58 - Mann gegen Mann

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Als sie endlich gingen, war Victor schon fast eingenickt, versteckt hinter den hohen Regalen, während der Staub um ihn herum tanzte. Die Besprechung hatte Stunden gedauert und bis auf die ersten ungefähr dreißig Minuten war der Rest einfach zum Gähnen gewesen. Außer vielleicht dieser Moment, in dem Jace ihn beinahe entdeckt hätte. Natürlich sprachen sie da schon lange über nichts interessantes mehr, aber anbrüllen würden sie ihn trotzdem noch.

Vorsichtig zog er sich hoch, um nicht mehr Geräusche als nötig zu verursachen, doch das leise Scharren auf den alten Holzdielen blieb unkommentiert, als erwartend auf eine Stimme lauschte. Nichts kam und er streckte seine verspannten Muskeln, bevor er zwischen den Regalen hindurch zur Tür ging.

"Wirklich ein gutes Versteck", sagte eine Stimme plötzlich und er fuhr ertappt herum. Jace lehnte mit verschränkten Armen an Isabelles großem, altem Schreibtisch. Und interessanterweise sah er nicht wütend aus. "Genug gehört, Junge?"

Victor hatte mit dem Gedanken gespielt, schuldbewusst zu tun. Oder so, als wäre er irgendwo dahinten eingeschlafen. Es hätte vermutlich nichts gebracht, denn einer wie Jace fiel auf sowas nicht herein. Aber sie hätten einfach beide so tun können, als wüsste er nichts von diesem ganzen Scheiß, der da draußen ablief. Es wäre wirklich eine Möglichkeit gewesen, aber leider gab es da diesen kleinen Teil in seinem Verstand, der in solchen Momenten regelmäßig seinem logischen Denken das Licht ausknipste. Junge genannt zu werden, das war ein solcher Moment.

"Was ein alter Mann doch noch so alles drauf hat. Oder war das ein Glückstreffer?" Er grinste und wartete auf das Feuerwerk, das überraschender Weise nicht kam.

"Es wäre gut, wenn du das für dich behältst", sagte Jace, als das Schweigen zwischen ihnen schon fast unangenehm geworden war. Er klang nicht drohend, seltsamerweise. Auch nicht bittend. Er sagte es einfach nur, als hätte er sich das ganze gründlich überlegt.

Victor grinste ihn an. "Wieso sollte ich?" Es mochte nicht das klügste sein, Jace zu reizen, aber er konnte nicht anders. Das brachte ihn in schöner Regelmäßigkeit in Schwierigkeiten und auch jetzt hörte er wieder diese kleine, innere Stimme die ihm erklärte, dass er manchmal einfach zu dämlich war, um im richtigen Moment die Klappe zu halten.

Rubys Vater verzog nur einen kurzen Moment lang den Mund, als hätte er nichts anderes erwartet. Da war tatsächlich Enttäuschung in seinem Gesicht zusehen und Victor fühlte sich plötzlich wütend und lächerlicher, als wenn dieser große, blonde Mann ihn als kindischen Teenager abgetan hätte.

"Schon klar", knurrte er also. Eigentlich hatte er ja gewusst, dass das kommen würde. Immerhin hatten die Erwachsenen nach der Besprechung von Strategien, Plänen, Vorsichtsmaßnahmen und weiteren langatmigen Dingen auch beschlossen, die Kinder da raus zu halten.

"Ich soll also ihr kleines Mädchen anlügen, wenn sie mich fragt, ob sie nicht gerade von Lilith aufgeschlitzt wird." Es mochte kindisch sein, aber allein der Gedanke machte ihn einfach wütend.

Fast erwartete er, dass ihm gleich eine Faust entgegen fliegen würde, als Jace ein Knurren ausstieß, aber auch dieses mal irrte er sich. "Wie wäre es, wenn wir uns duzen", sagte Rubys Vater, und nichts an diesem Satz kam ihm leicht über die Lippen. "Ich kann dich nicht leiden und es interessiert mich nicht, was du von mir hältst. Aber ganz offensichtlich mag meine Tochter dich. Also muss ich mich wohl mit dir abfinden." Er streckte Victor die Hand hin.

Im ersten Moment war er zu verblüfft, um zu reagieren. Jace sah wirklich aufrichtig aus, auch wenn man das nicht so leicht erkennen konnte bei seinem Lächeln, das zusammen gepresste Zähne zeigte. Aber dann wurde ihm klar, dass der Mann nur das tat, was schon einmal funktioniert hatte.

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