16 - Ich krieg das hin

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Es brauchte nur fünf Minuten, um Rubys Eifer zu dämpfen. Fünf Minuten, bis sie merkte, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie nach Ellsworth kommen sollte. Oder überhaupt raus aus New York. Natürlich war sie schon mit der U-Bahn gefahren. Isabelle und Victor hatten ihr das alles genau erklärt. Da sie ohnehin immer wo anders patrouillierten, kannte sie sich in Manhattan ziemlich gut aus, etwas weniger in Brooklyn, Queens, New Jersey, in der Bronx und Staten Island. Und gar nicht in dem ganzen Rest. Also konnte sie jetzt einfach in die Bronx fahren, die lag ganz im Norden. Und sie musste nach Norden. Aber dann...

Entschlossen blieb sie stehen und sah sich um. Trotz der frühen Stunde waren schon eine ganze Menge Menschen unterwegs und sie wandte sich an eine der Frauen, die an ihr vorbei eilten. "Entschuldigung!" Die Frau hob nur abschätzig die Augenbrauen und lief weiter. New Yorker waren manchmal wirklich unfreundlich. Auch die nächsten zwei Frauen und der Mann, die sie ansprach, ignorierten sie einfach und Ruby bekam langsam Zweifel an ihrem Plan. Aber sie war nicht bereit, aufzugeben. Victor würde Ärger bekommen. Großen Ärger. Und das würde sie nicht zulassen.

Entschlossen winkte sie nach einem Taxi. Das dritte hielt. Weil sie beinahe davor sprang, um den Fahrer von ihrer Entschlossenheit zu überzeugen. Er fluchte bis zu dem Moment, in dem sie die Hintertür aufriss und sich auf den Sitz plumpsen ließ. "Ich will nach Maine", sagte sie und starrte ihn herausfordernd an.

Der Fahrer starrte zurück und lachte dann, während er einen Gang einlegte und losfuhr. "Das wird aber teuer", sagte er und fädelte sich in den Straßenverkehr ein.

"Damit muss ich leben", knurrte Ruby und lehnte sich zurück. "Ich muss nach Maine", wiederholte sie. "Nach Ellsworth in Maine."

"Das ist weit", unterbrach der Mann sie. Seine Augen funkelten sie durch den Rückspiegel amüsiert an. "Ich fahr' normalerweise nicht durch drei Bundesstaaten."

"Okay. Dann sagen sie mir, wie ich da hin komme. So schnell wie möglich. Und so billig wie möglich." Er hob eine Braue, als hielte er sie für ein wenig verrückt, also fügte sie schnell hinzu: "Ich bin nicht von hier. Aus Europa, wissen sie." Das stimmte. Idris lag in Europa. Und es beseitigte sofort seine Zweifel.

Das hatte Isabelle ihr mal erklärt. Wenn sie allein unterwegs war und Hilfe brauchte, war es am besten, den Irdischen zu sagen, man wäre nicht von hier. Amerikaner und vor allem New Yorker hielten sich anscheinend für den Nabel der Welt. Wenn man ihnen also sagte, man wäre nicht von hier, dann waren sie die hilfsbereitesten Menschen, die es geben konnte. Und die überheblichsten. Aber es half einem weiter, selbst wenn man ihnen eine absolut hirnrissige Geschichte auftischte. Sie trauten Europäern sowieso alles zu.

"Am schnellsten. Und am günstigsten. Tja, Mädchen. Also am schnellsten kommst du mit dem Flugzeug hin. Aber das ist nicht unbedingt das günstigste. Und sowie du aussiehst, hast du auch sicher keine Lust zu warten, bis ein Flug geht. Ich denke mal, am besten du nimmst den Greyhound. Das ist nicht so teuer und heute kommst du auf jeden Fall noch an." Ruby nickte, als wüsste sie genau, wovon er sprach. Der Greyhound. Sie war noch nie mit Hunden gereist, aber wenn er das für eine gute Idee hielt...

Der Fahrer plauderte noch eine Weile mit ihr und Ruby hörte nur mit halbem Ohr zu und beantwortete seine Fragen mechanisch. Sie hatte sich eine Geschichte zurecht gelegt, falls jemand fragen würde. Sie war natürlich schon achtzehn - dass dieses Alter für Irdische noch nicht so wirklich zählte, merkte sie an seiner Reaktion, aber dass sie erst sechzehn war, hätte ihn sicherlich noch misstrauischer gemacht. Sie war also achtzehn, zu Besuch bei Verwandten hier in New York, und auf dem Weg zu den nächsten Verwandten, die oben in Maine wohnten. Er glaubte das. Er hätte vielleicht auch etwas viel Alberneres geglaubt, aber mit dieser Geschichte fühlte sie sich am sichersten.

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