruby konnte die goldene Elektrumpeitsche erkennen, die sich wie ein exotisches Armband um ihr Handgelenk wand und in ihrem Ärmel verschwand, und war nicht in der Lage, die Augen davon zu lassen.

"Nicht mit Absicht", murmelte sie und trat einen Schritt zurück. "Ich hatte nur was vergessen..."

"Was denn?"

"Hab ich vergessen."

Isabelle spitzte die Lippen. Ihr Blick wanderte zu Victor, der eben um die Ecke in einen anderen Gang abbog. "Du hast das nicht gesehen", sagte sie leise.

"Ja, sicher!", versicherte Ruby eilig. Irgendwas in dem Ton der anderen ließ sie schaudern.

"Er macht das nicht oft", fuhr Isabelle fort, als müsste sie Victors Verhalten erklären. "Er ist nur... Er ist eben, wie er ist. Und manchmal muss er sich selbst beweisen, was er kann. Und ich muss ihm beweisen, dass er es noch nicht kann."

Right by your SideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt